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„Ein Teil von mir“

Nach Schwangerschaftsabbruch: 21-Jährige gründet Selbsthilfegruppe in Rastatt

Alina hat mit 20 Jahren einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich gebracht. Nun hat sie eine Selbsthilfegruppe für Frauen gegründet, die dasselbe durchgemacht haben.

„Das ist jetzt einfach ein Teil von mir“: Alina erzählt ihre Geschichte, um Verständnis für die schwere Entscheidung zu wecken.
„Das ist jetzt einfach ein Teil von mir“: Alina erzählt ihre Geschichte, um Verständnis für die schwere Entscheidung zu wecken. Foto: Nadine Fissl

„Jemand, der das nicht selbst erlebt hat, weiß nicht, wie beschissen es ist, da zu sitzen“, sagt Alina mit Nachdruck. Sie weiß es. Und ist auf der Suche nach Frauen, die auch im Vorzimmer eines Frauenarztes gewartet haben – mit tausend Gedanken im Kopf und einem Fötus im Bauch. Und die ohne ihn wieder gegangen sind. Alina hat mit 20 Jahren abgetrieben. Heute, ein Jahr später, will sie eine Selbsthilfegruppe für Frauen gründen, die das Gleiche durchlebt haben.

Während die 21-Jährige über die Ereignisse des vergangenen Jahres spricht, wirkt sie älter als sie ist. Ihr Blick weicht nicht aus, die Stimme wird nicht leiser und die Worte sind klar. „Ich hatte selbst einen Schwangerschaftsabbruch“, antwortet sie auf die Frage, wieso sie Initiatorin einer geplanten Selbsthilfegruppe ist.

Sich mit anderen darüber auszutauschen, ist ihr wichtig. Erfahrungen mit Selbsthilfegruppen wegen einer anderen Thematik hat sie bereits. „Darum weiß ich, wie gut das tut. Ich brauche das für mich, für meinen Seelenfrieden“, sagt sie ruhig.

Zwei Beratungsgespräche helfen der schwangeren 20-Jährigen

Ihre Geschichte ist keine ungewöhnliche. Eine junge Frau, die mit einem Mann schläft, aber keine feste Beziehung mit ihm hat. Ein schwieriges Verhältnis, eine unsichere Verhütung – und eine Periode, die ausbleibt. „Das war total skurril“, erzählt Alina. Damals lernt sie gerade für ihr Abitur. Der unregelmäßige Zyklus muss bestimmt etwas mit dem Stress zu tun haben, denkt sie.

Sie ist etwa acht Wochen schwanger, als sie davon erfährt. „Ich bin aus allen Wolken gefallen.“ Der Frauenarzt bestätigt die Vermutung, und löst vor allem eines aus: Freude. „Ich habe gesagt, ja, natürlich will ich es behalten. Aber eigentlich war ich einfach nur total überfordert“, erzählt sie. „Dann habe ich begonnen, meinen Kopf einzuschalten“ – die Zweifel werden lauter.

Natürlich will sie Kinder, aber so? Sie ist gerade einmal 20 Jahre alt, hat ihr ganzes Leben noch vor sich. Zusätzlich habe der Kindsvater Probleme mit Drogen, sagt sie. Er wollte es behalten. Sie selbst war sich plötzlich nicht mehr so sicher. „In meinem Kopf habe ich geschrien. Ich wollte so sehr, dass mir jemand die Entscheidung abnimmt.“

Alina spricht damals viel mit Familie und Freunden, die ihr Unterstützung zusagen, egal wie ihre Entscheidung ausfällt. Sie nimmt zwei Beratungsgespräche in Anspruch, die sie beide als sehr positiv empfindet. „Es war nicht so, wie man es sich vorstellt. Niemand hat versucht, es mir auszureden.“

Eine Pro-und-Contra-Liste soll sie für immer an ihre Gründe erinnern. „Damit ich, auch wenn ich irgendwann mal in ganz anderen Lebensumständen bin, noch weiß, unter welchen Umständen ich die Entscheidung getroffen habe.“ Das mache es leichter.

Der Kampf um Verständnis

Während sie unter Vollnarkose steht, wird Alinas Schwangerschaft am 16. August 2021 beendet. Danach sind die Schmerzen unglaublich stark, tagelang. „Es wurde ja wortwörtlich etwas aus mir herausgerissen“, sagt sie. Genau so fühle es sich auch an. Für den Erzeuger ist Alina ab da eine „Kindsmörderin“. Sie bricht den Kontakt ab.

Die junge Frau selbst kann sich lange auf nichts mehr fokussieren, arbeitet nach ihrem Abschluss in einer Leiharbeitsfirma, um sich abzulenken. Heute spricht sie rational, fast nüchtern über das Geschehene. Wenn sie Babys sieht, überlegt sie, wie ihres jetzt wohl aussehen würde. Weh tue das dann nicht. „Aber es gibt auch Momente, in denen ich weine. Ich brauche das, dass ich meine Emotionen auch ausleben kann.“

Dass es so kommen musste, erfülle sie mit Wehmut. Trotz allem habe sie ihre eigene Entscheidung akzeptiert. „Das ist jetzt einfach ein Teil von mir“, sagt sie.

Und den will sie nicht verstecken. Im wahren Leben wie auch in den sozialen Netzwerken erzählt Alina von ihren Erlebnissen. Aus diesen Gesprächen, dem Tatendrang, der sie dazu bewegt, scheint sie Kraft zu ziehen. „Dafür will ich kämpfen“, sagt sie, „für mich und für andere. Damit wir Verständnis bekommen.“ Vielleicht könne auch die Selbsthilfegruppe dabei helfen. Für die hätte Alina schon weitreichende Pläne. Vorausgesetzt natürlich, die anderen Frauen sind auch interessiert.

Zunächst soll es aber erst mal nur um Austausch gehen. Bisher hat sich noch niemand auf den Aufruf des Landratsamts gemeldet. Dort habe man sie darauf vorbereitet, dass es etwas dauern könnte, bis genug Interessentinnen zusammenkommen. Aber Alina kann warten, sagt sie. Lohnen würde es sich allemal. Selbst wenn nur eine Frau dazukommt, die weiß, wie es sich angefühlt hat, in diesem Wartezimmer zu sitzen.

Service

Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich haben und sich mit anderen Betroffenen austauschen möchten, können bei der Gründung einer Selbsthilfegruppe mitmachen. Betroffene sind eingeladen, sich bei der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe des Landratsamts zu melden. Ziel ist es, sich regelmäßig auszutauschen. Anmeldung über die Selbsthilfekontaktstelle beim Landratsamt Rastatt, Nicole Komm, unter (0 72 21) 30 24 68 23 75; oder per E-Mail an n.komm@landkreis-rastatt.de.



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