Wer Achern nicht kennt oder bis vor zehn Jahren nicht kannte, kann sich kaum vorstellen, dass dort, wo derzeit Wohneinheit um Wohneinheit entsteht oder schon entstanden ist, früher einmal Acherns größter Arbeitgeber, die Glashütte von Johann Georg Boehringer, ihr Domizil hatte.
Am Dienstagabend blickte Oberbürgermeister Klaus Muttach (CDU) beim Treffen des Acherner Wirtschaftsclubs darauf zurück, während das Architektenbüro Wilhelm sowie der Pflegedienst HP Schreiner über die Entstehung und die Nutzung des Glashütten Carré informierten. Künstler Hartmut Lindemann und seine Mitarbeiterin Anke Hartwig erläuterten ihre Fassadenmalerei an der Glasmacherbrücke.
1866, so Muttach, baute Boehringer die Acherner Glashütte. Champagnerflaschen waren das Produkt, was dem Unternehmen den Namen „Champagnerflaschenfabrik Achern“ einbrachte. Als moderner Arbeitgeber baute Boehringer damals Wohnraum für ihre Beschäftigten. Die Glashütte hatte sogar eine eigene Musikkapelle und einen eigenen Gesangverein. Als zeitweise größter Arbeitgeber hatte die Acherner Glashütte 1959 noch 700 Beschäftigte.
Vor zehn Jahren wurde die Glashütte geschlossen
In jüngerer Zeit verlor die Glashütte an Bedeutung und nach mehreren Verkäufen, zuletzt an den US-Konzern Owens-Illinois, war vor zehn Jahren das Ende der Glashütte besiegelt. „Was damals als schwerer Schlag für Achern gesehen worden ist, haben wir zu einer Chance genutzt“, so Muttach. Er schilderte, wie die Konversion des gewaltigen Areals mitten in der Stadt bewältigt wurde: „Die Karl-Gruppe erwarb das 10,7 Hektar große Areal und wir haben unser Vorkaufsrecht in der Weise wahrgenommen, dass wir uns entlang der Fautenbacher Straße und an der Acher Geländestreifen für Radwege oder auch den Hochwasserschutz gesichert haben, außerdem eine Fläche für den Bau eines neuen Kindergartens. Diesen haben wir bereits seit vergangenem Jahr mit sechs Gruppen in Betrieb.“
700 Wohneinheiten sind gebaut
Zur weiteren Nutzung informierte Muttach: „Rund 700 Wohneinheiten sind gebaut oder genehmigt. Damit sind 80 Prozent des Areals schon wieder sinnvoll verwertet. Wir hätten vor Jahren nicht gedacht, dass die Konversion so schnell gelingt.“ Ungefähr 215 Wohnungen sind im preisgünstigen Segment zu vermieten und das mit einer langfristigen Bindung bis zu 40 Jahren. Insgesamt, so Muttach, wurden bisher 200 Millionen Euro investiert. Zu Achern ließ er wissen: „Trotz Konversion hat sich die Zahl der Beschäftigten in Achern in den vergangenen 15 Jahren von 10.000 auf mehr als 13.000 und somit um mehr als 30 Prozent erhöht. Wir haben nicht nur ein dynamisches Bevölkerungswachstum, sondern auch ein sehr erfreuliches Wirtschaftswachstum.“
Pflegezentrum ist wichtiger Bestandteil des Areals
Ein wesentlicher Bestandteil der Entwicklung des ehemaligen Glashüttenareals ist das Pflegezentrum „Carré an der Glashütte“. Christian Wilhelm stellte das von Wilhelm geplante und im Bau befindliche Pflegezentrum im „Carré an der Glashütte“ vor. In ihm entstehen 55 ambulant betreute Wohnungen, 55 Zwei-Zimmer-Wohnungen für betreutes Wohnen und 16 Pflege-WGs, in Summe 161 Wohnungen und 45 Tagespflegeplätze. Bereits in Betrieb ist das Restaurant „Franz“. Bis November dieses Jahres soll der Bau abgeschlossen sein, er werde mindestens 206 Bewohnern eine Heimat bieten, die, so Christian Wilhelm, mit 300 Metern Entfernung bis zum Bahnhof und ebenso weit bis zum Marktplatz in die Stadt integriert seien.
Zur Pflege im Pflegezentrum referierte Bettina Dold. Sie stellte ihr Familienunternehmen „hp-schreiner“ vor, das 1995 von Sybille Schreiner als ambulanter Pflegedienst gegründet wurde und heute ein Unternehmen mit 247 Mitarbeitern ist. „Im Carré an der Glashütte“ so Dold, werden 136 Mitarbeiter tätig sein.
Brücke über Boehringer Straße
Ein wichtiges Bauelement im Carré ist die Brücke über die Boehringer Straße, die beide Gebäudeteile des Carrés verbindet. Glasfenster bieten den Blick auf die Straße, und umgekehrt bietet der Blick von der Straße auf die Brücke einen Anblick von Glasmalerei auf mehreren Glasfenstern. Es sind darauf Menschen abgebildet, Alltagsszenen.
Dazu erläuterte der Künstler Hartmut Lindemann mit seiner Mitarbeiterin Anke Hartwig: „Unser Anliegen ist es, mit dieser gegenständlichen Malerei eine alte Tradition aufzunehmen, die in der Antike entstand und über Jahrhunderte an Fassaden Architektur und Poesie verband. Unsere Malerei ist wie eine Erzählung aus dem Leben und über das Leben.“