Die Bandbreite der Reaktionen war völlig unterschiedlich. „Einige wollten überhaupt nicht mit mir sprechen, andere sagten, sie hätten keine Zeit oder mich nicht verstanden. Wieder andere haben mich in ihre Wohnung eingeladen und mir einen Tee angeboten.“ So schildert Matthias Stickl, als Sozialarbeiter für die Gemeinwesenarbeit im Rastatter Bahnhofsviertel zuständig, seine Erfahrungen aus den Gesprächen, die er in den vergangenen Wochen mit Geschäftsleuten und Anwohnern im Bereich des Bahnhofs geführt hat.
Im Zuge des landesweiten Förderprogrammes „Nachbarschaftsgespräche - Zusammenleben, aber wie?“ sucht die Stadt Lösungsansätze, wie dieser nicht unproblematische Bereich aufgewertet werden kann. Insgesamt 39 persönliche Gespräche seien es gewesen, rechnet Stickl vor - in einem Gebiet, in dem etwa 70 Prozent der rund 2.300 Bewohner einen Migrationshintergrund aufweisen, so dass es hier einen Mix aus teilweise völlig verschiedenen Kulturen gibt, wie Stickl betont. Aus mehreren Mails und zahlreichen Facebook-Einträgen sei neben den direkten Kontakten ebenfalls ein Bild entstanden, welche Wünsche und Anregungen für besonders wichtig gehalten werden.
Thema Sicherheit spielt eine große Rolle
Alle gesammelten Erkenntnisse aus mehreren Themenbereichen werden bei einer coronagerechten Bürgerversammlung am 29. Oktober im Theatersaal der Rastatter Reithalle präsentiert und Möglichkeiten der Umsetzung der Ideen erörtert. „Es geht darum, zu entscheiden, was sofort, vielleicht erst später oder gar nicht gemacht werden kann“, erklärt Stickl.
Eine Anregung, die er immer wieder hörte: „Mehr Sitzgelegenheiten in der Innenstadt, vor allem am Kulturplatz.“ Der Sozialarbeiter könnte sich die Einrichtung sogenannter Parklets vorstellen, eine Erweiterung des öffentlichen Gehweges, die anstelle von Parkplätzen Raum für Menschen, etwa durch Bänke, bietet. Eine große Rolle spielt auch das Thema Sicherheit. Anwohner Jamil Shinwari aus Afghanistan etwa sagt: „Wir fühlen uns sicherer, wenn wir Polizei sehen.“ Und: „Wir fahren lieber mit dem Bus zum Bahnhof, als durch die Bahnhofstraße zu laufen“, ist ein weiteres Statement, das nicht selten zu hören ist.
Diebstähle, nicht zuletzt von Fahrrädern, und Sachbeschädigungen würden moniert, genauso wie die geringe Zahl von Mülleimern. „Tempo 30 wird oft nicht eingehalten und in den Nachtstunden gerast“, lautet die Kritik mehrerer Anwohner. Von den Schwierigkeiten, noch Parkplätze zu finden, erfuhr Stickl ebenfalls immer wieder, so dass die Überlegung bestehe, in diesem Bereich das Anwohnerparken auszubauen. Mehr Grün im öffentlichen Straßenraum: Diesen Vorschlag hält der Sozialarbeiter für keineswegs unrealistisch und denkt an den verstärkten Einsatz von einheimischen Blumen, die angepflanzt werden sollten, um etwa den Bienenvölkern auf dem Dach der Badner Halle oder auf dem Landratsamt besseren Lebensraum zu bieten.
Zu wünschen wäre eine breitere kulinarische Versorgung.Matthias Stickl / Sozialarbeiter
Bahnunterführung, Hilberthof, die seit langem leerstehende Gaststätte „Zum Markgraf“ oder ein überbelegtes Haus in der Roonstraße - dies sind weitere Fixpunkte im Bahnhofsumfeld, die ins Zentrum der Kritik gerieten. Um die gemeinsame Identität zu stärken, würde Stickl eine Neuauflage des Bahnhofstraßenfestes begrüßen, das in diesem Jahr Corona weichen musste.
Wenn es um die optische Veränderung der Bahnhofstraße geht, stehe die Mixtur der Geschäfte aus Wettbüros, Dönerläden, Friseuren und Nagelstudios auf dem Prüfstand: „Zu wünschen wären eine breitere kulinarische Versorgung, ein schönes Café, ein Waschsalon oder auch ein Markt mit regionalen Produkten“, formuliert Stickl weitere Wünsche, die zur Aufwertung des Gebietes geäußert wurden - ebenso wie eine Eislaufbahn im Winter oder ein Feld zum Boulespielen.
Stickl plant im Übrigen, außerhalb seiner Räumlichkeiten in der Rauentaler Straße vorübergehend ein „Pop-up-Büro“ in der Bahnhofstraße zu beziehen, um noch näher an den dort lebenden Menschen dran zu sein. Und er hat die Idee, kleine Fotosessions in dieser Straße zu veranstalten: „Interessenten könnten sich fotografieren lassen und ihre Geschichte erzählen. Die Ergebnisse wären dann bei der Bürgerversammlung zu sehen.“