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Veränderte Landwirtschaft

Preiskampf und Bürokratie: Bauer aus Achern muss um Existenz kämpfen

Er hat 100 Ordner im Schrank: Der Mösbacher Landwirt Hans Peter Doll schätzt, dass der Anteil der Bürokratie in seinem Betrieb heute 15 Prozent seiner Arbeitszeit in Anspruch nimmt. Seine Berufskollegen sehen das kaum anders.

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Eine Fülle von Vorgaben hat Martin Weber auf seinem Hof zu beachten, denn er hat einen Mischbetrieb mit Kühen, Gemüse, Obst und Hofladen. Mittlerweile machen die Formalitäten im Büro mehr als 15 Prozent der Arbeitszeit aus. Foto: Roland Spether

Von Roland Spether

„Mein Vater überreichte mir drei Ordner bei der Betriebsübergabe, heute habe ich über 100 im Schrank.“ Der das sagt, ist weder Buchhalter noch Steuerberater oder Büroleiter, sondern ein ganz normaler Landwirt, der wie seine Vorfahren den Acker bestellt, Obst anbaut, Schnaps brennt und im Vollerwerb die Existenz seiner Familie sichert.

Wie Landwirtschaftsmeister Hans Peter Doll aus dem Acherner Stadtteil Mösbach klagen Landwirte über eine zunehmende Bürokratie. Die vielen Ordner im Büro von Hans Peter Doll sprechen wahrlich Bände, der Computer für digitale Kommunikation, amtliche Formulare und gesetzliche Vorschriften ist unerlässlich und Prognosen über die Menge und Qualität des Obstes werden über eine App abgesetzt. „Bei uns ist der Aufwand noch höher, wir haben Vieh im Stall, jedes Tier hat einen Pass mit allen wichtigen Daten und die Milch wird mehrmals im Monat untersucht“, so der Wirtschafter im Landbau, Martin Weber vom Mösbacher Kernhof.

Fast für jeden Arbeitsgang ein Formular

In den drei Ordnern von Vater Doll waren Unterlagen für die Steuer, die Sozialversicherung und Rechnungen, heute muss Hans Peter Doll wie seine Kollegen fast für jeden Arbeitsgang ein Formular ausfüllen, hinterlegen, verschicken oder online ausfüllen, bis etwa die geernteten Äpfel in den Kisten für den Großmarkt sind, doch nur, wenn Größe, Farbe und Schale exakt den Vorgaben entsprechen und die Äpfel auch keine Dellen, Flecke oder Stielstiche haben. Solle dies dem kundigen Auge des Erntehelfers entgangen sein, dann ist immer noch die Apfelsortieranlage auf dem Großmarkt zur Stelle, die jeden Apfel etwa 40-mal fotografiert.

Zahlreiche Vorschriften und Gesetze lassen bei Claudia und Hans Peter Doll die Ordner stapeln.
Zahlreiche Vorschriften und Gesetze lassen bei Claudia und Hans Peter Doll die Ordner stapeln. Foto: Roland Spether

Wünsche der Handelsketten und der Kunden

Der Weg vom Baum bis zum Versand ist nur die eine Seite des Apfels. Die Bäume der Anlage müssen gedüngt, gepflegt, geschnitten, gespritzt und vor Hagelschlag geschützt werden, und für die vielen Arbeitsschritte bis zur Ernte müssen Gesetze und Verordnungen der Fachbehörden eingehalten werden - nicht zu vergessen die Vorgaben des Großmarktes, die Wünsche der Handelsketten und letztlich auch der Kunden.

„Schwindelerregend niedrige Preise”

Kein Verständnis haben Obstbauern wie Hans Peter Doll dafür, dass in mittelbadischen Regalen Äpfel aus Chile oder Südamerika und Trauben aus Indien angeboten werden und dies zu einem Preis, der schwindelerregend niedrig ist.

Für seine Erntehelfer muss Hans Peter Doll den Mindestlohn von 9,35 Euro zahlen. Hinzu kommen Sozial- und Krankenversicherung sowie die Kosten für freie Verpflegung und Übernachtung inklusive der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben für die Unterkünfte, sodass Äpfel aus dem Obstparadies Ortenau oder andere Erzeugnisse bei so einem „Stundensatz“ eigentlich nicht konkurrenzfähig sind.

Wie soll dann ein hiesiger Bauer einen existenzsichernden Erlös Rücklagen für Investitionen und das Alter erwirtschaften und dann auch noch dafür sorgen, dass die Landschaft schön gepflegt ist, im Frühjahr die Blüten blühen. Diesen „Nebenaspekt“ würden viele, auch in der Politik, nicht sehen, so Doll.

15 Prozent der Arbeitszeit im Büro

Lag die Bürozeit vor einigen Jahrzehnten noch bei eins, zwei Prozent der Arbeitszeit, so beziffert Doll sie inzwischen mit 15 und mehr Prozent, je nachdem wie vielfältig und speziell die Struktur des Betriebes und die Erzeugnisse sind. „Wenn Tiere dazu kommen, wird es nochmals komplizierter.“ Die Milchkühe liegen bequem auf speziellen Matten, der Boden wird mehrmals am Tag gesäubert und die Boxen sind so groß, dass Länge und Breite über dem Mindestmaß liegen. Jede Kuh hat für das Bestandsregister und alle erforderlichen Identifikationsdaten eine Ohrenmarke, einen Halsring und einen Pass, in dem alle relevanten Daten von den Eltern über den Tag der Geburt bis zum Halter stehen und wenn sie den Gang zum Metzger antreten sollte, wird auch da jeder Gang dokumentiert.

„Macht enorm viel Arbeit”

„Die Rückverfolgbarkeit ist im Prinzip gut und richtig, aber sie macht enorm viel Arbeit“, so Martin Weber. So liegt der Vorteil für den Kunden darin, dass der Metzger genau sagen kann, woher das Fleisch aus heimischer Produktion kommt und wer der Erzeuger ist. Der Bauer kann belegen, was die Kuh so alles gefressen hat, wie viel Milch und ob sie vielleicht mal Bauchweh hatte.

Einmal im Monat kommt ein Kontrolleur

Da die Milch direkt auf dem Hof zu Butter und Käse verarbeitet wird, sind die Wege sehr kurz und der Kunde kann die Kuh identifizieren, von der die Milch stammt. „Wir müssen zweimal im Monat eine Milchprobe abgeben und einmal im Monat kommt ein Kontrolleur“, so Weber. Die Ankündigung erfolgt mittags, abends beim Melken ist die Kontrolle und dann wird genau dokumentiert, wie viel und in welcher Qualität die Kuh Milch produziert.

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