Wenn das „Bürgermeisterhaus“ von 1822 sprechen könnte, es würde Bücher mit Geschichten füllen, die Familien mit ihren Kindern in dem Fachwerkhaus im Gewann „In den Höfen“ über die 200 Jahre hinweg in Freud und Leid erlebten.
Erbaut hat das Haus ein Bernhard Fallert, der von 1818 bis 1823 der „Vogt“ (Bürgermeister) war und 1814 Katharina Blust heiratet, so der Ortshistoriker Markus Bruder. Dieser hat viele alte Häuser in seinem Heimatort erforscht. Dazu gehört das „Bürgermeisterhaus“ des heutigen Eigentümers Paul Huber mit Familie, das vor 200 Jahren nach einem Brand im Stil eines typisches Winzerhauses erbaut wurde, wie dies damals unten im Tal von Sasbachwalden üblich war.
Lebensqualität Anfang des 19. Jahrhunderts äußerst bescheiden
Es war eine bettelarme Zeit. Die Leute mussten für ihr kärgliches Auskommen von früh bis spät hart arbeiten, sich um ihre Tiere kümmern und jeden Tag von Neuem sorgenvoll schauen, wie sie mit ihren vielen Kindern und dem wenigen Essen über die Runden kamen. Urlaub, Ausflüge und Vergnügungen gab es nicht, die Lebensqualität Anfang des 19. Jahrhunderts war äußerst bescheiden, das Wohnen spartanisch. Alle freuten sich, wenn es im Dorf ein Fest gab.
Die Bergbauern in den Steillagen des Tales hatten es ohne technische Hilfen enorm schwer, mit eigenen Händen und im Schweiße ihres Angesichtes Lebensmittel für die Familie und Futter für die Tiere anzubauen. Dann fehlte es gerade noch, dass die gebeutelten Bürger nach den napoleonischen Kriegen Lebensmittel, Tiere und Schnaps abliefern mussten.
Die Schulden der Gemeinde stiegen auf 32.000 Gulden, in Euro wäre dies ein sechsstelliger Betrag. Neben seinem Tagwerk als Bauer musste Vogt Fallert zum Leidwesen seiner Mitbürger die Kriegskosten eintreiben, Pfändungen verfügen und Umlagen erheben. Doch privat schien ihm das Glück hold zu sein, als er die 22-jährige Katharina Blust heiratet, die 1815 Sohn Anton zur Welt brachte. Doch nur fünf Monate später standen die Eheleute an dessen Grab und mussten großes Leid ertragen.
Dann kam 1816 Franziska zur Welt, es sollten dann nach den Forschungen von Bruder weitere 13 Kinder das Licht der Welt erblicken. Sechs Tage nach der Geburt des 15. Kindes Helena am 20. Oktober 1833 starb Katharina Blust im Kindbett. Am 4. November folgte ihr die kleine Helena. Welche Tragik im Haus herrschte, ist daran zu sehen, dass der Vater zwei Jahre nach dem Tod der Mutter die Töchter Euphrosina und Franziska innerhalb von 14 Tagen beerdigen musste. Der Ortshistoriker vermutet, dass in der Familie offenbar eine ansteckende Krankheit grassierte. Bernhard Fallert heiratete am 7. Januar 1835 Franziska Lehmann aus Ottenhöfen, doch er starb am 19. Juni 1835 mit 44 Jahren. Haus und Hof wurden verkauft, die Kinder kamen bei anderen Familien unter. Zwei wanderten aus.
1854 elendes Jahr in Sasbachwalden
Wie elendig damals die Lebenssituation der Menschen im „Saschwaller Tal“ war, belegt die Tatsache, dass 400 Personen nach Amerika auswanderten. Viele der Hungerleider und Tagelöhner wurden förmlich aus dem Ort gejagt. Die Gemeinde konnte sie nicht ernähren, Arbeit gab es keine. Zu allem Elend gesellten sich Krankheit und Tod. Die Ortsoberen sahen wie in vielen hiesigen Orten keine andere Möglichkeit, als den armen Leuten die Überfahrt nach Amerika zu bezahlen, was immer noch billiger war, als sie im Ort zu versorgen.
1854 war ein elendes Jahr in Sasbachwalden. Viele Bürger verkauften Hab und Gut. Die Fallert-Kinder Franz Karl und Theresia sahen nach dem Tod des Vaters und einem Berg von Schulden nur die Chance, ein neues Leben zu versuchen. Nach Pfarrer Ackermann war es ein „herzzerreißender Anblick“, als sich am 26. November 227 arme Personen nach einem Gottesdienst und dem Segen Gottes auf den Weg machten.
Was dann auf die Leute zukam, war eine einzige Tortur. Sie waren drei Monate auf See, viele wurden krank und starben, darunter 24 kleine Kinder. Auf der Kopie einer Schiffsliste der „Isabella“ von Bruder ist das Drama zu sehen. Hinter den Namen der armen Kinder steht der Totenschein „died before sailing“ oder „died after sailing“ (vor oder nach der Überfahrt gestorben). Unter den Auswanderern aus Sasbachwaden waren viele Witwen, ledige Frauen und 18 Familien, bei denen der Vater als Ernährer gestorben war.
Zur Serie:
Ihre Mauern können spannende Geschichten erzählen – von Glück, Streit, Armut, Kriegsleid, Tod und Aufbruch. In der Region gibt es zahlreiche Häuser, die mehrere Hundert Jahre alt sind. Der ABB blickt hinter die historischen Fassaden und stellt die Bewohner vor, die viel erlebt und Beeindruckendes geleistet haben – oder auch mit so mancher Kuriosität aufgefallen sind.