Im späten Mittelalter, in der Zeit von 1560 bis 1580, soll über das vordere Kinzigtal und über Ortenberg ein Hochwasserereignis mit einer riesigen Schlammlawine, ähnlich dem aus der Ahr des Vorjahrs, niedergegangen sein. Das war eines der aufschlussreichen Ergebnisse, der seit einem halben Jahr laufenden archäologischen Ausgrabungen auf einem ehemaligen Kanzleihof aus dem 16. und 17. Jahrhundert in Ortenberg.
„Die Grabarbeiten brachten aber noch weitere spektakuläre Relikte, wie Trinkgläser und andere Gegenstände, die selten und außergewöhnlich sind, zum Vorschein“, erklärte Bertram Jenisch, zuständiger Gebietsreferent des Landesamtes für Denkmalpflege (LAD) bei einem Pressetermin mit den Denkmalpflegern und der Gemeinde am vergangenen Donnerstag.
Der frühere Verwaltungssitz Ortenberg lässt sich bis in das Spätmittelalter zurückverfolgen. Die heute flächenmäßig kleinste Kreisgemeinde war bis in das 18. Jahrhundert bekanntlich Sitz der Verwaltung der Landvogtei Ortenau, eine Vorgängerverwaltung der heutigen Landkreisverwaltung.
Funde bei Ausgrabungen in Ortenberg sind für Wissenschaftler außergewöhnlich
Zunächst hoch oben auf Schloss Ortenberg, ab etwa 1550 dann unterhalb im Dorf an der heutigen Hauptstraße, mitsamt einem landwirtschaftlichen Betrieb. Im Zuge von Rettungsgrabungen im Zusammenhang mit dem Bau einer Wohnanlage, kamen nun immer mehr Beweisstücke zum Vorschein, welche auf diese geschichtlichen Hintergründe hinführen. Eine Hochwasserkatastrophe zerstörte die Gebäude und überdeckte das Flutgebiet mit einer halben Meter dicken Schlammschicht.
Dies konnte nun bei den Grabarbeiten eindeutig identifiziert werden. In der Schicht fand man Überreste von menschlichen und tierischen Knochen. Die Archäologen entdeckten unterhalb davon verborgene Gebäudeteile mit den erstaunlich vielen interessanten Funden.
Für den Wissenschaftler Jenisch sind Funde in einer solch wertvollen und mengenmäßig großen Ansammlung für eine ländlich strukturierte Region wie Ortenberg eher ungewöhnlich. Darauf Bürgermeister Markus Vollmer, „konterte“: „Ortenberg war einst die heimliche Hauptstadt der Ortenau.“
Die Funde deuten auch darauf hin, dass im damaligen handwerklichen und bäuerlichen, vor allem weinbaulichen Umfeld, viel Wohlstand existent sein musste. Die mit den Grabarbeiten beauftragte Spezialfirma für Rettungsgrabungen, der Archäologische Baustellen Service in Süddeutschland, entdeckte auch Relikte aus handwerklichen Berufen, wie beispielsweise etliche Fingerhüte, als Hinweis auf eine Schneiderei. „Die Ortenberger Funde sind außergewöhnlich“, erklärt Archäologe Andreas Hanöffner. „In dieser Intensität und Wertigkeit erlebt man so etwas nicht alltäglich.“
Archäologische Fundstücke sollen in der Außenanlage ausgestellt werden
Die Grabarbeiten stehen kurz vor dem Abschluss. Repräsentative Teile der Fundstücke will der Bauherr im neuen Wohnkomplex museal in der Außenanlage verewigen.
Für Jochen Weinzierl von der Bauherrschaft Perfekt Living war die Abstimmung im Bauablauf der neuen Wohnanlage und den Grabarbeiten mit baulichen Verzögerungen und auch finanziellem Aufwand verbunden, „was wir aber der Sache wegen gerne auf uns genommen haben“, so Weinzierl.
Die neuerlichen Entdeckungen der um ein halbes Jahr verlängerten Grabarbeiten sind aus archäologischer Sicht spektakulär, wie es die Denkmalpfleger schildern. Auch die Entdeckung von Hinweisen zu einer Flutkatastrophe sind vielsagend, „zeigt dies doch, dass auch schon vor Jahrhunderten Naturereignisse, wie wir solche in jüngster Zeit erleben, stattgefunden haben“, so Bürgermeister Markus Vollmer.