
„Ich habe in jeder Hose einen kleinen Bleistift“, verrät Gerd Hirschberg, „damit ich, wann immer ich will, etwas malen kann.“ Papier finde man ja immer und sei es nur eine Abfalltüte oder eine Serviette.
Doch in der Regel hat er immer ein Skizzenbuch dabei. Sein erstes Buch hat er als 17-Jähriger angefangen. Schon seine Kindheit, die er als Flüchtlingskind und Sohn des Dorfpfarrers in einem kleinen Dorf im Odenwald erlebte, war geprägt von Musik und Kunst. Später wohnte die Familie in Mannheim.
Begeistert von der Kunsthalle in Mannheim
Hirschberg, der das humanistische Gymnasium nebenan besuchte, wurde häufiger Besucher in der Kunsthalle Mannheim. „Ich begeisterte mich am Expressionismus und der neuen Sachlichkeit“, erinnert sich der Psychologe aus Rheinau-Freistett. Er habe sich, wie alle Künstler auf Reisen, beim Skizzieren in Finger- und Wahrnehmungsfertigkeit geübt.
Anfangs abstrahierte er das Gesehene mittels geometrischer Formen, manchmal kolorierte er. Heute skizziert er genau das, was er sieht: mit persönlicher Betonung oder bewusstem Weglassen. Immer mit dem Ziel, das Gesehene mit möglichst wenig Strichen zu erfassen. Das Motiv, egal ob Landschaften, Gebäude oder Menschen, er hält fest, was ihn gerade fasziniert.
Das Foto ist das flüchtigste Erfassen.Gerd Hirschberg
Psychologe und Künstler
Der Ort ergibt sich spontan – bei einer spontanen Pause auf Urlaubsreisen, auf Radtouren in der Region oder bei der Einkehr in ein Gasthaus. „Die Frage dabei ist immer: fotografiere oder skizziere ich“, erklärt Hirschberg. „Das Foto ist dabei das flüchtigste Erfassen.“
Wenn er dagegen eine Skizze mache, erinnere er sich viel besser an die bestimmte Situation und die Emotionen, „denn ich nehme mir Zeit, meist so eine halbe Stunde, mich auf den Blick richtig einzulassen.“ Wenn es um Personen gehe, müsse das allerdings viel rascher ablaufen.
Bild entsteht oft in einem tagelangen Prozess
Etwas ganz anderes ist es für Hirschberg, wenn er ein Bild malt. Der schöpferische Prozess des Malens sei dann ein innerer Dialog zwischen den Erinnerungen, den dazu einhergehenden Assoziationen und den auf der Leinwand entstehenden Darstellungen. Dabei sei die Bildentstehung ein langer, manchmal stunden– oder gar tagelanger Prozess.
„In meinen Bildern will ich ausgehend vom faktisch Sichtbaren etwas nicht Greifbares darstellen“, erklärt der Künstler. „Malerisch habe ich einen anderen Zugang zu dem, was mich aktuell beschäftigt, das sich dann von mir in unendlich vielen Entscheidungsprozessen löst und mir sichtbar gegenübertritt.“
Ein Bild ist in sich geschlossen.Gerd Hirschberg
Psychologe und Künstler
So sind seine Bilder komplexe Geschichten, in denen er sowohl mit seiner Fantasie als auch mit der des Betrachters spielt. „Ein gutes Bild ist in sich geschlossen, hat ein Oben und Unten und zeigt in eine Richtung und lässt da Raum ohne eindeutig festzulegen“, definiert Hirschberg seinen Schaffensprozess. „Es soll auffordern, seinen eigenen Assoziationen nachzuspüren, die dann durch das Geschaute aufgelöst werden.“
Statt Kunst studierte er lieber Psychologie
Als Künstler sieht er sich derweil selbst nicht, auch wenn er als Jugendlicher davon geträumt hatte und bei der expressionistischen Malerin Margarethe Krieger in Ausbildung ging.
Kunst war eine Option, doch dann studierte er lieber Psychologie. „Ich wollte mich nicht davon abhängig machen, wie andere meine Kunst finden, damit ich von der Kunst hätte leben können“, erinnert sich Hirschberg.
Hirschberg spielt auch Klavier, Cello und Gitarre
Er sieht sich eher bescheiden und glücklich als jemand, „der viele seiner Potenziale realisieren darf.“ So malt der 75-Jährige nicht nur, er fotografiert und spielt auch Klavier, Cello und Gitarre. Und er liebt es, mit dem Wohnmobil die Welt zu erkunden.
Während der Berufstätigkeit nach dem Studium fing der Vater zweier Töchter wieder mit dem Malen an und steckte damit zeitweise seine ganze Familie an. Inzwischen skizziert und malt er eigentlich nur für sich selbst - mal mehr, mal weniger. Obgleich er gerne Vernissagen veranstaltet, damit er sieht, wie seine Bilder auf andere wirken oder welche Gedanken sie bei ihnen auslösen.
Menschen sollen selbst kreativ werden
„Wenn die Menschen in meinem Bild etwas sehen, was ich gar nicht gemalt habe, ist es genau richtig, denn ich will niemanden festlegen“, erklärt Hirschberg. Er möchte vielmehr dazu anregen, die eigenen Sehgewohnheiten zu erweitern und selbst kreativ zu werden. „Das ist in meinen Augen die Aufgabe von Kunst.“
Zur Serie
Was ist Kunst? Und braucht man das? Der Acher- und Bühler Bote veröffentlicht in seiner Sommerserie in diesem Jahr Porträts von Künstlerinnen und Künstlern aus der Region. Sie sollen zeigen, welche Bandbreite künstlerisches Schaffen umfassen kann, von erfolgreichen Schülerinnen und Schülern bei regionalen Wettbewerben bis hin zu Künstlern, die von ihrer Arbeit leben können. Und wir fragen, was sich die Kreativen wünschen, wo sie Probleme sehen und wo sie sich gut gefördert fühlen.