Der Ton des Martinshorns geht durch Mark und Bein. Ein Löschgruppenfahrzeug der Feuerwehr Baiersbronn-Obertal rast mit aufheulendem Motor in den Kreisverkehr am Ruhestein. Dann drückt sich der Lastwagen in die Parkplatz-Einfahrt des Nationalparkzentrums - und wird ausgebremst. Drei Autofahrer bekommen keine Rettungsgasse hin.
Die Großübung der Feuerwehren und der Bergwacht am Nationalparkzentrum war sehr real. Mitunter auch wegen der überforderten Autofahrer. Im Ernstfall sind das kostbare Sekunden, die den Rettungskräften fehlen. „Dafür üben wir ja“, sagt ein Schaulustiger am Straßenrand und lacht lauthals. Das Lachen geht in den Tatütatas aus allen Himmelsrichtungen unter.
Großübung mit Feuerwehren aus Seebach, Ottenhöfen und Baden-Baden
Bei der Übung der Feuerwehr Baiersbronn unter Beteiligung der Feuerwehren aus Seebach, Ottenhöfen, Baden-Baden und Freudenstadt sowie der Bergwacht waren 160 Einsatzkräfte vor Ort. Vier gleichzeitige Szenarien und 30 Opfer forderten die Rettungskräfte heraus. Die Simulationen wurden zeitverzögert in die Großübung „eingespielt.“
Das Fahrzeug aus Obertal kommt an der Westseite des Gebäudes an. Es geht alles ganz schnell. Zwei Feuerwehrmänner aus der Abteilung Obertal springen aus dem Fahrzeug. Sie haben schon fast ihre komplette Atemschutzmontur an.
Sie helfen sich bei den letzten Handgriffen gegenseitig. Zwei weitere Einsatzkräfte legen sich ihre Atemschutzgeräte vor dem Materialwagen an. Gerade rollen sie sich die Flammschutzhauben über ihre Gesichter.
Derweil kümmern sich vier weitere Feuerwehrmänner und -frauen um die Löschwasserversorgung. Einer öffnet mit einem Storzschlüssel im Handumdrehen die Deckel des Hydrantenrohrs. Parallel dazu rollen die anderen versetzt Schläuche die Einfahrt runter. Jeder Handgriff sitzt. Das Funkgerät knarrt: „Wir rücken über den Haupteingang in den Keller vor, kommen.“
Das Wichtigste ist aber, die vermissten Personen zu finden und zu bergen.Hermann Köhler, Übungsleiter
Eine solche großangelegte Übung gab es noch nie für die Feuerwehren aus dem badischen und württembergischen Teil. „Durch die weiten Anfahrtswege besteht die Herausforderung einfach darin, mit unseren benachbarten Feuerwehren aus dem Badischen die Koordination herzustellen“, erklärt Hermann Köhler, Übungsleiter und Abteilungskommandant Baiersbronn-Obertal.
Die Einsatzkräfte sind für die Übung ungefähr im zehn Kilometer Umkreis untergebracht. Es gehe darum, dieses Szenario zu üben. „Das Wichtigste ist aber, die vermissten Personen zu finden und zu bergen.“
Die Feuerwehren pflegen laut Übungsleiter Köhler zwar sehr gute Kontakte, haben aber wenig miteinander zu tun. „An diesem Gebäude wird aber künftig miteinander gearbeitet.“ Köhler verweist zudem auf mögliche Einsätze, die aufgrund des Klimawandels real werden könnten, wie etwa Waldbrände.
Inzwischen arbeiten sich die zwei Feuerwehrmänner unter Atemschutz im Gebäude etliche Treppenstufen nach unten in den Keller. Sie rollen die Löschschläuche die Treppen runter. Der Rauch wird immer dichter. Die Hand ist kaum vor Augen zu sehen. Die Taschenlampen an den Helmen leuchten den dichten Rauch wenigstens etwas aus, während sie weiter in den Keller vordringen.
An der Heizungsanlage sollen zwei Schweißer gearbeitet haben. Nach einer Verpuffung werden die beiden vermisst. „Der Bereich ist komplett eingenebelt“, betont Köhler, der das erste Szenario beschreibt. Die Arbeiter hätten vergessen die Türen zu schließen.
Deshalb zieht der Rauch durch das gesamte Gebäude. Auch ein Klassenzimmer mit einer Lehrerin und neun Kindern, die teilweise verletzt sind, werden dem Rauchgas ausgesetzt. Sie rufen wiederholt lautstark nach „Hilfe“ - Gänsehaut.
In der Enge des Kellers haben die Feuerwehrleute kaum Platz
Die zwei Schweißer werden von den Einsatzkräften nacheinander über die Treppen nach draußen getragen. Im engen Heizungsraum und im Treppenhaus haben die Feuerwehrleute mit den ausladenden Atemschutzgeräten auf dem Rücken kaum Platz. Zum Gewicht der Ausrüstung addiert sich noch das Gewicht der zu bergenden Person. Es ist ein schweißtreibender Kraftakt.
Nach ungefähr 20 Minuten werden schließlich die Kinder geborgen. Die Einsatzkräfte beruhigen die Kinder in einem ruhigen, väterlichen Ton, als sie ins Klassenzimmer laufen. Sie schließen die Türe, durchschreiten den Raum und öffnen die Fenster, damit der Rauch abzieht. Die Verletzten werden triagiert und anschließend mit vereinten Kräften ins Freie gebracht.
Wie ist der Druck? Kommen.Feuerwehrmann über Funk
Vor dem Gebäude setzt ein Feuerwehrmann gerade einen Funkspruch ab: „“3/48, Zwo für Atemschutzüberwachung, bitte kommen.“ Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: „Zwo hört, kommen.“ Der Mann mit dem gelben Klemmbrett entgegnet: „Frage: Wie ist der Druck? Kommen. “ Das Funkgerät knarrt.
Im zweiten Szenario haben sich 45 Personen in den Ausstellungsräumen des Nationalparkzentrums befunden. „Aber nur 30 wurden durchgezählt“, schildert Köhler die Lage. Von der Verwaltung werden noch 15 Personen vermisst. Deshalb arbeiten sich die Atemschutztrupps systematisch durch das große Gebäude am Ruhestein, um die Personen zu finden und zu bergen.
Auch das dritte Szenario hat es in sich: Der Skywalk-Turm auf der Ostseite des Zentrums ist verraucht. Plötzlich tragen zwei Feuerwehrleute eine weibliche Person nach draußen. Sie übergeben das Mädchen an die Einsatzkräfte der Bergwacht.
„Nicht ansprechbar“, attestiert der Empfänger nach ein paar Sekunden knapp an seine Kollegen. „Erstmal Atemkontrolle. Hallo, bist du noch da“, spricht ein Anderer das Mädchen direkt an.
Das ist mein Kind, das ist mein Kind.Eine Mutter, die sich aus der Zuschauertraube schält
Plötzlich schält sich aus der Zuschauertraube eine Frau. „Das ist mein Kind, das ist mein Kind“, ruft sie verzweifelt und beugt sich runter zu der leblosen Person. Die Einsatzkräfte beruhigen die Mutter und bringen die Tochter in die stabile Seitenlage. Anschließend wird sie vom Ausgangsbereich des Turms weg getragen und wird weiter versorgt.
Kurze Zeit später humpelt eine zweite Person mit Hilfe zweier Feuerwehrmänner aus dem Turm auf den Skywalk. Auch er wird von der Bergwacht in Empfang genommen. Er bekommt kurze Zeit später eine Art Klettergeschirr angelegt und einen Helm auf seinen Kopf gesetzt.
Im Hintergrund knarrt wieder das Funkgerät: „Haben eine Person der Bergwacht übergeben, kommen“. Die Antwort kommt direkt: „Ihr habt eine Person der Bergwacht übergeben, was ist mit der Zweiten?“
Der Verletzte wird mit Hilfe eines Seilzugs über die Brüstung gehoben. „Jetzt geht es bergab“, sagt der Mann von der Bergwacht zu dem Verletzten. „Finger weg“, ruft er noch. Dann schwebt die geborgene Person langsam am Seil die knapp 20 Meter nach unten zu den Feuerwehrleuten.
Beim vierten Szenario löschen die Einsatzkräfte einen Brand am Skilift Vogelskopf. „Klimawandel und dessen Folgen wird immer mehr zum Thema für uns“, erläutert Einsatzleiter Köhler diese Übung. Gerade die Wasserversorgung sei dabei besonders wichtig. In diesem Fall wird das Wasser an der Ruhestein-Schanze entnommen.
„Dort haben wir einen großen Behälter mit 1,1 Millionen Litern Wasser. Das heißt, man kann lang arbeiten.“ Dort werde die gesamte Wasserversorgung der B500 zwischen Freudenstadt und Seibelseckle sichergestellt.
In der Einsatzzentrale laufen alle Fäden zusammen
Alle Fäden laufen in der Einsatzzentrale zusammen, die vor der Bergwacht am Ruhestein aufgebaut wurde. Dort laufen die Meldungen von den Abschnittsleitern auf, welche Personen gerettet wurden.
Die Herausforderung dabei ist die Kommunikation mit der weiter entfernte Einsatzstelle am Vogelskopf. Jeder Abschnitt hat einen eigenen Funkkanal. Sonst würde es ein „heilloses Funkchaos geben.“
Zwischen Schanzenanlage und dem Waldbrandszenario am Parkplatz Vogelskopf wird von der Feuerwehr ein Kreislauf hergestellt. Die Feuerwehren Baden-Baden, Ottenhöfen, Freudenstadt und Baiersbronn tanken an der Schanze Wasser und fahren es hoch zum Vogelskopf. Dort wird anschließend ein Wasserbehälter befüllt, damit der Waldbrand gelöscht werden kann.
Nach ungefähr zwei Stunden Einsatz grinst Übungsleiter Hermann Köhler erleichtert. „Der Einsatz ist zu Ende.“ Er zieht ein positives Fazit. „Alle Personen wurden geborgen und gerettet.“ Auch der Brand sei gelöscht worden. Alles habe sehr gut funktioniert.
Entlang des Gebäudes beginnen die Feuerwehrleute ihre Ausrüstung zusammenzupacken. Über das Funkgerät knarrt eine Stimme: „Wir packen zusammen. Ende.“