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Pflege in der Krise

Pflegekräfte demonstrieren in Rastatt: „Unsere Akkus sind leer“

Vor dem Landratsamt in Rastatt haben zahlreiche Pflegekräfte ihrem Ärger Luft gemacht. Viele sind am Ende ihrer Kräfte.

"Die Pflegewaage ist gekippt": Pflegekräfte demonstrieren vor dem Landratsamt Rastatt für bessere Arbeitsbedingungen in der Branche
"Die Pflegewaage ist gekippt": Pflegekräfte demonstrieren vor dem Landratsamt Rastatt für bessere Arbeitsbedingungen in der Branche Foto: Janina Fortenbacher

„Wir sind sprachlos. Unsere Akkus sind leer“: Mit diesen Worten haben am Montag zur symbolischen Zeit 12.05 Uhr zahlreiche Pflegekräfte verschiedener Einrichtungen vor dem Rastatter Landratsamt für eine faire Entlohnung, mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen demonstriert.

Schon seit einigen Monaten machen Vertreter der Pflege wöchentlich mit der Kampagne „WertVoll – 5 nach 12“ auf die prekäre Situation in der Pflege aufmerksam und adressieren ihre Forderungen vor Ort an die Gesellschaft und die politisch Verantwortlichen.

„Das Maß ist voll“, rief Ronny Wiss-Rauchfuß, einer der Initiatoren der Aktion und Mitglied beim Pflegebündnis Mittelbaden, in Richtung Landratsamt. Für seine Worte erntete er zustimmenden Beifall von den anwesenden Protestierenden, die sich mit Plakaten und Trillerpfeifen vor der Behörde versammelt hatten.

Sowohl Mitarbeiter der Gaggenauer Altenhilfe, des Ambulanten Pflegedienstes Ralf Pinkinelli, des Paul-Gerhard-Werks und des Christlichen Hilfsdiensts Steinbach waren vor Ort, um rund 30 Minuten lang lautstark auf jene Probleme aufmerksam zu machen, die in der Politik bislang kaum Beachtung fänden.

Pflegekräfte fordern bessere Bezahlung

„Wir müssen besser bezahlt werden, nur so können wir unseren Job attraktiver gestalten und mehr Personal gewinnen, damit sich unsere Arbeitssituation endlich verbessert“, betont eine der Teilnehmerinnen, die ihren freien Tag dafür geopfert hat, um bei der Protestaktion teilzunehmen.

Der Personalnotstand und deutliche Lohndifferenzen zwischen Industrie und Sozialwirtschaft sind aber nicht die einzigen Themen, die die Akteure der Branche gerade umtreiben. „Während die allgemeine Impfpflicht ad acta gelegt worden ist, sind wir in der Pflege die alleinigen Geiseln einer Impfpflicht“, sagt Wiss-Rauchfuß.

Mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht soll ein besserer Schutz für vulnerable Gruppen erreicht werden, „aber wie soll das funktionieren, wenn die Bewohner selbst und die Besucher von Pflegeheimen im Gegensatz zu den Pflegenden eben nicht verpflichtet sind, sich impfen zu lassen?“.

Letztlich stehe man vor dem Problem, dass bei einem sich ohnehin schon stetig zuspitzenden Pflegenotstand alleine im Südwesten voraussichtlich 32.000 Mitarbeiter nicht mehr in den Einrichtungen arbeiten dürften, beklagt das Pflegebündnis Mittelbaden.

Es werde mit einem Zwangsgeld von 2.500 Euro sowie einem Arbeitsverbot gedroht, wenn die Impfnachweise nach Ablauf der Frist am 27. April nicht vorliegen. „Aber was ist, wenn das Bundesverfassungsgericht die einrichtungsbezogene Impfpflicht doch noch kippt? Dann hat man die Einrichtungen und Pflegekräfte umsonst unter Druck gesetzt. Die Politik richtet damit im Vorfeld einen finanziellen und vor allem auch einen enormen seelischen Schaden bei den Mitarbeitern an“, wirft Ralf Pinkinelli, stellvertretender Vorsitzender beim Pflegebündnis, ein.

Coronakrise hat Probleme in der Pflegebranche nur verstärkt

Die Probleme in der Pflege hätten aber nicht erst mit der Corona-Pandemie begonnen, sie seien dadurch lediglich verstärkt worden. „Wir führen seit Jahren Gespräche mit Vertretern aus der Politik, aber bisher wurde kein ernsthaftes Konzept zur Verbesserung der Situation in der Pflegebranche erarbeitet. Stattdessen kommen nichts als leere Lippenversprechungen“, beklagt Wiss-Rauchfuss weiter.

Trotz zahlreicher Gespräche sehe er in der Politik nicht den Willen, etwas zu verändern, meint auch Peter Koch, Vorsitzender vom Pflegebündnis. Stattdessen werde wieder der Pflegebonus „aus der Mottenkiste gekramt.“ Das alleine löse aber die Probleme nicht.

„Wir brauchen einen Tarifvertrag, der regelt, dass die Pflege einheitlich, ausreichend und fair entlohnt wird“, lautet eine der Hauptforderungen der Demonstranten. Wichtig sei dabei, eine Entlastung des Systems herbeizuführen, ohne dass die Eigenanteile bei den Betroffenen ins Unermessliche steigen. „Es darf nicht sein, dass ein Pflegebedürftiger, der über Jahrzehnte in dieses System eingezahlt hat, ab Ende noch draufzahlen muss.“

Mithilfe von Flyern, die die Akteure am Ende der Protestaktion mit ihrer persönlichen Unterschrift in den Briefkasten der Behörde warfen, sollen die Forderungen auf dem Tisch des Landrats landen. „Leider hat sich ja vom Landratsamt keiner rausgetraut, um persönlich mit uns zu sprechen“, zeigt sich einer der Anwesenden enttäuscht.

Organisator Wiss-Rauchfuss wundert das nicht. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass jemand direkt auf uns zukommt“, sagt er im Anschluss. Koch betont, dass man mit der Aktion keinesfalls gegen die regionalen und kommunalen Politikvertreter agieren möchte. „Wir wollen sie viel mehr mit ins Boot holen, denn wenn wir Pflegekräfte plötzlich nicht mehr täglich an den Betten stehen, fallen die Pflegebedürftigen dem Landrat und den Bürgermeistern vor die Füße. Das hier ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.“

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