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Vor 50 Jahren

Martin Bauer verarbeitet tödlichen Unfall der Eltern in Bietigheim in Autobiografie

Das Auto seiner Eltern wurde von einem Zug erfasst, die Schranken an den Gleisen in Bietigheim waren nicht geschlossen. 50 Jahre nach dem tödlichen Unfall schreibt Martin Bauer die Erlebnisse auf und veröffentlicht zum Jahrestag sein Buch "Der Eierbaum".

Erinnerungen an eine traumatische Kindheit und ein bewegtes Leben schrieb Martin Bauer in seinem Buch „Der Eierbaum“ nieder.
Erinnerungen an eine traumatische Kindheit und ein bewegtes Leben schrieb Martin Bauer in seinem Buch „Der Eierbaum“ nieder. Foto: Keller

Der Wärter hat die Schranken des damaligen Bahnübergangs bei Bietigheim nicht heruntergelassen, die Folgen in der Nacht zum 6. Juli waren tragisch. Ein Fernzug erfasste ein Auto, riss es mehrere Hunderte Meter weit mit. Das verunglückte Ehepaar aus Au am Rhein hinterließ vier Kinder. 50 Jahre sind nun auf den Tag genau vergangen, seit dieser Unfall die Region erschütterte. Den Tod seiner Eltern und dessen Einfluss auf sein weiteres Leben verarbeitet Martin Bauer schließlich in seiner Autobiografie „Der Eierbaum“, die zum Jahrestag erscheint.

„Ich habe das Unglück losgelassen“, erzählt der inzwischen 62-Jährige. Das Schreiben des Buches habe ihm endgültig dabei geholfen. Bauer ist zwölf Jahre alt, als er und seine drei Geschwister zu Waisen werden. „Ich dachte seither, es muss doch noch etwas geben, mehr als unglücklich zu sein“, sagt er.

Buch soll Mut machen

2006 hat Bauer schließlich die Idee, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Eineinhalb Jahre dauert es, bis die rund 200 Seiten gefüllt sind. Mit seiner Biografie will er Mut machen: „Egal, in was für eine Situation man gerät, es gibt immer eine Möglichkeit, sich herauszuholen.“

Gewalt gehörte zum Alltag

Bauers Kindheit sei bereits vor dem Unfall nicht einfach gewesen: Prügel gehören zum Alltag. „Als Abreaktion habe ich immer vier bis fünf Eier genommen und an den Baum im Garten geschmissen“, erzählt Bauer. Daran erinnere auch der Titel seines Buches. Aus Wut wünscht er den Eltern als Kind gar einmal den Tod – ein Gedanke, der ihn nach dem Unfall lange Zeit belastet. Nachdem seine Eltern gestorben waren, kommen er und seine Geschwister zur Tante nach Muggensturm. „Dort ging es genauso weiter“, so Bauer.

Ich habe mich endlich frei gefühlt.

Gewalt erlebt er nicht nur selbst sondern auch an seinem Bruder und seinen beiden Schwestern. Nach einem Streit landen sie auf der Straße, werden von Freunden aufgenommen, bis sich plötzlich der damalige Dekan einschaltet. Letztlich kommt jedes der vier Kinder bei anderen Pflegeltern unter – er selbst bei einem Gruppenführer der katholischen Jugend. „Ich habe mich endlich frei gefühlt“, sagt er. Den Kontakt haben sie immer gehalten.

Schicksalsschlag in der Pflegefamilie

„Lieber sollten alle behütet sein, als unglücklich zusammen bleiben“, bewertet Bauer die Situation heute. „Ich war damals traumatisiert und höchst mit Stress belastet.“ Bei seiner Pflegefamilie erfährt er Wertschätzung, wird umsorgt und behütet, so Bauer. „Nach einigen Monaten bekam meine Pflegemutter dann einen Hirnschlag“, fügt er hinzu. „Ihr Gedächtnis war von einem auf den anderen Tag gelöscht.“

Für Lob habe ich immer alles riskiert.

Bauer macht eine Ausbildung zum Betriebsschlosser, später zum Industriemeister Metall und findet Halt bei seinen Freunden. „Zum Teil bewegten wir uns in der Jugend an den Grenzen zur Illegalität“, räumt er ein. Ermutigt durch einen dieser Freunde eröffnet er schließlich die Musikerkneipe Amadeus. Doch ebendieser Kumpel zieht ihn letztlich über den Tisch, erklärt Bauer einen weiteren Tiefschlag im Leben. „Für Lob habe ich immer alles riskiert“, blickt er zurück.

Bauer reflektiert zu Weihnachten

Jedes Jahr zu Weihnachten reflektiere er seinen Weg. Denn die Tragik des Ereignisses vor 50 Jahren habe er als Kind nicht direkt realisiert. „Nachts klingelten Männer an unserer Haustür. Doch uns wurde beigebracht, niemandem aufzumachen“, erzählt er. Nach langen Überredungskünsten der Polizisten öffnen die Kinder des verunglückten Paares dennoch, werden zur Tante gefahren und von allen Seiten umsorgt.

Buch schafft Vertrauen ins Leben

„Die Trauer habe ich verdrängt und erst viel später verstanden,“ sagt der Autor. Diese hole einen jedoch immer wieder ein. Allerdings betont er auch: „Selbst wenn mir jemand ein Leben in der Wundertüte anbieten würde, würde ich meines immer wieder genau so nehmen.“ Durch das Buch habe er Dankbarkeit, Wertschätzung und Vertrauen ins Leben gewonnen.

Service

Martin Bauer, „Der Eierbaum“, 2019, Der Kleine Buch Verlag, ISBN: 978-3-7650-9140-7 (Print) sowie 978-3-7650-9141-7 (E-Book)

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