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Technik auf dem Vormarsch

Zwischen Spickzettel und ChatGPT: Abiturienten in Achern und Umgebung gehen meist kein Risiko ein

Schülerinnen und Schüler in Achern, Sasbach und Rheinau stecken mitten in den Abiturprüfungen. Schummeln wird dabei kaum einer – der Druck ist zu groß. Die jüngeren Klassenstufen sind da schon erfinderischer.

Zahlreiche Smartphones der Schülerinnen und Schüler liegen vor Beginn der schriftlichen Abiturprüfungen im Fach Geschichte auf einem Tisch.
Handysammlung: Während der Abiturprüfung dürfen die Schülerinnen und Schüler, wie auf diesem Symbolbild, keine Smartphones bei sich tragen. In jüngeren Jahrgängen sind derweil andere Methoden auf dem Vormarsch. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Kafkas „Der Verschollene“, Eastwoods „Gran Torino“ und die Kurvendiskussion: Seit Mittwoch schwitzen Schülerinnen und Schüler in Achern, Sasbach und Rheinau wieder über ihren Abiturprüfungen. Dabei stehen sie unter genauer Beobachtung. Nicht erst seit dem Aufkommen von Smartphones und internetfähigen Uhren gilt beim Abitur die höchste Sicherheitsstufe.

„Wer erwischt wird, bei dem ist Ende“, sagt Fabian Sauter-Servaes, Schulleiter am Gymnasium Achern. Schon beim bloßen Versuch einer Täuschung kann ein Schüler durchs Abitur rasseln.

Damit es gar nicht so weit kommt, sind Handys und Smartwatches am Platz verboten. Die Aufseher notieren jeden Toilettengang und anhand der festen Sitzordnung lässt sich nach der Prüfung herausfinden, wer womöglich im Aufschrieb des Nachbarn gewildert hat.

Abitur flößt Schülern Respekt ein

Es mag an den harten Konsequenzen liegen, doch Spickversuche unternimmt beim Abitur kaum einer. „Hier zu spicken wäre fast schon selbstmörderisch“, sagt Thomas Müller-Teufel, Schulleiter am Anne-Frank-Gymnasium in Rheinau. „Überall im Raum sind Aufseher, die nur mit Starren beschäftigt sind.“

Auch für Petra Dollhofer, Leiterin der Heimschule Lender in Sasbach, ist Spicken beim Abitur kein Thema: „Wir weisen natürlich mehrmals und ausdrücklich auf die Folgen hin. Das versteht dann jeder.“

Sauter-Servaes erkennt eine fast schon „heilige Atmosphäre“, die rund um die Prüfungen herrsche – allen Schülern sei klar, welche Bedeutung das Abitur hat. Das wolle sich keiner durch Betrug vermasseln.

Im normalen Schulalltag, fernab des Abiturs, sieht es mit den Betrugsversuchen jedoch anders aus. Denn eine Technik, die weltweit für Furore sorgt, ist auch bei den Schülern angekommen: ChatGPT.

„Das ist etwas, was uns derzeit größere Sorgen macht“, bestätigt Dollhofer. Zwar hilft das Programm nicht beim Spicken, doch die künstliche Intelligenz (KI) ist in der Lage, ganze Aufsätze und Hausarbeiten zu verfassen, wenn man sie mit den richtigen Schlagwörtern füttert.

Das treibt seltsame Blüten: Sauter-Servaes erzählt von einem Fall, in dem eine Lehrerin beim Lesen einer Religions-Arbeit stutzig wurde. Eine Schülerin hatte eine Frage kenntnisreich beantwortet, allerdings wich die Antwort von ihrem sonstigen Schreibstil ab. Auf Nachfrage gab die Schülerin zu, vor der Arbeit mögliche Fragen an ChatGPT gestellt zu haben.

Diese Antworten habe sie dann auswendig gelernt und für die Arbeit verwendet – was sich vom „normalen“ Auswendiglernen bloßer Fakten kaum unterscheidet. Auf die Aufforderung, die Aufgabe in eigenen Worten zu bearbeiten, lieferte die Schülerin schließlich eine Lösung ab, die sogar noch besser war als die Version der KI.

Texte der KI sind leicht zu entlarven

Hin und wieder seien bei Übersetzungsaufgaben auch andere Programme im Spiel. Deren zu perfekte Lösungen flögen aber meist schnell auf. „Als Philologen erkennen wir das“, sagt Sauter-Servaes. Um Schritt zu halten, müsse man ChatGPT offensiv begegnen.

So sollen die Lehrkräfte am Gymnasium Achern etwa in der Nutzung des Programms geschult werden. Außerdem könne man vermehrt Aufgaben stellen, die den Schülern eine klare Meinung und Positionierung abverlangen. Das könne ihnen keine KI abnehmen.

ChatGPT war früher eben die Mama oder der Freund.
Thomas Müller-Teufel, Schulleiter am Anne-Frank-Gymnasium

In Rheinau blickt Müller-Teufel gelassen auf die neue Technik. „ChatGPT war früher eben die Mama oder der Freund“, sagt er. Wer die Stärken und Schwächen seiner Schüler kenne, der könne einen fremdverfassten Text schnell entlarven.

In seiner eigenen Oberstufenklasse beschäftigt er sich damit, wie man das Programm „intelligent“ füttert, so dass am Ende die gewünschte Antwort herauskommt. Auch dies setze bereits ein gewisses Verständnis des Themas voraus.

Beim klassischen Spicken sieht er seit jeher zwei Typen: „Da gibt es den, der gar nicht gelernt hat und den, der wahnsinnig viel gelernt hat, sich aber nicht vertraut.“ Beide agieren aus Unsicherheit und nicht, weil ihnen das Betrügen Spaß macht. „Schüler sind im Grunde wie alle Menschen erstmal ehrlich“, sagt Müller-Teufel. Wer erwischt werde, gebe das in aller Regel sofort zu.

Und was macht der gute alte Spickzettel? „Den gibt es natürlich auch noch“, sagt Sauter-Servaes. Ein gut geschriebener Spickzettel könne sogar eine tolle Hilfe beim Lernen sein, ergänzt Dollhofer. Bei der Prüfung sollte man ihn aber lieber in der Tasche lassen – das gilt vor allem für die Abiturienten in den kommenden Wochen.

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