Ein Probelauf für Corona? Eher nicht. Gegen Masern gibt es längst eine Impfung, die Infektionszahlen blieben überschaubar. Das aber war, als es im März feststand, schon nicht mehr wichtig. Das Coronavirus änderte alles.
Alle aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus im Überblick
Bressau, zuletzt vor allem mit dem mühsamen Versuch beschäftigt, in der Kommunalen Gesundheitskonferenz völlig gegensätzliche Erwartungen für die Zeit nach der Klinikreform unter einen Hut zu bringen, fand sich im Zentrum einer Krise wider, die unser Gesundheitssystem sehr viel gründlicher verändern dürfte als alle vorhergehenden Debatten – und auch die Anforderungen an die Krankenhauslandschaft im Kreis.
Mehr als 640 Menschen sind im Ortenaukreis positiv auf das neuartige Coronavirus getestet worden , 45 sind, Stand Dienstagabend, daran verstorben – so viel wie in keinem anderen Landkreis im Südwesten.
Jeder zehnte Einwohner in Appenweier könnte Coronavirus in sich tragen
Im Gesundheitsamt geht man davon aus, dass die Zahl der tatsächlich infizierten Menschen sechs bis zehn Mal so hoch ist – mit beachtlichen Brennpunkten wie Appenweier, wo, dieser Rechnung zufolge, fast jeder zehnte Einwohner das Virus in sich tragen könnte.
54 Mitarbeiter im Gesundheitsamt versuchen, zumindest den Überblick zu bewahren. „Es geht hier darum, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen“, sagt Bressau, die sich selbst durchaus als „krisenerprobt“ sieht, habe sie doch das Gesundheitsamt seit 2015 als stellvertretende Leiterin mit geführt. Und doch zögert sie auf die Frage, wie sie in diesen Tagen schlafe: „Unterschiedlich, das ist eine Belastungsprobe“.
Das Nadelöhr ist nicht unser Wille.Evelyn Bressau, Leiterin des Gesundheitsamts im Offenburger Landratsamt
Tatsächlich steht die Behörde unter Druck, auch weil man Entscheidungen anderer Kreise vorwegnimmt, wie zum Beispiel die Strategie, nur noch jene Menschen zu testen, die entweder zu einer der Risikogruppen gehören oder die unerlässlich für das Gesundheitssystem sind.
„Dafür bekommen wir Prügel“, sagt Bressau, doch sie sehe keine Alternative: „Das Nadelöhr ist nicht unser Wille, ich könnte tausend Abstriche nehmen, aber ich finde kein Labor für die Tests. Da bekomme ich viele böse Mails“.
Mit Transparenz gegen "Fake News"
Dies zu erklären, wieder und immer wieder, ist nicht die einzige Herausforderung für die Mitarbeiter, die angesichts weiter rasant steigender Fallzahlen an der Grenze der Belastbarkeit arbeiten. Eine andere sind „Fake News“, die auf fruchtbaren Boden fallen bei den Menschen, die durch die praktisch überall präsente Bedrohung höchst verunsichert sind.
„Darauf zu reagieren, das ist ein großer Teil unserer Arbeit“, sagt Bressau, viele seien durch Falschinformationen verängstigt. Auf der Homepage des Kreises versucht man daher, tagesaktuell auf solche Entwicklungen zu reagieren – so wie der Kreis auch auf Transparenz setzt, wenn es um die Verbreitung des Erregers geht, die man, aufgeschlüsselt nach Wohnorten, Alter und Geschlecht der Betroffenen, jeden Nachmittag veröffentlicht.
Zur Offenheit gehört auch dies: „Unser Gesundheitssystem wird an seine Grenzen stoßen, es ist nur die Frage, wann“. Man hatte sehr früh reagiert, gleich zu Beginn der Pandemie – das Elsass vor Augen – getestet und auch mit dem Kehler Krankenhaus sehr viel früher als andere Kreise ein erstes Zentrum für Infizierte eingerichtet.
Diese Vorsorge hilft, „ein bisschen Glück braucht man aber auch“, sagt Bressau zu ihrer Arbeit. Es werde nicht möglich sein das Virus aufzuhalten, „wir können es nur verlangsamen, sodass unsere Kliniken nicht so enden wie die in Bergamo“.