Für manche Kinder sind die Stunden, die sie mit Franziska Reichert und Nina Wöber verbringen, die schönsten in der Woche. In einem geschützten Rahmen können sie dabei über ihre Gefühle reden und über das, was zu Hause gerade los ist.
Einmal in der Woche für zwei Stunden sind da andere Kinder in einem ähnlichen Alter, denen es ähnlich geht wie ihnen selbst. Einmal in der Woche trifft sich die Gruppe „Drachenreiter“ für jeweils zwei Stunden in den Räumen der Caritas in Rastatt.
Das, was die „Drachenreiter“-Kinder zu Hause erleben, hat mit einem normalen kindlichen Alltag oft nichts zu tun: „Die Gruppe ist ein Angebot für Sechs- bis Zehnjährige, die aus sucht- oder psychisch belasteten Familien kommen“, erklärt Martina Rapp, Leiterin der Fachstelle Sucht des BWLV in Rastatt.
Sie stehen unter immensem Druck.Martina Rapp, Leiterin Fachstelle Sucht
Zwar unterschieden sich psychische und Suchtkrankheiten deutlich, die Auswirkungen auf Kinder seien aber oft sehr ähnlich: „Sie stehen unter immensem Druck, trauen sich oft nicht, über die Probleme daheim zu sprechen, fühlen sich schuldig an dem, was mit ihren Eltern passiert“, sagt Rapp.
„Drachenreiter“ ist ein Kooperationsprojekt: Betreut wird es vom Caritasverband für den Landkreis Rastatt sowie vom Baden-Württembergischen Landesverband für Prävention und Rehabilitation (BWLV), die Finanzierung erfolgt durch den Landkreis Rastatt.
Auch dort hat man erkannt, wie wichtig „Drachenreiter“ ist: In der Sitzung des Kreisausschusses für soziale Angelegenheiten im Juni wurde nicht nur der Projektzeitraum um weitere fünf Jahre verlängert („Drachenreiter“ gibt es seit 2019), sondern das Budget noch einmal erhöht, so dass jetzt sogar eine zweite Gruppe eingerichtet werden kann.
Sie startet im Januar in Bühl. Rund „30.000 Euro lässt sich der Landkreis das Projekt jährlich kosten“, erklärt Gudrun Pelzer, kommunale Suchtbeauftragte des Landkreises.
Bei den „Drachenreitern“ in Rastatt lernen Kinder, mit der Situation umzugehen
Die beiden Sozialpädagoginnen Nina Wöber und Franziska Reichert versuchen, den Kindern ihre Ängste und Sorgen zu nehmen: „Wir holen sie selbst zu Hause ab und bringen sie nach Rastatt, wo unsere Treffen in den Räumen der Caritas stattfinden. Nach einer Begrüßung, wo jeder über seine Gefühle reden darf, wird etwas gegessen“, berichtet Wöber.
„Dieses gemeinsame Essen ist für die Kinder ein wichtiger Bestandteil des Treffens“, fügt ihre Kollegin an. Anschließend wird ein Thema behandelt, das den Kindern die Erkrankung ihrer Eltern näherbringen oder ihnen Werkzeuge an die Hand geben soll, wie sie mit der Situation zu Hause umgehen können.
Ganz wichtig sei es, den Grundschülern zu vermitteln, dass es nichts mit ihnen zu tun hat, wenn es ihrer Mama oder ihrem Papa schlecht geht, so die beiden Sozialpädagoginnen. „Sie lernen bei uns, auf sich selbst zu achten“, sagt Mandy Kreuzinger vom Caritasverband.
So ernst die Themen auch sind, die bei den „Drachenreiter“-Treffen behandelt werden: Der Spaß kommt auch nicht zu kurz. „Bei uns wird auch gebastelt, gespielt und vor allem viel getobt“, sagt Nina Wöber.
„Obwohl es ja recht belastende Themen sind, die wir behandeln und obwohl die Kinder die anderen in der Gruppe anfangs ja noch nicht kennen, sind alle gerne bei uns. Bisher wollten alle nach ihrem Schnuppertag wiederkommen“, betont Reichert.
Und weiter: „Die Kinder haben bei uns einfach ein wenig unbeschwerte Zeit und können sich auch sicher sein, dass nichts von dem, was besprochen wird, nach draußen dringt.“
Dass das Angebot ein voller Erfolg ist, belegen auch die Zahlen: Für die Rastatter Gruppe gab es eine Warteliste, die dank der Budgetaufstockung und der Gründung der Bühler Gruppe nun abgebaut werden kann – schon jetzt sind sowohl in Rastatt als auch in Bühl nur noch wenige Plätze frei.
„Und das, bevor wir mit der zweiten Gruppe überhaupt gestartet sind“, sagt Kreuzinger. Insgesamt können jeweils acht Kinder aufgenommen werden, die dann ein Jahr lang bleiben dürfen.
Es sei aber auch ein gut durchdachtes Konzept, so Martina Rapp. Dadurch, dass die Kinder zu Hause abgeholt und auch wieder gebracht werden, egal, wo im Landkreis sie wohnen, sei das Angebot sehr niedrigschwellig. Der Kontakt zu den betroffenen Familien komme selten direkt zustande, sondern meiste über Schulsozialarbeiter, über Beratungsstellen oder das Jugendamt.
Die gute Resonanz spreche für die tolle Vernetzung der verschiedenen Institutionen im Landkreis. Die „Drachenreiter“ treffen sich in Rastatt ab Januar immer donnerstags, in Bühl immer mittwochs. Auch in den Sommerferien gibt es in der Regel ein Angebot.
„,Drachenreiter’ ist ein richtiger Schatz“, sagt Uwe Herm, ebenfalls vom Caritasverband. „Die Gruppe ist ein Gegenentwurf zu dem, was die Kinder von zu Hause kennen. Und genau das macht das Angebot auch so wichtig und wertvoll für sie.“