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Stille Kundgebungen auch in Achern und Bühl

„Spaziergänge“ gegen Corona-Maßnahmen greifen in zahlreichen Städten immer weiter um sich

Die „Spaziergänge“ gegen die Coronamaßnahmen haben sich in der Region etabliert. Hunderte Menschen gingen an diesem Montagabend auf die Straße. Für die Kommunen wird das zum Problem.

Demonstration
Etwa 100 Teilnehmer demonstrierten am Montagabend vor dem Rathaus am Markt in Achern gegen einen Spaziergang von Gegnern der Corona-Maßnahmen. Foto: Michael Brück

Coronademos sind „out“, Spaziergänge „in“. Die Städte und Gemeinden in der Region sehen sich seit Wochen vor neue Herausforderungen gestellt. So genannte „Spaziergänge“ tragen den Protest gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße.

Die Kommunen reagieren zögerlich: Die Kundgebungen sind in der Regel nicht angemeldet, werden aber oft toleriert. So auch in Achern und Bühl, wo man angesichts durchaus beachtlicher Teilnehmerzahlen in beiden Kommunen auf das Gebot der Verhältnismäßigkeit verweist, wenn zum Beispiel Abstandsregeln missachtet werden.

Das Problem dabei: Die „Spaziergänge“, die meist stumm und ohne Plakate ablaufen, haben sich in der Region in aller Stille auf breiter Front etabliert und sind keineswegs mehr nur vereinzelte Meinungsäußerungen. Die Polizei zählte an diesem Montag allein in Achern etwa 500 Teilnehmer, in Bühl waren es rund 150, in Offenburg 500, in Oberkirch 250, in Lahr 120, in Ettenheim 100, in Renchen 20.

Wir schauen einmal, wie es sich entwickelt.
Karen Stürzel, Polizeisprecherin

Die Polizei setzt vorerst auf maßvolle Reaktionen: „Wir schauen einmal, wie es sich entwickelt“, sagt Sprecherin Karen Stürzel. Man sei bei jeder dieser Veranstaltungen präsent, ob eingegriffen werde, sei eine „Frage der Verhältnismäßigkeit“.

Wachsende Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen

„Wir befinden uns da in einer rechtlichen Grauzone“, verweist Arno Sackmann von der Stadt Achern auf das Problem der kommunalen Ordnungsämter, hier die üblichen Maßstäbe für Versammlungen anzulegen. Es rufe niemand ausdrücklich zu einer Kundgebung auf, sondern da poste nur jemand im Internet, dass er eben zu einer bestimmten Zeit spazieren gehen wolle.

Wir befinden uns da in einer rechtlichen Grauzone.
Arno Sackmann, Ordnungsamt Achern

In Achern habe es das vor einigen Monaten in Ansätzen schon gegeben, dann aber sei es zunächst wieder eingeschlafen. Seit vorvergangener Woche gebe es diese Spaziergänge wieder – mit wachsender Teilnehmerzahl. Es gebe auch Kommunen, die bereits mit Allgemeinverfügungen dagegen vorgehen, „da ist ziemlich viel im Fluss“, sagt Sackmann.

In Bühl wurden an Montagabend rund 150 Teilnehmer gezählt, rein formal habe der „Spaziergang“ wegen des Überschreitens der Teilnehmerzahl gegen die Vorgaben der Coronaverordnung verstoßen. Auch in Bühl hatte man sich entschlossen, dies zu tolerieren: „In Anbetracht des Verzichts auf Transparente und Tonträger und vor allem in Anbetracht des friedlichen Ablaufs wurde auf Maßnahmen verzichtet“, so Andreas Bohnert, Leiter der Bühler Ordnungsamts. Laut Bohnert gebe es ähnliche Treffs seit Mitte Dezember.

Spaziergang und Gegendemo in Achern

In Achern gab es am Montag auch eine Gegendemo mit rund 100 Personen vor dem Rathaus, eine im Übrigen angemeldete Veranstaltung. Die Teilnehmer hatten sich eine halbe Stunde vor Beginn des „Spaziergangs“ durch die Hauptstraße unter dem Motto „Solidarität statt Verschwörungsmythen“ vor dem Rathaus am Markt eingefunden, um ein Zeichen gegen die Querdenken-Bewegung zu setzen.

Und auch gegen den zunehmenden Einfluss rechter Kräfte. Denn unter anderem hatte die als rechtsextrem eingestufte Kleinpartei „Der dritte Weg“ im Vorfeld Werbung gemacht.

Vereinfachte Weltanschauungen sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Redner bei der Gegendemo

„Wir dürfen nicht zulassen, dass Bürger, die in Ihrer Ohnmacht und ihrem Zorn auf die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie auf die Straße gehen, nun von diesen Leuten instrumentalisiert werden“, sagte einer der Demonstranten, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Vereinfachte Weltanschauungen sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems“, so ein Redner bei der Gegenkundgebung.

Gegendemonstranten fordern „klare Kante gegen rechte Märchenerzähler“ in Achern

Aufgerufen zur Gegenveranstaltung hatte auch das Ottersweierer Gemeinderatsmitglied Nico Paulus (Grüne). Die Querdenkerszene, sagt Paulus, habe sich bereits seit Monaten radikalisiert. Er spricht in diesem Zusammenhang von Aufrufen zu „schrägen, sektenähnlichen Spaziergängen“ und fordert, „klare Kante gegen rechte Märchenerzähler“.

Acherns Oberbürgermeister Klaus Muttach (CDU) stellte noch vor Beginn der beiden Veranstaltungen klar, dass man vonseiten der Verwaltung das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nur in sehr begründeten Ausnahmesituationen einschränken könne.

„Selbstverständlich ist es legitim, wenn Menschen Corona-Maßnahmen des Staates kritisch würdigen. Soweit radikale politische Kräfte versuchen, diese kritisch denkenden Menschen politisch zu vereinnahmen, muss jeder für sich selbst prüfen, ob er sich vereinnahmen lassen will und wie er sich dazu verhält“, erklärte Muttach.

Solange keine Rechtsverstöße begangen würden, sehe die Stadtverwaltung keine Grundlage für ein Eingreifen, so der Oberbürgermeister, der allerdings auch klarstellte, dass bereits bei den bisherigen Montags-Spaziergängen Mitarbeiter des Fachgebiets Sicherheit und Ordnung sowie der Polizei anwesend waren. Man werde diese Form der Kundgebung aufmerksam begleiten.

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