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Corona prägt Lehrstellenmarkt

Ausbildungsmarkt am südlichen Oberrhein: Unternehmen müssen auf Zuwanderung hoffen

Der Anteil von Migranten bei den Auszubildenden am südlichen Oberrhein ist bisher vor allem in Industrie und Handel überschaubar. Doch für die Kammern ist klar: Ohne Zuwanderung lässt sich der Lehrstellenmarkt kaum mehr ins Lot bringen.

Der Ausbildungsmarkt ist im Wandel
Der Ausbildungsmarkt ist im Wandel: Vor allem im Bereich der Metalltechnik ist zuletzt die Zahl der abgeschlossenen Lehrverträge in der Region massiv eingebrochen. Foto: Wolfgang Thieme picture alliance / dpa

Der Ausbildungsmarkt in der Region ist aus dem Tritt geraten. Schuld daran hat nicht einmal in erster Linie die Corona-Pandemie. „Wir spüren deutlich den demografischen Wandel, der jetzt zuschlägt“, sagt Johannes Ullrich, Präsident der Handwerkskammer Freiburg: „Wir haben alle gewusst, dass er kommt und jetzt ist er da“.

Ullrich stellte am Montag gemeinsam mit IHK-Präsident Eberhard Liebherr und Vertretern der Agentur für Arbeit die Lehrstellenbilanz des Jahres 2021 vor. Dabei zeigt nicht nur die Kurve der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge seit einem Hoch im Jahr 2018 nur noch nach unten, auch der Wandel in Handel, Handwerk und Industrie bildet sich klar ab.

So ist die Zahl der neuen Ausbildungsverträge in der Metalltechnik seit 2019 um ein Viertel eingebrochen und auch bei Banken und Versicherungen ist der Strukturwandel greifbar. Immer weniger Filialen und Niederlassungen brauchen immer weniger Personal. Auf Ebene der IHK Südlicher Oberrhein heißt dies: ein Minus von zehn Prozent bei den Banken gemessen, an der Vor-Corona-Zeit. Und minus 20 Prozent bei den Versicherungen allein im zurückliegenden Jahr.

Die Betriebe nehmen inzwischen auch Bewerber, die sie früher nicht genommen hätten.
Simon Kaiser, bei der IHK zuständig für die Ausbildung

Schlaglichter einer Entwicklung, die unter dem Strich nicht ganz so dramatisch ist. Doch die Richtung steht fest. Seit 2016 sinken im Ortenaukreis sowohl die Bewerberzahlen als auch die der angebotenen Lehrstellen. 3.190 Jugendlichen auf der Suche nach einer Lehrstelle standen 2016/17 immerhin 3.656 Angebote entgegen, im zu Ende gehenden Jahr sind es noch 2.546 Bewerber und 3.038 Ausbildungsplätze. Das heißt: Auf 100 Interessenten kommen aktuell 119 Lehrstellen.

Die Bewerber haben oft die Wahl

„Es ist weiter ein Bewerbermarkt“, sagt Theresia Denzer-Urschel, Chefin der Arbeitsagentur in Offenburg. So können sich die im Kreis verbliebenen 46 unversorgten Lehrstellenbewerber aktuell unter 436 Stellen entscheiden. Allerdings nicht in jedem Beruf: Bei den Tierpflegern, dem statistisch gesehen begehrtesten Job, haben sich im Kreis 16 Personen auf drei Stellen beworben. Doch das ist die Ausnahme, in der Regel sind die jungen Menschen in einer komfortablen Lage: „Die Betriebe nehmen inzwischen auch Bewerber, die sie früher nicht genommen hätten“, sagt Simon Kaiser, bei der IHK zuständig für die Ausbildung.

Da ist eine hohe Frustrationsquote da.
Johannes Ullrich, Präsident Handwerkskammer

Im Handwerk ist seit 2010 fast jede zehnten Lehrstelle weggefallen. Das hat nur deshalb außer den Betrieben kaum jemanden interessiert, weil die Zahl der Bewerber ebenfalls sinkt. Hinzu kommt: Viele Unternehmen, so vermutet Johannes Ullrich, melden die Stellen gar nicht mehr, weil man sie ohnedies nicht besetzen könnte: „Da ist eine hohe Frustrationsquote da“.

Besonders deutlich ist der Rückgang bei den weiblichen Lehrlingen im Handwerk: 2017 unterschrieben sie noch ein Viertel der Ausbildungsverträge, inzwischen ist der Frauenanteil in der Region auf 17 Prozent gesunken: „Hier werden wir verstärkt tätig sein müssen“, sagt Ullrich.

Dies gilt auch bei der Gewinnung ausländischer Bewerber, meist Asylbewerber. Im Handwerk besetzen sie inzwischen fast jeden fünften Ausbildungsplatz, in Industrie und Handel liegt ihr Anteil noch deutlich unter fünf Prozent. Da seien, so mutmaßt IHK-Chef Liebherr, wohl sprachliche Barrieren aus dem Weg zu räumen.

Ohne Migration wird es nicht gehen

Doch unter dem Strich sind sich beide Kammern einig: Ohne Migration wird es nicht gehen. Der Anteil von Asylbewerbern „wird uns helfen, aber nicht das Delta schließen, das wir haben“. Liebherr wird noch deutlicher: Der Lehrlingsmangel sei in Wahrheit ein Fachkräftemangel auf ganzer Breite. Er spitze sich so massiv zu, „dass er allein durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nicht mehr zu kompensieren ist“. Das Thema Zuwanderung müsse nun strukturiert angegangen werden.

Schlechteres Abgangsniveau von Schulen

Potenzial für neue Auszubildende sieht man bei der IHK auch auf den weiterführenden Schulen: Der Auftrag der Gymnasien dürfe nicht mehr allein in der Vorbereitung auf ein Studium liegen, so Liebherr.

Dabei wird offenkundig, dass die Betriebe mit den Startvoraussetzungen ihrer Lehrlinge nicht immer zufrieden sind. „Wir merken ein deutlich schlechteres Abgangsniveau von unseren Schulen“, sagt Ullrich. Die Betriebe hätten durchweg „viel höhere Ansprüche als von den Schulen geleistet werde kann“. Deshalb setzten viele auf interne Weiterbildungsmaßnahmen und die Gewerbeakademien: „Wir versuchen da, die Defizite zu kompensieren, was nicht immer leicht fällt“.

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