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Fahrradbranche bricht Rekorde

Kunden stürmen im Corona-Sommer die Fahrradläden

Während große Teile des Einzelhandels nach wie vor unter der Corona-Krise und ihren Nachwehen leiden, bricht die Zweiradbranche alle Umsatzrekorde - auch und vor allem im E-Bike-Sektor. Der Ansturm sorgt inzwischen zu Lieferengpässen.

Zwei Männer mit einem Mountainbike im Fahrradladen
Fahrradboom in der Krise: Neue E-Bikes – wie hier bei Achim und Andreas Kölmel (von links) vom Zweiradhaus Kölmel in Rastatt - machen für viele Kunden den Umstieg aufs Rad attraktiver. Foto: Chris Heinemann

Von Chris Heinemann

Versucht man in diesen Tagen Geschäftsinhaber zur boomenden Zweiradkonjunktur zu befragen, wird man – sofern man sie überhaupt ans Telefon bekommt - oft vertröstet: „Wir haben den Laden voll mit Kundschaft“, „Keine Zeit“ und „Versuchen Sie´s später noch mal“, heißt es bedauernd.

Zu denen, die beim wiederholten Anlauf dann doch zu einer Auskunft bereit sind, gehört Andreas Kölmel, Co-Geschäftsführer des gleichnamigen Zweiradhauses in der Rastatter Rheinau. Er spricht von einer „explosionsartig“ in die Höhe geschnellten Nachfrage. Die Corona-Beschränkungen hätten den Menschen viel Zeit beschert. Die Folge: „Viele haben das Fahrradfahren neu entdeckt.“

Thomas Haak vom Zweiradfachmarkt Haak in Iffezheim stößt ins selbe Horn. Als „sensationell“, „fast zu viel“ und „wirklich heftig“ charakterisiert er die momentane „Ausnahmesituation“. Seine Prognose: „Es wird ein sehr gutes Jahr, so eins haben wir noch nicht erlebt.“ Schon Mitte Juli hätten die Umsätze „fast das Vorjahresniveau erreicht“. Aber es gibt Ausnahmen. Joachim Volz von Velo Volz in Bietigheim hat bisher keinen „Run“ auf seinen Laden erlebt. „Vielleicht, weil ich seit 2019 Neuräder nur noch auf Bestellung verkaufe“, mutmaßt der 68-Jährige. Er hat sich auf meist hochpreisige Manufakturräder überwiegend von einem einzigen Hersteller spezialisiert, deren Komponenten sich die Kunden selbst zusammenstellen können.

An vielen Ecken und Enden gibt es Lieferengpässe

Zwar habe sich die Auslieferungszeit von drei bis vier auf inzwischen sechs bis acht Wochen verlängert, sagt Volz. Von Lieferengpässen für seine ausschließlich „made in Germany“ gefertigten Stahlrösser möchte er dennoch nicht sprechen. Dagegen stimmt Andreas Kölmel seine Kunden auf Lieferzeiten von einem halben Jahr und mehr ein. Der Grund: „Die Lieferketten aus Asien sind ins Stocken geraten“, so der Händler. „Wir bekommen im Moment keine Ware nach.“ Auch Thomas Haak vermeldet: „Alle Marken, die wir führen, einschließlich E-Bikes und Zubehör, sind ausverkauft.“ Lieferungen gebe es erst wieder im Spätjahr.

Kaufwilligen Kunden empfiehlt Haak, sie sollten sich „so schnell wie möglich entscheiden und jetzt schon vorbestellen.“ Mit einer Beruhigung rechnet er erst im November, bevor im Dezember das Weihnachtsgeschäft beginnt. Derweil brummt neben dem Verkauf auch das Werkstattgeschäft. „An Regentagen hatten wir gottseidank mal eine Verschnaufpause, in der wir den Reparaturstau aufarbeiten konnten“, berichtet der gelernte Kfz- und Motorenbau-Meister. Ansonsten sind sowohl bei Haak als auch bei Kölmel Überstunden an der Tagesordnung. Laut Thomas Haak fehlt es an qualifiziertem Werkstattpersonal. Die Beschäftigung Ungelernter lehnt er ab. Das könne für die Kunden lebensgefährliche Folgen haben.

Die Corona-Krise verhilft der E-Mobilität zum Durchbruch

Die Corona-Krise ist offenbar dabei, der E-Mobilität auf zwei Rädern zum Durchbruch zu verhelfen. Ob in der Trekking- oder Mountainbike-Version, Pedelecs sind bei allen Händlern besonders gefragt. Je teurer, desto mehr, wie Thomas Haak beobachtet. Auch Joachim Volz hat zuletzt bis zu 70 Prozent E-Bikes verkauft, vorher sei das Verhältnis von Fahrrädern mit und ohne Elektrounterstützung umgekehrt gewesen. Die bereits vor Corona zu beobachtende und mit dem aktuellen Boom bei E-Bikes verstärkte Radelkonjunktur mache einen Ausbau der Fahrradinfrastruktur umso dringender, mahnt Ralph Neininger, Kreisvorsitzender des über 800 Mitglieder zählenden Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) Baden-Baden-Bühl-Rastatt.

Mit Verweis auf die bundesweite ADFC-Kampagne „Mehr Platz fürs Rad“ fordert er „Radschnellwege auch innerstädtisch, Vorrangrouten, Fahrradparkhäuser sowie breite Wege, die für Rad- und Fußverkehr mit Abstand ein sicheres Nebeneinander erlauben“. Die Corona-Krise biete die einzigartige Chance, auf zweispurigen Straßen probeweise sogenannte Pop-up-Radwege auszuweisen, so auch auf der Bahnhofstraße in Rastatt, sagt Neininger. Frappierend ist laut ADFC-Kreisvorsitzendem, dass „die oberen Instanzen Bund, Land, ja sogar Regionalverband“ die Zeichen der Zeit erkannt hätten, „aber Landratsämter, Städte und Gemeinden nicht auf diese Spur einschwenken wollen - trotz großzügigster Förderprogramme“.

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