In der Region wachsen die Bedenken gegen die vom Land angeordneten Einschränkungen des öffentlichen Lebens wegen der Corona-Pandemie. Der Konflikt um Stil und Inhalt der Ansagen aus Stuttgart, der bislang eher im Stillen ausgetragen wurde, brach sich am Donnerstag in einem kommunalpolitischen Gespräch mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann Bahn.
In einer Videokonferenz kritisierte der Landesvater vor allem die Entscheidung des Kreises, keine verlängerte Sperrzeit für die Gaststätten anzuordnen: „Ich habe vernommen, dass sich der Ortenaukreis dezidiert nicht an die Vorgabe gehalten hat. Das ist ein ungewöhnliches Verhalten“. Landrat Frank Scherer wies dies zurück: „Wir können nicht einfach ins Blaue hinein Grundrechte einschränken“.
Kreis wartet auf „klare Richtung“
Hintergrund sei aber auch das Hin und Her am Wochenende gewesen, als Kreis und Kommunen einen Erlass aus Stuttgart auf den Weg gebracht hatten, der dann umgehend überschrieben wurde. Der Kreis warte nun „auf eine klare Richtung aus dem Hause Lucha“, also dem Sozialministerium. Wenn man keinen nachvollziehbaren Kurs fahre, gehe die Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung verloren.
Auch der Offenburger Oberbürgermeister Marco Steffens mahnte die Verhältnismäßigkeit bei den Einschränkungen vor allem bei Veranstaltungen an. Die Stadt habe für entsprechende Hygienekonzepte gesorgt, die Neuregelung am vergangenen Wochenende umzusetzen „war schon schwierig“.
Viele Menschen sähen inzwischen „in der Freiheitsstadt Offenburg ihre Freiheitsrechte zu Grabe getragen“. Der Konflikt zwischen Land und Kommunen dreht sich in erster Linie um die Art und Weise, die das Land seine Erlasse mit heißer Nadel strickt, aber auch um die Inhalte.
Es wäre den Landratsämtern wichtig, wenn sie „frühzeitiger und planbarer reagieren“ könnten, forderte Landrat Scherer ein. Am Wochenende habe es in dieser Frage doch „gewisse Unwuchten“ gegeben.
Kontroverse um Sperrzeiten
Auch für diesen Donnerstag sei wieder ein neuer Erlass angekündigt, der dann von 35 Landkreisen nochmals in eigenen Verwaltungsakten umgesetzt werden müsse, Warum, so Scherer, könne man nicht gleich eine Verordnung erlassen, die dann unmittelbar rechtliche Wirkung entfalte.
Außerdem könne man „unterschiedlicher Meinung über die Verhältnismäßigkeit einer Sperrstunde sein“.
Die Pandemie ist schneller als unser Verwaltungshandeln.Winfried Kretschmann, Ministerpräsident
„Wir sind nicht besser durch die Krise gekommen als andere Länder, weil wir schlauer sind, sondern weil wir schneller sind“, so der Ministerpräsident. Es komme auf jeden Tag an: „Die Pandemie ist schneller als unser Verwaltungshandeln“. Es liege „nicht im Ermessen nachgeordneter Behörden“, darüber zu entscheiden, ob man Gesetze oder Verordnungen des Landes umsetzen will oder nicht, „die Justiz hat das letzte Wort und nicht die Exekutive“.
Keine Corona-Fallzahlen aus Offenburg mehr
In Bayern sei die Sperrstunde sogar auf 21 Uhr festgesetzt worden, in Baden-Württemberg rede man von 23 Uhr, so der Ministerpräsident, der diese Vorgabe verteidigte: „Bis spätestens zehn Uhr hat man gegessen, danach wird getrunken. Feuchtfröhliche Veranstaltungen aber sind nicht dazu angetan, die Disziplin zu festigen“.
Mittelbare Folge dieser Auseinandersetzung ist ganz offenkundig auch, dass der Ortenaukreis seit Donnerstag keine täglichen Zahlen der Corona-Neuinfektionen mehr veröffentlicht, sondern auf das Landesgesundheitsamt verweist. Dort nämlich ist der Kreis entgegen seiner eigenen Statistik bei der Sieben-Tages-Inzidenz wegen anderer Erhebungszeiträume noch unter dem entscheidenden Wert von 50 – und wäre damit nicht zuständig für die Anordnung von Einschränkungen. Die liege stattdessen (noch) bei den Kommunen.