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Tobias Strecks Mammutaufgabe

Freiburger Sprachwissenschaftlicher spricht über unvollendetes Badisches Wörterbuch

Seit über 100 Jahren erstellen Wissenschaftler in Freiburg das Badische Wörterbuch. Es geht langsam voran, weil immer nur einer darüber brütet. Aktuell ist es Tobias Streck, bei den Buchstaben von Se bis Zyrill.

Mann vor Büchern
Tobias Streck sitzt am fünften und letzte Band des Badischen Wörterbuchs. Foto: Thomas Kunz/Uni Freiburg

10,5 Kilogramm Mundart. So viel wiegen die bislang vorliegenden vier Bände des Badischen Wörterbuchs. Jeder Band mit 700 bis 800 Seiten kostet 500 Euro. Alle in 1,8 Millionen Belegen nachweisbaren Worte und Wendungen der Mundarten zwischen Bodensee und Main sind darin aufgenommen.

Die kulturhistorische Schatzsammlung reicht von A bis Sch. Am Ende von Band vier ist „no schwubbds“ verzeichnet. So heißt es im Dialekt von Jöhlingen, wenn es Prügel gibt.

Über Band fünf des wissenschaftlichen Mundart-Wörterbuchs für das Gebiet des alten Land Badens brütet Tobias Streck. Seit 2010 schreibt er an den Einträgen von Se bis Zyril.

Buchrücken
Kulturhistorischer Schatz: Das Badische Wörterbuch umfasst in den ersten vier Bänden an die 3.000 Seiten. Seit 1914 schreibt meist nur ein Wissenschaftler an den Einträgen. Foto: Thomas Liebscher

Bis zum Eintrag „Spießer“ ist er mit der Publikation schon gekommen. Jährlich wächst das Wörterbuch um wertvolle Teile. Der promovierte Sprachwissenschaftler an der Universität Freiburg schwätzt selbst gern Dialekt.

Der 46-Jährige kommt aus Zell-Weierbach in der Ortenau. Thomas Liebscher hat mit ihm gesprochen.

Was genau verbirgt sich hinter den alphabetischen Einträgen des Badischen Wörterbuchs?
Streck.

Im Grunde alles, was man über die Dialekte wissen muss. Verzeichnet ist die Aussprachen der Wörter in ganz Baden, in einer wissenschaftlichen, aber durchaus nachvollziehbaren Lautschrift. Außerdem natürlich die Bedeutung und die Herkunft. Wichtig ist die regionale Verbreitung mit Belegen für die Orte und manchmal Sprachkarten. Die genaue Verwendung in Beispielsätzen findet man in den Artikeln, dazu kommen mitunter Informationen über Lebensweisen und Tradition. Es gibt Verweise zu ähnlichen Stichwörtern und auf andere Dialektwörterbücher in denen die Wörter ebenfalls vorkommen.

Diese Aufarbeitung hat schon 1914 begonnen, warum ist das Badische Wörterbuch nach über 100 Jahren immer noch nicht komplett? Im Gegensatz zum schwäbischen oder pfälzischen Wörterbuch.
Streck

Über die ganze Zeit hat fast immer nur eine Person an der Universität Freiburg daran gearbeitet. Auch ich habe noch 80.000 Zettel mit Belegen vor mir und außerdem noch andere Aufgaben an der Universität. Das Bayerische Wörterbuch ist dagegen beispielsweise an der Akademie angesiedelt und deshalb sind dort mehr Leute damit beschäftigt, in München sind es fünf in der Redaktion, plus Verwaltung. Das Pfälzische Wörterbuch war 1998 fertig, das Schwäbische Wörterbuch schon 1938. Unsere Forschungsstelle wird jetzt dankenswerterweise durch die Dialektinitiative der Landesregierung personell aufgestockt.

Wann könnten Sie dann fertig sein - und wäre eine digitale Version des Wörterbuchs nicht sinnvoll, auch die gibt es beim pfälzischen Pendant.
Streck

Digital sind wir im internen Gebrauch des Wörterbuchs schon gut aufgestellt. Natürlich ist eine Online-Version das feste Ziel. Wann wir fertig werden, ist schlecht vorherzusagen. In diesem Jahrzehnt schätze ich. Wenn wir mehr Bearbeiter werden, dann vor 2030.

Sie sind nicht nur wissenschaftsintern tätig, sondern geben für alle Dialektinteressierte Auskünfte und sammeln neue lokale Mundartsammlungen. Außerdem halten Sie Vorträge. Sie kommen außerdem mit jungen Leuten an der Uni zusammen. Wie sehen sie das Verhältnis der Generationen zum Dialekt?
Streck

Ich stelle fest, dass die ältere Generation aus Heimatverbundenheit gern sammelt, was verloren gehen könnte. Den Dialektsprechern ist ihre Sprache wichtig. Es ist natürlich auch klar, dass Worte nicht mehr im Gebrauch sind, wenn es die Dinge dazu nicht mehr gibt. Beispielsweise alte landwirtschaftliche Geräte. Bei Studierenden merken wir, dass viele aus Baden-Württemberg noch aufgewachsen sind mit dem Dialekt und ihn sprechen, weil er für sie persönlich wichtig ist. In Südbaden ist das Alemannische einfach ein Merkmal zur Identifikation mit der Heimat und der Region. Aber selbst in Freiburg ist die Mundart nicht mehr selbstverständlich. Da ist es wichtig, dass es zum Beispiel mit dem SC-Trainer Christian Streich bekannte Aushängeschilder für das Alemannische gibt. Wir haben übrigens in Zusammenarbeit mit dem Sportclub und Fans eine Dialektversion des Online-Fanshops erstellt, die gut ankam.

Wie weit kann Ihre wissenschaftliche Arbeit die Mundart fördern?
Streck

Das Badische Wörterbuch ist hauptsächlich eine Dokumentation der Sprache von 1895 bis heute und zeigt auch den Wandel. Aber natürlich signalisiert das Wörterbuch und unsere Arbeit, dass der Dialekt der Menschen etwas Besonderes ist. Vorträge werden sehr gut angenommen, auf Fernsehauftritte und Interviews erhalte ich viel Resonanz. Man spürt, die immer noch vielen erwachsenen Dialektsprecher finden es toll, dass wir uns um die Sprache kümmern. Das kann sie bestärken. Aber natürlich sind die Dialekte unter Druck,weil die Standardsprache heute omnipräsent ist. Früher wurde sie nur in bestimmten Situationen verwendet.

Was könnte das Prestige von Dialekt steigern?
Streck

Wenn er selbstverständlicher in der Öffentlichkeit verwendet wird. Von Prominenten oder von allen. In der Werbung kommt er ja auch vor. Angehende Lehrer sollten sensibilisiert werden, das Zweisprachigkeit kein Nachteil ist. Es gibt ja auch viele, die nicht Deutsch als Muttersprache haben. Kinder sollen lernen, dass die verschiedene Erscheinungsformen von Sprache Platz haben im Zusammenleben.

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