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Bürgerverein Zay betreut das Angebot

Lesestoff rund um die Uhr: In Rastatt versteckt sich ein Bücherschrank in einer alten Telefonzelle

Der Bücherschrank „Lesezaychen“ im Rastatter Stadtteil Zay befindet sich in einer alten Telefonzelle und wird rege genutzt – zuweilen aber als grüne Tonne missbraucht.

Bei Wind und Wetter vor Ort (von links): Uschi Stein, Maria Stock und Uli Weck, eine der täglich wechselnden Patinnen des Bücherschranks.
Bei Wind und Wetter vor Ort (von links): Uschi Stein, Maria Stock und Uli Weck, eine der täglich wechselnden Patinnen des Bücherschranks. Foto: Sabine Wenzke

Lust auf einen schönen Roman? Oder einen Krimi, bei dem der Atem stockt? Im Rastatter Stadtteil Zay kein Problem. Dort gibt es immer wieder neuen Lesestoff. Griffbereit, kostenlos, rund um die Uhr. „Selbst nachts, wenn man schlaflos im Bett liegt, kann man sich noch schnell eine Bettlektüre holen“, meint Uschi Stein lachend und deutet auf die kleine Solarzelle auf dem Dach: „Wir haben auch Licht.“

Mit viel Herzblut und Engagement kümmert sich die 70-Jährige um den öffentlichen Bücherschrank, den der Bürgerverein Zay in einer aussortierten Telefonzelle in Zusammenarbeit mit der Stadt Rastatt im Juni 2019 an der Ecke Garten-/Rosenstraße platziert und mit dem kreativen Namen „Lesezaychen“ versehen hat.

Als sie das grün gestrichene Teil das erste Mal erblickt habe, habe sie nur gedacht: „Wow“, meint Maria Stock anerkennend, die jeden Tag an der Telefonzelle vorbeikommt, wenn sie mit dem Hund Gassi geht und daher weiß: „Es ist fast immer jemand drin, der sich Bücher holt oder auch bringt.“ Sie stellt an diesem Morgen drei Romane in eines der Regale, die sie vorsorglich zusammengebunden hat: „Es ist eine Trilogie“, klärt sie auf.

Manche Nutzer kommen mehrmals pro Woche zum Bücherschrank

Und derjenige, der sich dafür interessiert, sollte dann doch auch alle drei Bände haben. Maria Stock und ihr Mann lesen gerne und viel und versorgen sich oft mit frischem Lesestoff aus der Telefonzelle. „Mein Mann geht dreimal in der Woche hin und sucht per Liste nach seinen Lieblingsautoren.“ Lesen gehört auch zu Uschi Steins Leben von klein auf – und zu dem ihrer Familie.

Ein Tag ohne Buch wäre undenkbar für die agile Rastatterin, die sich jeden Abend in Literatur vertieft und auch noch im Bett schmökert, wenn es draußen schon stockdunkel ist. Sie liest gerne Krimis, die in der Region spielen oder in Gegenden, in denen sie schon im Urlaub war. „Bücher und Lesen sind etwas Wunderbares“, meint die gelernte Bankkauffrau und Familienpflegerin und fügt mit Blick auf das „Lesezaychen“ hinzu: „Das ist mein Baby.“

Das hütet sie gut, wendet viel Zeit dafür auf und hält ein wachsames Auge darauf, kontrolliert immer, ob alles in Ordnung ist. Und sie putzt oft, damit sich die Nutzer wohlfühlen. Unterstützt wird sie von mehreren Patinnen aus dem Zayverein, die sich täglich abwechseln und nach dem Rechten schauen. Das funktioniert.

Es ist Lust und Frust, aber hauptsächlich Lust.
Uschi Stein, Rastatterin

Im Zay wird viel gelesen querbeet durch alle Altersschichten von jung bis alt. „Ich wollte das ,Lesezaychen’ nicht mehr missen“, meint Uschi Stein: „Es ist Lust und Frust, aber hauptsächlich Lust“, stellt sie heraus. Lust, weil es Spaß macht. Frust, weil es zuweilen schon zu unschönen Vorkommnissen gekommen ist. Vandalismus ist das Stichwort.

Einmal war ein Buch total zerfetzt, „einmal wurden alle Bücher herausgerissen und auf die Straße geschmissen“. Und einmal hat ein Mann den Heimweg wohl nicht mehr geschafft und daher kurzerhand in der Telefonzelle die Nacht verbracht, erzählt sie mit einem fast schon wieder nachsichtigen Lächeln.

Gar nicht gut an kommt es jedoch, wenn der Bücherschrank als grüne Tonne missbraucht wird und Menschen alte, vergilbte oder auch verschmutzte Bücher abladen oder das „Lesezaychen“ „mit altem Mist so vollpacken“, dass keiner mehr hinein kann. Da kann die ansonsten so gelassene 70-Jährige auch mal richtig ärgerlich werden. Regelmäßig sortieren sie und die Paten alte Schinken aus.

Dafür dürfen sie die grünen Tonnen in der Umgebung bestücken, das ist ein großer Vorteil, denn Papierberge sind schwer. Es sei denn, eine Schule veranstaltet eine Altpapiersammlung, dann wandern die ausrangierten Werke zur Unterstützung dorthin. Bücher, die nach zwei Wochen noch ungenutzt im Regal stehen, fliegen ebenfalls raus. Zurück bleibt ein gut sortiertes Angebot mit ansehnlichen Romanen, Sachbüchern und Beschreibungen über Länder.

Rastatter Bücherschrank ist gleichzeitig auch ein Ort der Begegnung

Kinder- und Jugendbücher indes gibt es nur wenige, „davon hätten wir gerne noch mehr“, meint Uschi Stein mit Hinweis auf die vielen Familien, die im Zay leben. „Kinder an Bücher heranzuführen, das ist unglaublich wichtig“, weiß Erzieherin Maria Stock aus ihrem früheren Berufsleben, und bestätigt: „Ich habe auch viel gelernt durchs Lesen.“

Das „Lesezaychen“, in dem auch das Jahresprogramm des Zayvereins ausliegt und hinten ein Briefkasten hängt, ist freilich mehr als nur ein öffentlicher Bücherschrank: Er hat sich zu einem Ort der Begegnung entwickelt, bestätigen die Damen, dafür sorgt auch die danebenstehende Sitzbank, die zum Verweilen oder zu einem Schwätzchen einlädt, wenn nicht gerade, wie im Moment, die Gartenstraße saniert wird.

Bücher sind wahre Schätze.
Maria Stock, Erzieherin

Doch auch der Baulärm ist irgendwann einmal vorbei. An Weihnachten, erzählt Uschi Stein, habe der Zayverein am Bücherschrank einen Tannenbaum aufgestellt, und die Bewohner haben ihn geschmückt. Das war ein schönes Ereignis im Corona-Jahr 2021, es habe Heimatgefühl vermittelt und den Zusammenhalt im Zay gezeigt, schwärmen die Damen.

„Bücher sind wahre Schätze“, hebt Maria Stock hervor. Und ihre Lektüre lässt auch manchmal den Alltag vergessen. In der Pandemie, als alles dicht war, habe sie sich mal ein Buch über Italien geschnappt, sich ein Getränk dazu gemacht und sich weg in den Süden geträumt.

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