Ein neues Auto abzuholen, ist für viele Käufer ein aufregendes Erlebnis. Ziemlich aufgeregt war auch Peter Steul, nachdem er in der vergangenen Woche im Rastatter Benz-Werk sein Auto entgegengenommen hatte.
Die Emotionen waren aber nicht der Freude über den neuen Wagen geschuldet. „So eine scheußliche Corona-Situation hab ich noch nie erlebt“, sagt Steul.
Der Ettlinger ist als Arzt sensibilisiert für den Infektionsschutz. Er zeigt sich schockiert darüber, was ihn an diesem Vormittag im Daimler-Kundencenter erwartete.
50 bis 60 Menschen hätten sich dort aufgehalten, die Mindestabstände seien zum Großteil nicht eingehalten worden. Die Besucher hätten zwar Maske getragen, teilweise aber nicht korrekt über Mund und Nase.
„Ich habe mich noch vor Ort beschwert“, sagt Steul. Die Mitarbeiter seien höflich und verständnisvoll, in letzter Hinsicht aber hilflos gewesen: „Sie haben mir geraten, mich an höherer Stelle zu beschweren. Sie würden selbst unter der Situation leiden und könnten nichts machen.“ Schon bei der ersten Corona-Welle im Frühjahr hatte ein Leser gegenüber unserer Redaktion ähnliche Zustände geschildert.
Kundencenter seit Mittwoch geschlossen
Der Konzern gibt sich auf Nachfrage zugeknöpft. Ein Sprecher nimmt keinen konkreten Bezug zu den Verhältnissen in Rastatt, sondern antwortet lediglich allgemein: „Unsere Kundencenter halten sich stets an die behördlichen Anweisungen sowie die Maßnahmen des Infektionsschutzes. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns darüber hinaus nicht äußern.“
Mittlerweile kann es zu keinen größeren Ansammlungen im Kundencenter mehr kommen. Wegen des Lockdowns hat seit Mittwoch auch das Kundencenter geschlossen.
„Kunden, deren Fahrzeugabholungen im Dezember 2020 im Kundencenter Rastatt geplant sind, werden selbstverständlich vom Kundencenter betreut und erhalten ihr Fahrzeug. Die Übergaben finden als reine Schlüssel-Übergaben statt“, teilt der Konzern mit. Werkbesichtigungen und Parcours-Erlebnisfahrten sind nicht möglich. Auch Restaurant und Shop sind dicht.
Städtisches Ordnungsamt hat keine Hinweise auf Verstöße
Damit hat sich auch das Vorhaben der Rastatter Stadtverwaltung erledigt, die Abläufe im Kundencenter in den kommenden Tagen zu überprüfen. Dies hatte Pressesprecherin Heike Dießelberg als Reaktion auf eine entsprechende Anfrage unserer Redaktion in Aussicht gestellt.
Zumindest in der Vergangenheit habe die Verwaltung keine Hinweise auf Verstöße gegen die Corona-Verordnung gehabt. Steul berichtet allerdings, auch die Stadtverwaltung von seinen Beobachtungen informiert zu haben. Ordnungsamtsleiter Christian Junger attestiert dem Konzern aber zumindest auf dem Papier ein „vorbildliches Hygienekonzept“.
Klare Regeln auf der Homepage
Auf seiner Homepage macht der Konzern auf durchaus rigide Regeln aufmerksam. Zur Maskenpflicht heißt es dort unter anderem: „In allen Bereichen des Kundencenters besteht die Pflicht zum permanenten Tragen eines geeigneten Mund-Nasenschutzes. Plastikvisiere, Masken mit Ventilen o.ä. schützen nicht Ihre Umgebung und sind daher bei uns im Kundencenter nicht zulässig. Sollten Sie aus zum Beispiel gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nasenschutz tragen dürfen, werden wir Ihnen den Zugang zum Kundencenter aus Fürsorge gegenüber anderen Kunden und unseren Mitarbeitern nicht gewähren.“
Das ist unwürdig für ein so großes Unternehmen.Peter Steul, Daimler-Kunde
Abholtermine über den Tag verteilt sollen die Mindestabstände gewährleisten. „Um in allen Bereichen den Mindestabstand einhalten zu können, bitten wir Sie, Ihr Fahrzeug aktuell möglichst alleine abzuholen. Wir danken für Ihr Verständnis, dass insbesondere bei der Fahrzeugübergabe gegebenenfalls die Personenanzahl von uns beschränkt werden kann“, heißt es weiter.
Diese Vorgaben sah Steul bei seinem Besuch allerdings nicht erfüllt. Um 10 Uhr sei er im Kundencenter gewesen, rund eineinhalb Stunden später fuhr er mit seinem neuen Auto davon. In diesem Zeitraum seien zu viele Menschen gleichzeitig vor Ort gewesen, moniert er: „Das ist unwürdig für ein so großes Unternehmen.“