Den spannenden Moment hat die Bahn ein letztes Mal verschoben. Der Tunnelbohrer, der im Untergrund des Rastatter Stadtteils Niederbühl schlummert, soll erst im November starten und sich unter der Rheintalbahn durchfressen. Es ist das zweite Experiment unter rollendem Rad – und das soll diesmal nicht mehr schief gehen.
Eigentlich hätte das 90 Meter lange Kraftpaket schon starten sollen, aber diesmal will die Bahn in jeder Hinsicht auf Nummer sicher gehen. Wegen der Sperrung der Strecke von Mannheim nach Stuttgart will man unter allen Umständen vermeiden, dass an einer zweiten viel befahrenen Stelle etwas verrutscht.
„Wir werden mit dem Bohren beginnen, wenn die andere Strecke wieder befahrbar ist“, erklärt Bahnsprecher Michael Breßmer im Gespräch mit den Badischen Neuesten Nachrichten.
Nach Havarie im Sommer 2017 standen viele Verbindungen still
Das heißt natürlich auch: Ein erneuter Einbruch der frisch gebohrten Röhre wird nicht ganz ausgeschlossen. Das Trauma vom Sommer 2017, als die Gleise über dem ersten Bohrer absackten und eine der Hauptverkehrsadern für sieben Wochen gekappt war, sitzt tief.
Seinerzeit kritisierten Politiker und Bahnstrategen nicht nur die riskante Arbeit, gerade mal fünf Meter unter dem befahrenen Gleis einen Tunnel zu graben, sondern auch das völlig überforderte Bahnnetz. Eine Umleitung war nur schwer möglich, denn parallel wurde an der Gäubahn von Stuttgart nach Singen gebaut, so dass sogar der zweite Korridor in die Schweiz ausfiel. Und durch das Elsass ging es nur mit Dieselloks und Dolmetschern im Führerstand.
Regionalverband fordert Streckenausbau
Genau das soll diesmal nicht passieren, falls es bei Niederbühl erneut rumpelt: Alle Ersatztrassen werden in diesem Fall frei befahrbar sein. Dem Regionalverband Mittlerer Oberrhein reicht das allerdings nicht aus. In der Sitzung des Planungsausschusses drängten die Kommunalpolitiker in der vergangenen Woche darauf, dass das Schienennetz ausgebaut werden müsse, damit „im Krisenfall der Personen- und Warenverkehr aufrecht erhalten werden kann“.
Seinen Beitrag zu einem zügigen Weiterbau hat der Regionalverband unterdessen geleistet: Er segnete jetzt die Planung ab, mit der die Bahn den Tunnel und damit die Achse von Karlsruhe nach Basel weiterbauen will. Mit diesem gewichtigen Votum aus Baden wird das Eisenbahn-Bundesamt bis Jahresende entscheiden, ob die Bahn ihren einbetonierten Bohrer ausgraben darf.
Wenn die Maschinefertig gebohrt hat, wird sieim Untergrund zerlegt.Bahnsprecher Michael Breßmer
„Für den Start des Bohrers unter der Rheintalstrecke brauchen wir keine Genehmigung, weil das ja mit dem ursprünglich eingereichten Plan abgedeckt ist“, erklärt Bahnsprecher Breßmer. Die Situation ist freilich nicht vergleichbar mit der Havarie im Jahr 2017.
Zur Absicherung wurde nach dem Einbruch eine Betonplatte über den beiden Röhren gegossen, die nicht mehr so leicht absacken kann wie die frei schwebenden Schienen. Außerdem wird der Westbohrer deutlich tiefer unter dem Gleis durchfahren als der verunglückte Ostbohrer.
Nach rund 400 Metern wird der 1.750 Tonnen schwere Koloss das Licht der Welt erblicken. „Wenn die Maschine
fertig gebohrt hat, wird sie
im Untergrund zerlegt“, so Breßmer. Mehr zum Thema:
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Gleise werden auf 700 Metern länge verlegt
Was dann kommt, ist abenteuerlich: Im Frühjahr 2021 werden die bestehenden Gleise auf 700 Meter Länge verlegt, somit rollen die Züge zunächst über das frisch gebohrte Rohr. Damit ist die Oberfläche frei, unter der die Unglücksmaschine im Boden einbetoniert ist.
Mit schwerem Gerät holen Bauarbeiter die Einzelteile aus der Erde. Es wird ein riesiger Krater entstehen – und die ohnehin von jahrelangem Baulärm geplagten Niederbühler sehen neuen, harten Zeiten entgegen. Nach zwei Jahren soll die Maschine ausgegraben und die Röhre im Untergrund fertig gebaut sein.
Tunnel soll im Jahr 2025 fertig sein
Wenn dies alles geklappt hat – voraussichtlich im Jahr 2024 –, wird die Rheintalstrecke auf ihre heutige Trasse zurückgelegt. Bis dahin sollen alle Gleise der Neubaustrecke samt Signaltechnik fertig sein, so dass Testfahrten starten können.
Im Dezember 2025 würde der Abschnitt von der Bashaide südlich von Karlsruhe bis zum Baden-Badener Stadtteil Haueneberstein in Betrieb gehen. Damit wäre die komplette Strecke von Karlsruhe bis Offenburg mit 250 Kilometern pro Stunde befahrbar.
Von Rastatt sehen die Reisenden dann übrigens nichts mehr – sie werden unter der Barockstadt durch die Röhre geschickt.
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Kosten liegen vermutlich bei über einer Milliarde Euro
Zu den Kosten halten sich alle Beteiligten bedeckt. Beim Spatenstich im Sommer 2013 wurde eine Gesamtsumme von 690 Millionen Euro genannt. Damit sollten der Tunnel, die Anschlussstrecke entlang der B36 zwischen Bashaide und Ötigheim sowie die Ausfahrtrampe bei Niederbühl mit Anschluss an die bestehende Neubaustrecke bei Haueneberstein gebaut werden.
Fertig sollte der Tunnel im Jahr 2022 sein, inzwischen ist vom Jahr 2025 die Rede. Rechnet man die Zeitverzögerung sowie die aufwändige Bergung hinzu, dürfte sich der Betrag auf weit über eine Milliarde Euro summieren.
Hinter den Kulissen wird heftig darum gerungen, wer die Kosten trägt – Bahn, Baufirmen oder Planer. Hinzu kommt der volkswirtschaftliche Schaden durch die siebenwöchige Streckensperrung, den das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen mit zwei Milliarden Euro beziffert.
Durch Tunnel-Verzögerung entstehen Probleme für den Nahverkehr
Für die Region ergibt sich durch die Verzögerung beim Rastatter Tunnel noch ein ganz anderes Problem. Eigentlich sollte im Jahr 2022 das neue Konzept im Regionalverkehr starten, in dem mehr Züge auf der Rheintalbahn vorgesehen sind – sowohl in Richtung Offenburg, als auch ins Murgtal.
Außerdem sollten neue Haltestellen in Betrieb gehen, beispielsweise in Niederbühl. An anderen Haltestellen, die derzeit nur abwechselnd bedient werden, sollen künftig alle Stadtbahnen halten. Hierfür braucht es mehr Kapazität auf der ausgelasteten Strecke.
Mit dem Tunnel, der den kompletten Fernverkehr und einen Teil des Güterverkehrs wegschlucken wird, stünde diese Kapazität zur Verfügung – allerdings erst im Jahr 2025. Das heißt: Bis die Region wirklich vom Rastatter Tunnel profitiert, werden noch viele Jahre ins Land gehen.
Zahlen und Fakten
Die Gesamtstrecke
Verlauf: Bashaide südlich von Karlsruhe bis Basel
Länge: 182 Kilometer
Voraussichtliche Kosten: rund zwölf Milliarden Euro
Fahrzeit heute: 100 Minuten – künftig: 69 Minuten
Geschwindigkeit heute: 160 km/h – künftig: 250 km/h
Tunnelbauwerke
Rastatt: 4,3 Kilometer (im Bau)
Offenburg: 6,8 Kilometer (in Planung)
Mengen: 2,2 Kilometer (in Planung)
Katzenbergtunnel: 9,4 Kilometer (fertig)
Die zwei Tunnelbohrer in Rastatt
Länge pro Bohrer: 90 Meter
Gewicht pro Bohrer: 1.750 Tonnen
Kosten pro Bohrer: 18 Millionen Euro
Bohrbeginn: Mai 2016
Die Havarie
Einsturz der Röhre: 12. August 2017
Einsturzort: unter Rheintalbahn, 200 Meter vor Ende
Sperrung der Strecke: sieben Wochen
Sofortmaßnahme: Bohrer wird einbetoniert
Streckensicherung: Betonplatte über havarierter Röhre
Volkswirtschaftlicher Schaden der Sperrung:
Zwei Milliarden Euro nach Angaben
des Netzwerks Europäischer Eisenbahne
Kosten des Rastatter Tunnels
Ohne Havarie: 690 Millionen Euro
Nach der Havarie: Keine Angaben
zu den Kosten, es ist mit einer Summe
deutlich über einer Milliarde Euro zu rechnen
Fertigstellung des Rastatter Tunnels
Ursprünglicher Plan: 2022
Neuer Plan nach der Havarie: 2024
Korrigierter Plan nach Reparaturkonzept: 2025