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Bei Pendlern staut sich Frust

Grenzgänger aus dem Elsass klagen über Stimmungsmache und Corona-Kontrollen

Tägliches Warten an der deutsch-französischen Grenze, dauernde Kontrollen wegen des Coronavirus, zeitaufwendige Fahrten bis zum Arbeitsplatz, keine Möglichkeit, in Deutschland einzukaufen oder zu tanken, obwohl das auf direktem Weg zur Arbeit eigentlich erlaubt ist, und obendrein eine „Stimmungsmache gegen Elsässer“, die viele Grenzgänger als „beschämend und unwürdig“ empfinden.

Eine schier endlos lange Schlange: Seitdem die Bundespolizei an der Grenze kontrolliert, müssen sich die Verkehrsteilnehmer an der Staustufe Iffezheim in Geduld üben.
Eine schier endlos lange Schlange: Seitdem die Bundespolizei an der Grenze kontrolliert, müssen sich die Verkehrsteilnehmer an der Staustufe Iffezheim in Geduld üben. Foto: Collet

Berufspendler aus dem Elsass brauchen derzeit starke Nerven, sofern sie diese nicht schon verloren haben.

Manche geben gegenüber unserer Redaktion offen zu, dass sie die Situation zunehmend frustriert. „Wir Grenzgänger fühlen uns wie Menschen zweiter Klasse“, macht Gabriele Großmann ihrem Unmut Luft.

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Die Pendlerin lebt in Stattmatten und arbeitet in Baden-Baden. Jeden Morgen braucht sie gut zwei Stunden bis zu ihrem Arbeitsplatz, „statt einer halben Stunde wie üblich“.

Während die Lkw, die nur etwa zehn Prozent ausmachen, morgens einfach durchgewunken werden, müssen die Berufspendler anhalten.
Gabriele Großmann

Gleiches berichtet auch Meike Rosenthal aus Roeschwoog, die in Rastatt arbeitet. Man könne sich nicht vorstellen, was morgens ab 4.30 bis 8.30 Uhr an der Grenze los sei. „Angeblich sollte es doch mit der grünen Grenzpendlerbescheinigung ganz einfach sein. Während die Lkw, die nur etwa zehn Prozent ausmachen, morgens einfach durchgewunken werden, müssen die Berufspendler anhalten und Ausweise oder andere Dokumente vorzeigen“, berichtet Großmann.

Nach den Grenz- lauern noch die Radarkontrollen

Wenn man es dann endlich über die Grenze geschafft habe, lauere in Deutschland die Radarkontrolle. „Frühmorgens sind noch alle Geschäfte zu. Und abends, wenn wir nach einem stressigen Tag wieder daheim sind, bekommen wir in Frankreich viele Lebensmittel nicht mehr oder die Geschäfte haben bereits geschlossen.“

Berufstätige, die feste Arbeitszeiten haben und zu einer bestimmten Uhrzeit im Betrieb sein müssen, haben es doppelt schwer. Wie Markus Großmann, der die Hundepension im Baden-Airpark leitet. „Ich fahre jeden Morgen um 4.45 Uhr los, weil meine Arbeitszeit um 7 Uhr beginnt. Zu dieser Zeit bringen Leute, die ebenfalls zur Arbeit müssen, die Tageshunde vorbei.“

Denen könne man nicht sagen, „sorry, es hat an der Grenze halt zu lange gedauert“. Der Stress jeden Morgen mache auf Dauer krank. „Und jetzt hat die Bundesregierung angekündigt, dass die Grenzkontrollen um weitere 20 Tage bis zum 4. Mai verlängert werden.“

Immer mehr Berufspendler lassen sich krankschreiben

Man dürfe sich nicht wundern, wenn sich immer mehr Berufspendler krankschreiben ließen. „Vielleicht merkt man ja, wie systemrelevant sie sind, wenn sie fehlen.“ Zu den systemrelevanten Berufen zählten offenkundig nur die Klinikmitarbeiter, der Rest müsse schauen, wo er bleibt.

„Die Wintersdorfer Grenze wird morgens zwei Stunden lang für die Krankenhausbeschäftigten geöffnet. Mich würde mal interessieren, wie viele Autos da morgens rüberfahren. Wenn ich nämlich jeden Morgen hier abbiege, habe ich noch nie eines gesehen“, sagt Gabriele Großmann und fügt hinzu: „Wir alle fahren ja nicht zum Vergnügen über die Grenze. Wir sind Mitarbeiter, die Betriebe am Laufen halten“.

Auch Meike Rosenthal kann nicht nachvollziehen, warum Grenzgänger, die zum Beispiel im Einzelhandel oder bei Banken arbeiten, nicht systemrelevant sein sollen.

Werden Grenzpendler wegen Coronavirus im deutschen Supermarkt denunziert?

Eine andere Sache stört die Befragten noch mehr: Fast im selben Wortlaut berichten Grenzpendler unabhängig voneinander, dass Fahrzeuge mit französischen Kennzeichen in Deutschland nicht nur verstärkt bei den Supermärkten kontrolliert würden.

Manche wurden sogar mit Eiern oder Tomaten beworfen.
Meike Rosenthal

Man werde beim Einkaufen sogar denunziert, wenn nicht gar angezeigt, bekomme Zettel ans Auto geklebt, dass man in Deutschland unerwünscht sei. „Und manche wurden sogar mit Eiern oder Tomaten beworfen. Die deutsch-französische Freundschaft und Kooperation stelle ich mir anders vor“, sagt Rosenthal.

Und Großmann ergänzt: „Wo bleibt da Europa? Sollen wir den Deutschen, wenn die Corona-Krise überstanden ist und sie wieder zum Schlemmen und Einkaufen ins Elsass stürmen, dann auch solche Zettel ans Auto kleben und sie mit Eiern bewerfen?“

Beinheimerin schreibt in Covid-19-Krise Beschwerdebrief an Kanzlerin Merkel

Von verbalen Anfeindungen und zerkratzten Autos auf Supermarkt-Parkplätzen in Grenznähe berichtet auch Doris K. aus Beinheim. Sie hat sich „im Namen von vielen Berufspendlern“ in einem Brief an die Bundeskanzlerin den Frust von der Seele geschrieben.

Mit dem Fahrzeug ihres Mannes fährt sie erst gar nicht mehr über die Grenze, da es ein französisches Nummernschild hat. Sie stört vor allem die Ungleichbehandlung: „Wir deutschen Pendler aus dem Elsass helfen mit, in Deutschland die Wirtschaft aufrecht zu erhalten und sind extrem verärgert, dass es uns untersagt ist, nach der Arbeit für den täglichen Bedarf einzukaufen. Es ist sogar unter Strafe gestellt. Übrigens: Deutsche dürfen in Frankreich einkaufen ... ohne Beschränkung!“

Die selbst im Einzelhandel arbeitende Wahl-Elsässerin fordert deshalb eine Lösung wie im Grenzgebiet zu Belgien und den Niederlanden. Die aktuelle Situation ist für sie eine Belastung: „Für uns Pendler ist es ein Spießrutenlaufen in Deutschland. Nennt man das EU?“

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