Wenig Geld im Alter trotz jahrelanger Arbeit: Immer mehr Menschen im Ortenaukreis sind neben ihrer Rente auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die Zahl der Empfänger von „Alters-Hartz IV“ bei den über 65-Jährigen stieg nach Angaben des Landratsamts zwischen 2009 und 2019 um mehr als 53,3 Prozent.
„Grund dafür sind der demographische Wandel und die lückenhafte Erwerbsbiografie von Frauen in dieser Altersgruppe“, erklärte Kreissozialdezernent Georg Benz auf Nachfrage. Die Corona-Pandemie habe keinen nennenswerten Einfluss auf den Trend.
Für viele kommt beim Eintritt in den Ruhestand das sprichwörtlich böse Erwachen: Wer jahrzehntelang bei niedrigem Einkommen zum Beispiel in einer Bäckerei oder einem Restaurant gearbeitet hat, landet im Alter oft unter der Armutsschwelle. Das liegt auch an der Praxis vieler Unternehmen, aus Tarifverträgen auszusteigen, hinzu kommt der Trend zu Teilzeit und Minijobs.
Rund 18 Prozent der Rentner in Baden-Württemberg von Armut bedroht
Das alles sei jedoch kein ortenau-spezifisches Problem, sagte Benz. Laut Rentenreport 2020 des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) bekommen ein Drittel der Männer und zwei Drittel der Frauen in Baden-Württemberg weniger als 800 Euro Rente. Rund 18 Prozent der Rentner im Land seien von Armut bedroht, trotz Altersbezügen.
In der Ortenau ist die Zahl der über 65-Jährigen, die wegen einer zu geringen Rente Grundsicherung beziehen müssen, von 1170 im Jahr 2009 auf 1717 im Jahr 2019 gestiegen, sagte Georg Benz.
„Es ist ein Thema“, sagte er. Viele würden sich mit einem Minijob oder einer geringfügigen Beschäftigung etwas hinzu verdienen. Wie viele es in dieser Altersgruppe sind, sei jedoch nicht erfasst.
Gerade solche Nebenjobs haben es seit Beginn der Corona-Pandemie aber schwer. Ein Wegfall könne sich im Geldbeutel niederschlagen, vor allem bei denjenigen, die bisher mit Rente und Minijob über dem Bedarf für Grundsicherung lagen und durch den Wegfall ihrer Nebentätigkeit ins „Alters-Hartz IV“ rutschen.
Denn ihnen bleibt vom Hinzuverdienten dann nur noch ein gewisser Freibetrag, so Benz. Für diejenigen, die trotz Minijob auf Grundsicherung angewiesen waren und ihre Nebentätigkeit wegen Corona verlieren, ändere sich hingegen nicht viel.
Auch wenn möglicherweise viele solcher Jobs wegen Corona weggefallen sind, auf die Anzahl der Anträge auf Grundsicherung hatte das bisher keinen Einfluss, sagte er.
Oft zeigen die amtlichen Zahlen nur die Spitze des Eisberg, viele Menschen mit Mini-Renten, die eigentlich einen Anspruch auf Grundsicherung haben, schrecken womöglich aus Scham vor einem Antrag zurück.
Das kommt in der Ortenau sicher auch vor, bestätigt Kreissozialdezernent Benz. Vor zehn bis 15 Jahren sei die Hemmschwelle aber sicher deutlich höher gewesen. Damals seien nämlich auch Angehörige geprüft worden, ob sie eventuell beim Unterhalt einspringen können.
„Das hat bestimmt manchen abgehalten, damit Kinder nicht zur Kasse gebeten wurden“, so Benz. Heute sei das im Einzelfall nur noch bei sehr hohen Einkommen relevant.
Für den Kreis bedeutet der Trend nach oben bei der Grundsicherung im Alter und bei Menschen mit Erwerbsminderung keine steigende finanzielle Belastung.
Zwar betrug der Nettoaufwand im Jahr 2019 nach Angaben des Landratsamtes in diesem Bereich insgesamt 28,7 Millionen Euro, die Kosten werden aber seit 2014 komplett vom Bund übernommen.