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Mehr als 700 Exemplare verkauft

Warum das Kochbuch der Lebenshilfe Bischweier nicht nur Menschen mit Handicap begeistert

Was macht ein gutes Kochbuch aus? Die Gerichte müssen einfach zu verstehen und leicht nachzukochen sein. Die Lebenshilfe punktet mit einem ganz besonderen Werk.

In der Wohnheimküche in Bischweier geht es munter zu. Susanne Schulmann (Dritte von rechts) schaut, dass beim gemeinsamen Kochen alles richtig läuft.
In der Wohnheimküche in Bischweier geht es munter zu. Susanne Schulmann (Dritte von rechts) schaut, dass beim gemeinsamen Kochen alles richtig läuft. Foto: Sabine Wenzke

Bischweier – Sunhild (47) schält Kartoffeln, Jan (20) gibt seinen Kommentar dazu, Mandy (36) hackt Petersilie. Sie strahlt über das ganze Gesicht. Auf dem Herd köchelt das Salzwasser mit den Lorbeerblättern im Topf. Weitere Helfende drängen sich um die Kochinsel in der Küche, andere decken den Tisch.

Es gibt „Rahmblättle mit Wiener Würstchen“ im Wohnheim der Lebenshilfe in Bischweier. Das Rezept ist leicht nachzukochen. Nicht nur für Menschen mit Handicap. Auch Menschen ohne jegliche Kochkenntnisse gelingt damit ein schmackhaftes Essen.

Mit dem Kochbuch betritt die Lebenshilfe Neuland

Das Gericht ist eines von 15 Rezepten in dem Kochbuch „Komm, wir kochen was!“ Herausgekommen ist es im Dezember vergangenen Jahres. Und seither findet es guten Absatz. 1.000 Exemplare wurden aufgelegt, mehr als 700 Exemplare bereits verkauft. Darüber freut sich die Lebenshilfe, Kreisvereinigung Rastatt/Murgtal, die das bebilderte Buch initiiert und damit Neuland betreten hat.

Die Fragestellung lautete: „Was können wir tun, um Menschen mit Beeinträchtigungen verstärkt Teilhabe im Sozialraum zu ermöglichen, Kopfbarrieren abzubauen und Inklusion zu fördern?“ Die Antwort: „Ein Kochbuch in leichter Sprache zu schaffen, das vielen Menschen zugänglich ist.“ Weil gemeinsames Kochen verbindet und Spaß macht.

Gerichte wurden bei einem Fotoshooting gekocht

Ute Stoll vom Büro für Leichte Sprache, die auch Inklusionsbeauftragte der Lebenshilfe ist, blickt auf die Entstehung des Premierenwerks zurück, das in relativ kurzer Zeit geschaffen wurde: „Das war schon ein Brett“. Erst wurden Lieblingsrezepte der Menschen mit Beeinträchtigungen gesammelt, dann eine Auswahl getroffen und bei einem Fotoshooting die Gerichte dann gekocht.

Immer zusammen mit einem bekannten Gesicht im Duo – wie etwa Bürgermeister Frank Kiefer aus Ötigheim oder Rupert Felder, dem Vorsitzenden der Lebenshilfe. Köstlicher Essensgeruch zieht inzwischen durch die Küche. Hauswirtschafterin Susanne Schulmann schaut, dass ihre Küchenhelfer alles richtig machen, würzt nach, wo es notwendig ist.

24 Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen leben aktuell in zwei Wohngruppen in dem Haus, das auch zwei Kurzzeitplätze bietet. Die Bewohner sind zwischen 20 und 65 Jahre alt. Die meisten sind gerade von der Arbeit in den Murgtalwerkstätten gekommen und freuen sich nun auf das Abendessen.

Die Freude am gemeinsamen Tun ist offensichtlich. Wie bei Mandy. Sie hilft auch in den Werkstätten in der Küche, erzählt sie stolz. Kochen mache ihr Spaß, sagt sie, und das Kochbuch, das im Regal der Wohnheimküche seinen festen Platz hat, gefällt ihr sehr gut.

Texte des Kochbuchs wurden in die leichte Sprache übersetzt

Das Buch ist nach den Regeln der leichten Sprache übersetzt. Um die Texte besser lesen zu können, wird der „Medio-punkt“ verwendet. Er trennt lange und schwierige Wörter. Zum Beispiel heißt es darin: „Kartoffel.puffer mit Lachs und Kräutercreme“.

Mandy ist jetzt voll in ihrem Element und rührt mit geröteten Wangen gleich in zwei großen Kochtöpfen, damit nichts anbrennt. Hausteamleiterin Isabell Reiß schaut vorbei und erzählt ein bisschen etwas über das Leben im Irene-Dekorsy-Haus, wie das Wohnheim offiziell heißt.

Saisonale Produkte aus dem eigenen Garten kommen zum Einsatz

Der barrierefreie Neubau wurde im August 2015 eröffnet und liegt zentral gleich neben Schule und Kindergarten. Zu den Geschäften im Ort ist es nicht weit. Jeder Bewohner hat ein eigenes Zimmer. Und es gibt „Appartements“ mit Verbindungstür zum Nachbarzimmer, denn auch Paare leben in dem Haus. Gemeinschaftsküche, Wohnzimmer und Bistro komplettieren das Angebot.

Einmal in der Woche ist gemeinsamer Haus- und Hofputz angesagt. Er dient dazu, „ein Verantwortungsgefühl zu bekommen“, erläutert Reiß. Und es gibt Bildungs- und Freizeitangebote – zu letzteren zählen etwa Walking, Fußball, Basketball, Bowling, Tanzen, Zoo- oder Festbesuche. Einmal im Jahr ist auch eine Wohnheim-Freizeit angesagt – in diesem Jahr ist Holland das Ziel. Kräuter und Gemüse ziehen die Bewohner in Hochbeeten und im Garten am Haus.

So kommt saisonale Frische auch aus eigenem Anbau auf den Tisch. Dort dampfen inzwischen die Rahmblättle mit Wiener Würstchen in tiefen Tellern. Schlagartig wird es still in dem Raum, in dem jetzt nur noch das Klappern der Löffel zu vernehmen ist. Ein junger Mann ist besonders schnell fertig mit seiner Mahlzeit und eilt zum Kochtopf, um sich einen Nachschlag zu holen. „Das schmeckt so gut“, sagt er und schnalzt genüsslich mit der Zunge.

Service

Das Kochbuch „Komm, wir kochen was!“ kostet 19,90 Euro und ist in den Buchläden Bücherwurm in Gaggenau, Bücherstube in Gernsbach und Bücherinsel in Durmersheim erhältlich oder direkt bei der Lebenshilfe Rastatt/Murgtal, Büro für Leichte Sprache „Klar·text“, Pionierweg 3-4, 76571 Gaggenau, Telefon (0 72 25) 6 80 81 30, E-Mail: stoll.ute@m-w-w.net.

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