Es ist 9 Uhr morgens am nordwestlichen Ortsausgang von Waldulm. Christian Müller stülpt sich einen Einmalhandschuh über die rechte Hand und nimmt einen großen Eimer in die linke. Dann macht er sich auf den Weg die Straße entlang.
Etwa 20 Kröten wird der ehrenamtliche Tierschützer an diesem Morgen aus den eingegrabenen Eimern entlang der Fangzäune holen und sicher zu ihrem Laichgewässer bringen. „Wenn die Zäune nicht wären, dann gäbe es hier schon lange gar keine Kröten mehr“, meint er.
Vor zehn Jahren haben sie die Konstruktionen auf seine Initiative hin an den Parallelstraßen „Weinstraße“ und „Kleinwäldele“ zum ersten Mal aufgestellt.
„Bevor die Zäune standen, bin ich zwei Jahre lang mit einer Warnweste und einer Taschenlampe nachts losgezogen. Dann habe ich etliche tote, aber auch lebendige Tiere direkt von der Straße aufgesammelt“, erzählt Müller.
Zäune schützen die Kröten vor dem Straßenverkehr
Die wenigsten Tiere könnten die Straßen erfolgreich überqueren. „Das liegt neben oft rücksichtslosen Autofahrern auch an zwei Gewohnheiten der Kröten selbst“, sagt Müller.
„Zum einen laufen sie oft diagonal über die Straße, um den kürzesten Weg zum Laichgewässer einzuschlagen. Sie befinden sich so sehr lange auf der Straße. Zum anderen verfallen sie in eine Art Schockstarre, wenn das Scheinwerferlicht der Autos sie trifft. Sie bewegen sich dann nicht mehr.“
Erdkröten wandern nur nachts.Christian Müller, Tierschützer
Sobald es hell wird, graben sie sich ein und setzen ihre Reise bei Dunkelheit fort. „Erdkröten wandern nur nachts“, klärt Müller auf.
Dabei seien es in den meisten Fällen nicht die Reifen der Autos, die für den Tod der Tiere sorgen. „Der Unterdruck, der für die Kröte entsteht, wenn sie unter ein Auto kommt, ist auch schon tödlich“, betont Müller.
Die Zäune würden inzwischen vielen Kröten das Leben retten, sagt er. Ein weiteres Problem seien aber auch die in ihrem Lebensraum gesprühten Insektizide aus der Landwirtschaft. Müller zieht in diesem Zusammenhang einen Vergleich mit einem Haushaltsmittel.
„Da die Kröten eine sehr empfindliche Haut haben, würden sie beispielsweise schon einen Tropfen Spülmittel auf der Haut nicht überleben.“ Ähnliches gelte für die in der Landwirtschaft benutzten Stoffe.
Trockene Sommer machen den Kröten zu schaffen
Hätten es die Tiere einmal trotz der menschengemachten Gefahren sicher zu ihrem Laichgewässer geschafft, sei die Vermehrung laut Müller noch lange nicht gesichert.
Die Sommer werden von Jahr zu Jahr trockener. Die im Wasser abgelegten Eier überleben immer öfter nicht.Christian Müller, Tierschützer
„Die Sommer werden von Jahr zu Jahr trockener. Die im Wasser abgelegten Eier überleben immer öfter nicht“, stellt er angesichts der klimatischen Veränderungen fest. Dies sei besonders deswegen dramatisch, weil jedes Jahr über die Hälfte des Laichs bereits Fischen und Vögeln zum Opfer falle.
Hinzu komme das durch den Klimawandel ausgelöste Insektensterben, das einen Nahrungsmangel für Amphibien im Allgemeinen auslöse. „Früher hatten wir noch Grasfrösche oder Molche in den Eimern. Heute sind es nur noch wenige Grasfrösche und fast keine Molche mehr“, konstatiert der 56-jährige Programmierer.
Seinen Aufzeichnungen zufolge wurden 2012 noch 3.691 Kröten am Ortsausgang von Waldulm gerettet. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 230.
Bestände des Grasfrosches und der Erdkröte sind landesweit innerhalb weniger Jahre zurück gegangen
Axel Kwet von der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) in Stuttgart bestätigt, dass die Bestände des Grasfrosches und der Erdkröte landesweit und vor allem in trockenen Regionen um bis zu 90 Prozent innerhalb weniger Jahre zurück gegangen seien. Vom Aussterben bedroht sei die Erdkröte allerdings noch nicht.
Das Aussterben der Kröten wäre laut Müller nachteilig für Mensch und Tier. „Für den Menschen ist die Kröte ein Schädlingsbekämpfer. Einen Garten machen die Tiere quasi schneckenfrei“, sagt der Tierschützer und fügt hinzu: „Die Erdkröte ist selbst wiederum auch Beute für andere Tiere wie Störche.“
Hoffnung für die Amphibien speist Christian Müller aus dem vergangenen Sommer, der sehr verregnet war. „Die Bestände könnten sich etwas erholt haben“, vermutet er.
Axel Kwet von der DGHT erwartet aufgrund der bisherigen Trockenheit in diesem Jahr allerdings keine Entspannung.
Angesprochen auf die Frage, ob es sich dann bald schon nicht mehr lohnen könnte, die Zäune aufzustellen, antwortet Müller: „Das kann durchaus sein. Noch würde ich es aber nicht übers Herz bekommen. Mir liegt einfach zu viel an den Tieren.“