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Poeten-Wettstreit im „Knast“

Dichterschlacht im Jugendarrest: Gelingt das Experiment?

Es ist unbekanntes Terrain für die Organisatoren. Ein Dichter-Wettstreit im Jugendknast? Die Insassen freuen sich erst mal nicht „da zu sein“. Die Poety-Slam-Organisatoren sind gespannt, was passiert.

Erster Poetry Slam in der Arrestanstalt: Organisator Rolf Suter, der Mann mit roter Hose, präsentiert die Finalisten Tobias Schill, Wolfgang Wetter und Lars Sörensen, von links.
Erster Poetry Slam in der Arrestanstalt: Organisator Rolf Suter, der Mann mit roter Hose, präsentiert die Finalisten Tobias Schill, Wolfgang Wetter und Lars Sörensen, von links. Foto: Ralf Joachim Kraft

„Hey, du warst echt real“, meint ein junger Mann in Reihe zwei beim Poetry Slam. Sein Sitznachbar verabschiedet Lars Sörensen mit der Ghetto-Faust. Ein anderer ruft ihm beim Hinausgehen zu: „Vieles von dem, was du da gesagt hast, hat auf uns zugetroffen.“

Sörensen ist baff. „Damit habe ich nicht gerechnet. Sowas höre ich nicht oft“, sagt der frisch gebackene Gewinner des ersten Rastatter Jugendarrest-Poetry Slams.

Tosender Applaus für den „Dänen aus Karlsruhe“

13 Arrestanten, elf junge Männer und zwei Frauen, haben den „Dänen aus Karlsruhe“ mit tosendem Applaus gerade zum Sieger des Poetry Slams geklatscht. Auf den Plätzen zwei und drei landen Wolfgang Wetter aus Mühlacker und Tobias Schill aus Karlsruhe.

Stolz verlässt Sörensen mit seinen Mitstreitern kurz nach 15 Uhr den Schulungsraum im obersten Stockwerk der Jugendarrest-Anstalt Rastatt (JAA). Im früheren Knast sitzen derzeit 16 straffällig gewordene Jugendliche ein. Durch erzieherische Maßnahmen soll ihnen der Weg in eine Zukunft ohne Kriminalität geebnet werden.

Das ist ein Experiment.
Rolf Suter, Organisator

Als der Poetry Slam um 13 Uhr beginnt, weiß noch keiner so genau, wie sie sich entwickeln wird. „Das ist ein Experiment“, verrät Organisator Rolf Suter, als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt. „Heute Morgen sind wir noch mal die Texte durchgegangen“, erzählt der pensionierte Sozialarbeiter aus Weingarten.

„Die Frage ist: Können die Insassen damit etwas anfangen?“ Man bewege sich auf unbekanntem Parkett. Aufgeregt ist der 61-Jährige nicht, aber gespannt. Zumal der JAA-Slam auf seine Initiative hin veranstaltet wird. Auch soll er das Auftakt-Event der Vereinigung „Landkulturschaffende Südwest“ sein.

Slam-Master moderiert den Dichter-Wettstreit

Literaten aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und der Schweiz bauen über Landesgrenzen hinweg ein Netzwerk für regionale und grenzüberschreitende Kulturveranstaltungen auf. „Die Leidenschaft und nicht das kommerzielle Interesse treibt uns auf die Bühne“, sagt Suter. Er wird als Slam-Master den Dichter-Wettstreit moderieren.

Die Arrestanten dürfen als Jury mit Wertungstafeln und durch Applaus bestimmen, wer ins Finale einzieht und am Ende gewinnt. Ein Justizvollzugsbeamter achtet darauf, dass beim Poetry Slam nichts aus dem Ruder läuft.

Ein Slam lebt von der Vielfalt der Menschen

Die Regeln des Poetry Slams erklärt Rolf Suter gleich zu Beginn. Eine davon lautet: „Respektiert die Poeten!“. Dann begrüßt der Slam-Master Hanspeter Fettig aus Grötzingen. Der gebürtige Steinmauerner, von Beruf Psychotherapeut, macht sich Gedanken über all die Mauern in der Welt und in unseren Köpfen, die es einzureißen gilt. Dann startet der eigentliche Slam. Er lebt von der Vielfalt der Menschen, Stile, Textinhalte und der „Performance“ der Künstler. Jeweils sieben Minuten haben sie Zeit, die Gunst des Publikums zu gewinnen.

Lehrer Tobias Schill eröffnet mit dem Beitrag „Pausendöner“. Wortgewandt philosophiert er über Ereignisse während einer Schulpause. Wolfgang Wetter zeigt witzig in gereimten Worten auf, was bei einer betriebsärztlichen Untersuchung alles schiefgehen kann.

Ich freu‘ mich total, hier zu sein.
Christiane Storck, Poetry-Slamerin

Anja Vocke aus Landau begibt sich auf die Suche nach dem eigenen Ich – frei nach dem Motto „Wer bin ich? Wie viele bin ich? Und darf ich die alle kennenlernen?“. Christiane Storck aus Grötzingen sinniert „smart“ und gesundheitsbewusst über Saugroboter und Buddha-Bowls. „Ich freu‘ mich total, hier zu sein“, sagt sie und erhält die passende Antwort: „Wir nicht“.

Sieger Lars Sörensen: In den Texten des „Karlsruher Dänen“ konnten sich die Jugendlichen am ehesten wiedererkennen.
Sieger Lars Sörensen: In den Texten des „Karlsruher Dänen“ konnten sich die Jugendlichen am ehesten wiedererkennen. Foto: Ralf Joachim Kraft

In einem impulsiven Beitrag wettert Lars Sörensen über alle, „die verlernt haben, auch mal die Fresse zu halten, wenn sie etwas stört“. Mit der höchsten Punktzahl zieht er ins Dreier-Finale mit Applaus-Abstimmung ein.

Schill lässt dort im Text „Ensemble“ die „verschiedenen Wesen in mir“ toben. Wetter kredenzt unter dem Titel „Alles Werbung – oder auf der Suche nach dem verschwundenen Goldbär“ einen urkomischen, aus Slogans, Produkt- und Herstellernamen kreierten Beitrag.

Slams zaubern Bilder in die Köpfe

Sörensen kehrt derweil in seine Schulzeit zurück. Unzufrieden mit dem eigenen, unförmigen Körper, ist der von den Schulkameraden oft Gehänselte in die langhaarige Blondine in der Bank vor ihm verknallt. Doch die hat nur Augen für den durchtrainierten Klassenschönling. Das kommt bei den jungen Leuten gut an. Sie kichern, tuscheln, lachen lauthals drauf los. Bilder im Kopf, viel Identifikation.

Die Insassen erkennen sich in den Beiträgen des Poetry Slams wieder. Wohl deshalb setzen sie Sörensen die Dichterkrone auf. Ob sich Rolf Suter und die JAA eine Wiederholung, gegebenenfalls sogar eine Aktion mit den Insassen selbst, vorstellen können? Antwort: Ja.

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