Dieses Jahr war kein gutes Urlaubsjahr. Viele Reisepläne sind wegen der Corona-Pandemie jäh geplatzt. Dabei hat nicht nur die Stimmung der Urlauber gelitten, sondern die gesamte Reisebranche. Dramatisch ist die Lage bei Reisebüros – auch in Rastatt.
Metin Günes geht im Vergleich zum Vorjahr von 92,8 Prozent Verlust aus. Der Inhaber des Reisebüros in der Bahnhofstraße hat das ganz genau nachgerechnet.
Wenn keine Besserung in Sicht ist, komme ich noch bis März, höchstens bis April.Metin Günes, Inhaber Reisebüro Günes
Seine Existenz steht auf dem Spiel. „Wenn keine Besserung in Sicht ist, komme ich noch bis März, höchstens bis April“, erzählt er. Dann ist nach über 30 Jahren Schluss. Zur eigenen Existenzangst kommt die Verantwortung für seine Mitarbeiter. Günes beschäftigt einen Festangestellten, eine Teilzeitkraft und zwei Auszubildende. Er nimmt die Situation mit Galgenhumor. „Sollen wir jetzt etwa auch Tomaten verkaufen?“, fragt er.
Rückabwicklungen machen viel Arbeit
Selina Felsner ist frustriert. „Wir hatten im Vorjahr so gute Umsätze“, erzählt die Inhaberin des Reisebüros Albatros. Auch die Buchungszahlen Anfang 2020 hätten noch gestimmt. Dann kam das Virus – und für Felsner war plötzlich alles anders. Bis in den September musste sie über 800 Buchungen rückabwickeln. „Das war doppelte und dreifache Arbeit“, klagt die Reise-Spezialistin. Die Provisionen von den Reiseanbietern musste sie zurücküberweisen oder hat erst gar keine bekommen. Verdient hat sie bei der ganzen Schufterei keinen müden Cent, obwohl sie oft bis zwei Uhr nachts arbeitete.
Ich bin schon froh, wenn pro Woche wenigstens ein Kunde anruft.Selina Felsner, Inhaberin Reisebüro Albatros
Auch Felsner weiß nicht, wie lange sie der Pandemie und ihren Folgen noch trotzen kann. „Wenn es nicht besser wird, reicht es noch bis Mitte 2021“, erklärt sie gefasst. Aktuell berät sie ihre wenigen Kunden telefonisch oder nach Terminvereinbarung. „Ich bin schon froh, wenn pro Woche wenigstens ein Kunde anruft“, gesteht sie.
Ähnlich macht es auch die Besitzerin des Reisebüros Köhn. „Ich versuche meine Kunden telefonisch zu beraten“, erzählt Natalia Köhn. Es sieht sehr schlecht aus für die Branche, meint sie. Köhn erzählt am Telefon von den ersten drei Monaten des Jahres: „Wir hatten echt hohe Umsätze. Im März mussten wir plötzlich zumachen.“ Die Polizei sei sogar da gewesen und habe mit einer Strafe gedroht, wenn sie nicht schließe. „Natürlich habe ich den Laden sofort dichtgemacht“, schildert Köhn die Situation vor dem ersten Lockdown im Frühjahr.
Zweites Standbein als Alternative
Sie hat sich bereits eine Alternative gesucht, sozusagen ein zweites Standbein. Die Reisebüro-Inhaberin orientiert sich um, hat eine Schulung im Immobilienbereich gemacht. Außerdem ist sie mit ihrem Geschäft umgezogen. Nun ist Köhn Untermieterin und kann zur Not sofort aus den Räumen ausziehen. „Nur falls es nötig wird“, meint sie.
Alle drei Reisebüro-Inhaber haben die staatlichen Überbrückungshilfen in Anspruch genommen. Das helfe schon weiter, decke aber natürlich nicht die ganzen Kosten, erzählen sie unisono. Die entwickelten Impfstoffe, die aktuell vor einer Not-Zulassung stehen, machten den Dreien nur vage Hoffnung. Es könne niemand sagen, wie lange die Situation noch andauere.
Pauschalreisen könnten künftig wieder beliebter werden
Felsner ist überzeugt, dass die Reisebüros, die überleben, ganz bestimmt Geld verdienen werden. „Die Frage ist nur wann“, meint sie. Bis alles wieder normal werde, gehe noch einige Zeit ins Land. Sie vermutet, dass es dann ein Umdenken geben wird. „Die Pauschalreise wird wieder beliebter werden“, ist Felsner überzeugt.
Der Deutsche Reiseverband (DRV) richtet indes mahnende Worte an die Politik. Die Überbrückungshilfen sollten bis über die Jahresmitte 2021 konzipiert werden. „Die Krise wird im kommenden Jahr für die Reisebüros noch nicht vorbei sein“, heißt es einer DRV-Pressemitteilung. Der Verband rechnet zudem im laufenden Jahr mit einem Umsatzrückgang von 80 Prozent in der Reisewirtschaft. Es stünden hunderttausende Arbeitsplätze bei den rund 2.300 Reiseveranstaltern und 11.000 Reisebüros in Deutschland auf dem Spiel, heißt es in der Mitteilung.
Menschen sind verunsichert
In der augenblicklichen Situation können Reiselustige auf die Kanaren, nach Madeira, in die Vereinigten Arabischen Emirate oder auf die Malediven fliegen. „Die Menschen sind alle sehr verunsichert“, erzählt Felsner. Sie macht aktuell nicht aktiv Werbung. Die Situation sei einfach zu dynamisch. „Die Kanaren können zum Beispiel morgen wieder zum Hochrisikogebiet erklärt werden“, meint die Reisebüro-Inhaberin.
Vereinzelt hat sie in jüngster Zeit Reisen auf die Kanaren gebucht. „Das ist aber wirklich eine Seltenheit“, sagt Felsner. Das seien Menschen, die alleine sind und einen Lagerkoller haben oder dringend Urlaub brauchen. Wieder andere wollen laut Felsner nicht auf die Kanaren, weil dort aktuell Flüchtlinge anlanden. „Das macht alles nicht einfacher“, seufzt sie.
Niemand bucht Reisen für das nächste Jahr
„Erschwerend kommt hinzu, dass im Oktober und November die Hauptbuchungszeit für die nächste Saison ist“, betont Felsner. Niemand buche bei der jetzigen Lage etwas im Voraus. Sie erinnert an das vergangene Jahr. Damals meldete der Reiseanbieter Thomas Cook Insolvenz an. Das war für Urlauber und die Reisebranche gleichermaßen eine Horrormeldung. Die ganzen Provisionen waren damals weg. „Wer hätte damals gedacht, dass das folgende Jahr solche Ausmaße annimmt?“, fragt Felsner.
TUI und FTI wackeln trotz Staatshilfe
Metin Günes hat derzeit null Anfragen von Frühbuchern. „Ehrlich gesagt, empfehle ich aktuell auch niemandem im Voraus zu buchen“, gesteht er. Günes würde auch keine eigene Reise planen, gibt er unumwunden zu. „Welcher Reiseanbieter ist schon sicher?“, fragt er. Thomas Cook hätte sicher sein sollen, meint er. TUI und FTI erhalten von der Bundesregierung aktuell Hilfen in Milliarden- und Millionenhöhe. „Sie wackeln trotzdem“, schildert Günes seine Bedenken.
Die Reisebüros seien gegenwärtig der Prellbock zwischen Kunden und Reiseveranstaltern. „Die Kunden wollen verständlicherweise ihr Geld zurück und die Veranstalter wollen nicht bezahlen“, berichtet Günes. Das sei nicht immer ganz einfach, da um Verständnis zu werben und zu vermitteln. Auch Günes hat am Ende des Tages trotz der ganzen Arbeit keinen müden Cent in der Tasche.