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Wenn die Bilderbuchfamilie gar keine ist

Wie die Acherner „Füchse“ Kinder aus Familien mit Suchtproblem helfen

„Die Füchse“ kümmern sich in Achern um Kinder und Jugendliche aus Familien mit Suchtproblemen. Sie wollen verhindern, dass die Kinder irgendwann selbst abrutschen.

Junge spielt im Wald
Bewegung, in die Natur gehen, kreativ sein - und darüber sprechen, was gerade zu Hause los ist: Das gehört zum Programm der Kinder- und Jugendgruppen der Acherner „Füchse“. Foto: Anja Gerber

Die Sucht begleitet Tom schon sein Leben lang: Sein Vater ist alkoholkrank. Tom, der eigentlich anders heißt, aber nicht erkannt werden will, ist als Kind in der Grundschule still und in sich gekehrt. Seine Mutter versucht, nach außen den Schein zu wahren, obwohl die Bilderbuchfamilie wegen der Sucht des Vaters in Wahrheit gar keine ist.

Als Tom zwölf Jahre alt ist, erfährt die Mutter von den „Füchsen“ in Achern. In dieser Gruppe trifft Tom erstmals auf andere Kinder und Jugendliche, die Ähnliches erleben: Ihre Eltern sind suchtkrank, haben Essstörungen, sind psychisch belastet oder gar nicht mehr da.

Das Angebot, das in Achern bei der Diakonie angesiedelt ist, gibt es seit inzwischen 20 Jahren. Tom ist heute 16 Jahre alt. Die regelmäßigen Treffen der „Füchse“, benannt nach den Tieren, die als schlau und besonders anpassungsfähig gelten, hätten ihm geholfen, sagt Gruppenleiterin Anja Gerber.

Betroffene Kinder fühlen sich für Eltern verantwortlich

Was macht so ein Umfeld mit Kindern? „Oft fühlen sie sich verantwortlich für den Zustand der Eltern“, sagt Gerber. Manche Mütter und Väter gäben ihren Kindern auch die Schuld an ihren Problemen: Ich bin so, weil du nicht hörst, weil du mir viel Arbeit machst, weil du geboren wurdest. Die Probleme zögen sich durch alle gesellschaftlichen Schichten.

„Das Kartenhaus der Bilderbuchfamilie kann schon in sich zusammenfallen, wenn ein Kind Stress in der Schule hat und die Eltern sich uneinig sind, was zu tun ist“, sagt Anja Gerber. Dann werde der psychische Druck mitunter groß.

Anja Gerber, Leiterin der „Füchse“ Achern.
Anja Gerber, Leiterin der „Füchse“ Achern. Foto: Frank Wedling

Dramatisch wird es, wenn in einer Familie häusliche Gewalt dazukommt. Gerber selbst geriet so schon in eine brenzlige Situation mit dem gewalttätigen Vater eines Kindes, das die „Füchse“ besuchte. „Die Mutter ist mit dem Kind inzwischen nach unbekannt verzogen.“

Betroffene Familien zu erreichen, sei schwierig, sagt Gerber, die selbst Erzieherin ist: Die Eltern schweigen aus Scham über ihre Situation, die Kinder wollen sich nichts anmerken lassen - oder halten ihre Lebensumstände für normal, weil sie es nicht anders kennen.

„Viele sprechen zu Hause nicht über das Thema Sucht und brauchen in der Gruppe zwei, drei Monate, bis sie realisieren, dass Menschen sie und ihre Lage ernst nehmen.“

Die Gruppen, je eine für Kinder und Jugendliche, treffen sich regelmäßig. Sie machen Ausflüge, die manche Familien sich nicht leisten können, gehen Eis essen oder in die Kletterhalle und feiern die Geburtstage der Kinder, was zu Hause nicht für alle selbstverständlich ist.

Vor allem wollen die Betreuer ihnen „helfende Hände“ bieten, wie es eigentlich die Eltern tun würden: Hast du schon deine Bewerbungen geschrieben? Schau dir doch mal das Ferienprogramm an, damit du nicht sechs Wochen lang nur zu Hause bist.

Viele Eltern fühlen sich überlastet. Die mit einer Sucht noch viel mehr.
Anja Gerber
Leiterin „Die Füchse“

„Durch unser Vertrauensverhältnis bekommen wir viel von ihrem Leben mit, können sie bei dem unterstützen, was gerade ansteht, und ihrer Woche auch Struktur geben“, sagt Gerber. Sie schaut zudem hin, ob die Familien weitere Unterstützung brauchen, und vermittelt die Hilfsangebote.

„Heute fühlen sich viele Eltern überlastet. Die mit einer Sucht noch viel mehr“, sagt sie. Da sei es schon eine Erleichterung, dass die Kinder für jedes Treffen von den Betreuern abgeholt und wieder nach Hause gebracht werden. Auch für die Kinder sei die Fahrt wichtig: „Viele fühlen sich im Auto sicher wie in einem Kokon, in dem sie sich ohne Angst öffnen können.“

Die Teilnehmer sind zwischen fünf und 17 Jahre alt. Derzeit zwei bis vier Kinder treffen sich einmal pro Woche in Achern, sieben Jugendliche alle zwei Wochen, seit 2022 in Zusenhofen statt in Achern: Das sei wegen der langen Fahrwege zeitlich nicht mehr machbar. „Die sozialen Brennpunkt-Familien leben nicht hier in der Stadt, sondern vor allem da, wo das Wohnen günstiger ist, im hinteren Acher- und Renchtal.“ Das Einzugsgebiet der Teilnehmer erstrecke sich über die gesamte nördliche Ortenau.

„Unsere Hauptaufgabe ist die Prävention“, sagt die Gruppenleiterin. „In einer Familie wiederholen sich in den verschiedenen Generationen oft Muster, positive wie negative.“

So sei es nicht selten, dass Kinder, deren Eltern suchtkrank gewesen seien, irgendwann einmal selbst versuchen, ihre Probleme mit Suchtmitteln zu lindern. Auch für Kinder, die ohne Unterstützung der Eltern in die Pubertät kommen, steige die Wahrscheinlichkeit, selbst abzurutschen, sagt Anja Gerber. „Wir versuchen, diese Spiralen zu stoppen.“

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