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Oft gehört es früh zum Alltag

Experten warnen im Landratsamt Rastatt vor Gefahren des Smartphones für Kleinkinder

Das erste Handy gibt's schon im Alter von acht Monaten: Solche Extremfälle kennt Andrea Seiler vom Frühförderverbund Rastatt. Sie und Kinderarzt Martin Schüler sehen große Gefahren, wenn Kinder zu früh vor dem Smartphone sitzen. Es drohen Entwicklungsstörungen und sogar körperliche Schäden.

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Das Smartphone hält Einzug im Kinderzimmer: Ärzte warnen vor vielen negativen Folgen wie Entwicklungsstörungen und Kurzsichtigkeit. Das pädagogische Potenzial von Apps geht nach Expertenmeinungen gegen Null. Foto: dpa

Das erste Handy gibt's schon im Alter von acht Monaten: Solche Extremfälle kennt Andrea Seiler vom Frühförderverbund Rastatt. Sie und Kinderarzt Martin Schüler sehen große Gefahren, wenn Kinder zu früh vor dem Smartphone sitzen. Es drohen Entwicklungsstörungen und sogar körperliche Schäden.

Manche Eltern parken ihr Kleinkind gern vor dem Handy. Doch Experten warnen vor schwerwiegenden Folgen wie Konzentrationsschwächen, Entwicklungsstörungen und sogar Kurzsichtigkeit. Das Landratsamt Rastatt nimmt das Thema so ernst, dass es jetzt in Zusammenarbeit mit dem Frühförderverband eine Broschüre für Eltern herausgebracht hat. Aufklärung ist aus ihrer Sicht dringend notwendig.

„Die Eltern handeln nicht in böser Absicht, sondern glauben sogar, etwas Gutes zu tun“, sagt Andrea Seiler vom Frühförderverbund. Auch Johannes Baumann von der Psychologischen Beratungsstelle des Landratsamts lässt keinen Zweifel daran, dass sich die Eltern mit dieser Einschätzung irren. Es gebe Studien zur pädagogischen Nutzung von Apps. „Für Kinder bis drei Jahren sind sie vollkommen wirkungslos“, sagt er.

Kleinkinder lernen hauptsächlich durch direkten Kontakt mit anderen Menschen
Kinderarzt Martin Schüler

Sprich: Auch wenn die Eltern darauf achten, dass ihr Kind nur altersgerechte Inhalte konsumiert, profitiert es in der Entwicklung überhaupt nicht. Das bestätigt Kinderarzt Martin Schüler, zuständig für Kinder- und Jugendgesundheit im Gesundheitsamt: „Kleinkinder lernen hauptsächlich durch direkten Kontakt mit anderen Menschen.“ Je kleiner, desto wichtiger seien Interaktion und haptische Erfahrungen.

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Umso größer seien die Nachteile. Seiler arbeitet bei der Pestalozzi-Schule in der Frühförderung. Sie berichtet von einer deutlichen Zunahme an Entwicklungsstörungen im sprachlichen und motorischen Bereich. Sie kenne Fälle von Dreijährigen, die wegen Bewegungsmangel Probleme hätten, eine Treppe zu steigen oder einen Ball zu fangen. Auch die Feinmotorik vieler Kinder sei gestört.

92 Prozent der Zwei- bis Dreijährigen nutzen täglich einen Touchscreen

Hinzu kämen sprachliche Defizite. „Es gibt Kinder, die haben quasi eine unbegrenzte Mediennutzung“, schildert sie ihre Erfahrung. Sie erzählt von einem Extremfall, beim dem ein acht Monate altes Kind sein eigenes Handy bekommen habe, damit es sich nicht immer das Gerät der Mutter schnappt.

Baumann führt Studien aus Großbritannien an, nach denen 50 Prozent aller Kinder im Alter von sechs bis elf Monaten jeden Tag auf einem Touchscreen herumtatschen. Bei den Zwei- bis Dreijährigen seien es 92 Prozent.

Vorsicht ist aber nicht nur beim Handy geboten, sondern auch beim Fernsehen. Aus Expertensicht sollten Kinder bis drei Jahren überhaupt nicht vor der Glotze hängen, bis sechs Jahren gilt eine Maximaldauer von 30 Minuten als Empfehlung. „Die Hälfte der Kinder schaut 30 Minuten bis zwei Stunden“, schätzt Schüler.

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Johannes Baumann, Martin Schüler und Andrea Seiler stellen die neue Broschüre vor. Foto: Siebnich

Kinder werden schneller kurzsichtig

Sowohl Fernseher als auch Handy wirken sich nicht nur auf die Psyche, sondern auch auf die Anatomie aus. Wenn das Auge dauernd auf die Nähe fokussieren muss, kann es sich durch die Kontraktion verlängern. Die Folge: Kurzsichtigkeit.

Und diese ist nicht nur ärgerlich, sondern laut Schüler auch gefährlich: „Betroffene haben ein höheres Risiko für grünen Star und Netzhautablösung.“ Zur Prävention empfiehlt er, dass Kinder jeden Tag zwei Stunden draußen spielen, wo die Blicke in die Ferne gerichtet sind.

Um über solche Gefahren aufzuklären, hat das Landratsamt 10.000 Faltblätter drucken lassen, die in den vergangenen Wochen an Kinderärzte, Kindergärten und andere Einrichtungen verteilt wurden. „Handys und Tablet: Nichts für kleine Kinder!“ lautet der Titel. Ein weiteres Faltblatt richtet sich an Eltern von Drei- bis Sechsjährigen, in denen ein gesunder Umgang mit den Medien aufgezeigt wird.

Wie Seiler berichtet, seien Eltern aufgeschlossen für solche Hinweise: „Sie sind bereit, den Medienkonsum zu reduzieren.“ Dabei geht es nicht nur um das Verhalten der Kinder, sondern auch der Eltern. Baumann zitiert Karl Valentin, der gesagt haben soll: „Es hat keinen Sinn, Kinder zu erziehen, sie machen sowieso alles nach.“

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