Autofreier Sonntag? Da war doch mal was. „Stimmt, vor fast 50 Jahren.“ Günter Wolny und Manfred Gallion können sich noch gut an die vier autofreien Sonntage Ende 1973 erinnern. Die damalige Bundesregierung hatte in der sogenannten Ölkrise mit Fahrverboten auf starke Preiserhöhungen bei Treibstoff und Heizöl reagiert.
„Wir sind damals mit Freunden auf der A5 spazieren gegangen“, erzählt Wolny. Gallion verrät, dass er seinerzeit mit seiner Tochter erstmals nach langer Zeit wieder mit dem D-Zug und der Straßenbahn gefahren sei. „Anders war es nicht möglich, meine Frau im Krankenhaus zu besuchen. Da wurde einem bewusst: Es geht auch ohne Auto.“
Die beiden 90 und 84 Jahre alten Ötigheimer gehören zu jenen, die am Sonntag im Telldorf die Klimaschutzaktion „Mein Auto hat heute frei“ unterstützen. Der eine dreht per pedes eine Runde durch den Ort. Der andere ist mit dem E-Bike unterwegs. Beide finden es gut, wie die Gemeinde den Klimaschutz in die Hand nimmt und die Energie- und Verkehrswende voranzubringen versucht.
Im Gegensatz zu 1973 ist der Aktionstag keine staatlich verordnete Pflicht, sondern eine kommunale Kür, die auf Freiwilligkeit setzt. Die Volksschauspielgemeinde will mit ihrer Premiere eines autofreien Sonntags, dem ersten im Kreis Rastatt, Vorreiter und Vorbild sein. Sie möchte Flagge zeigen und Denkanstöße geben. Für sie ist es zugleich eine von mehreren Aktionen auf dem Weg zur Zertifizierung mit dem European Energy Award (EEA). Das Instrument zeigt auf, was Gemeinden in Sachen Klimaschutz und Energiewende zu leisten imstande sind.
Etliche haben an diesem Tag aus freien Stücken ihre Autos in der Garage gelassen. „Manche, die es trotzdem nutzen mussten, haben sogar vorher bei mir angerufen und sich dafür entschuldigt“, erzählt Bürgermeister Frank Kiefer (CDU), der sich gerade mit Familie und Freunden auf eine kleine Wandertour begibt. „Die Botschaft ist angekommen. Die Leute hinterfragen ihr Tun und diskutieren über diese Initiative, mit der wir ein Zeichen für ein Umdenken im Bereich der Mobilität setzen möchten.“
Gefühlt sind mehr Fußgänger und Radler in Ötigheim unterwegs
Wie viele Menschen sich an der „freiwilligen Mitmach-Aktion“ beteiligen, ist schwer zu sagen. Fahrende Autos sieht man nur wenige im Ort. Das scheint an einem Sonntag allerdings auch nicht so ungewöhnlich zu sein. Gefühlt sind aber tatsächlich mehr Fußgänger und Radler unterwegs als sonst – was die Initiatoren bestätigen.
Mit dem Rennrad angereist ist zum Beispiel der Plittersdorfer Helmut Vogt. Zum einen habe ihn der Hunger hierher getrieben, sagt er. Zum anderen finde er es gut, dass sich Ötigheim auf diese Weise an den Energiewendetagen Baden-Württemberg beteiligt.
„Ich selbst fahre sehr viel mit dem Rennrad“, berichtet der 74-jährige Sportsmann aus den Reihen der Radsportfreunde Rastatt. „Im vergangenen Jahr waren es 10.000 Kilometer. Mit dem Auto bin ich dagegen nur 6.000 Kilometer gefahren.“ Regio-Energie-Klimaschutzmanagerin Tanya Ganzhorn und Kämmerer Sascha Maier, der sich im Ötigheimer Rathaus ums Thema Klimaschutz kümmert, können das nur begrüßen.
Schließlich gehe es bei der Aktion auch darum, die Vorteile des Fußgänger- und Radverkehrs herauszustellen. „Zugleich möchten wir die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel fördern“, erklären Ganzhorn und Maier. An den Infoständen im Außenbereich des Rathauses stehen die beiden den Besuchern bei sämtlichen Fragen zu den Themen Energiesparen, Nachhaltigkeit und Mobilität zur Verfügung oder erläutern die Trasse des geplanten Radschnellwegs Karlsruhe-Rastatt.
Autofreier Sonntag: Initiatoren sind mit der Premiere insgesamt zufrieden
Der Bereich zwischen Rathaus und Mehrzweckhalle füllt sich zusehends – zur Freude der Wirtsleute vom TGÖ-Treff, die sich bei strahlendem Sonnenschein über hungrige und durstige Gäste freuen. Am Ende zeigen sich die Initiatoren mit dem ersten autofreien Sonntag und der begleitenden Aktion beim Rathaus insgesamt zufrieden. Auch die Liste mit Anliegen und Vorschlägen im Rahmen einer Bürgerbeteiligung zu Verbesserungen im Ötigheimer Radweg- und Fußgängerverkehr hat sich gefüllt.
Laut Sascha Maier ist geplant, die Aktion jährlich zu wiederholen. Man hoffe, dass sich dann zumindest auch die Umlandgemeinden der Regio-Energie-Kommunen daran beteiligen. Nicht ausgeschlossen seien in Zukunft auch Sperrungen von Straßen, um deren Freizeitwert zu erhöhen und den Verkehrsraum als Begegnungsraum für nicht motorisierte Menschen erlebbar zu machen.