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Vor der Kommunalwahl 2024

Unechte Teilortswahl kommt in Rastatt auf den Prüfstand

Müssen kleinen Stadtteilen Sitze im Gemeinderat garantiert werden? In Rastatt ist das der Fall. Doch das Verfahren dazu ist kompliziert und rechtlich umstritten. Jetzt kommt es auf den Prüfstand.

Ein leerer Saal.
Wie viele Personen nehmen künftig im Rastatter Ratsaal Platz? Eine Abschaffung der Unechten Teilortswahl hätte auch Konsequenzen für die Größe des Gemeinderats. Foto: Hans-Jürgen Collet

Schon ihr Name klingt bürokratisch: Unechte Teilortswahl. Das komplizierte Verfahren ist ein Überbleibsel aus der Kommunalreform vor 50 Jahren. Es garantiert den kleinen Ortsteilen eine bestimmte Anzahl an Sitzen im Gemeinderat. Viele Kommunen haben den alten Zopf inzwischen abgeschnitten.

In Rastatt gilt die unechte Teilortswahl nach wie vor. Doch das könnte sich ändern. Unsere Redaktion beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ist die unechte Teilortswahl?

Die unechte Teilortswahl stellt sicher, dass im Gemeinderat einer Kommune Vertreter aus allen Ortschaften sitzen. In Rastatt gilt aktuell folgender Schlüssel: Die Innenstadt stellt 28 Stadträtinnen und Stadträte, Niederbühl und Förch sowie Plittersdorf drei, Ottersdorf, Rauental und Wintersdorf je zwei. Gäbe es diese Garantie nicht, könnte es in der Theorie dazu kommen, dass ein Stadtteil ohne Stadtrat bleibt.

Welche Kritik gibt es an dem Verfahren?

Eine Menge. Die unechte Teilortswahl ist kompliziert und führt zu vielen ungültigen Stimmen, weil die Wähler Fehler beim Ausfüllen des Wahlzettels machen. Das Verfahren bläht den Gemeinderat auf, weil Ausgleichsmandate entstehen. In Rastatt sieht die Hauptsatzung aktuell einen Gemeinderat mit 40 Mitgliedern vor, im Gremium sitzen aber 47 Personen. Darüber hinaus bezweifeln Kritiker, dass die garantierte Repräsentanz 50 Jahre nach der Kommunalreform noch notwendig ist – und ob sie den Ortschaften überhaupt nützt. Aktueller Anlass für eine mögliche Neuordnung in Rastatt ist ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Mannheim.

Worum geht es in dem VGH-Urteil?

Der VGH bestätigte ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Dieses hatte die Stadt Tauberbischofsheim dazu verdonnert, ihre Gemeinderatswahl von 2019 zu wiederholen. Der Grund: Die Regelungen zur unechten Teilortswahl waren nicht rechtmäßig. Das Verfahren sieht vor, dass sich die Sitzverteilung nach dem Verhältnis der Einwohner in den Stadtteilen richtet. Das exakt hinzubekommen, ist allerdings ein Ding der Unmöglichkeit. Deshalb gibt es in der Regel Abweichungen. In Tauberbischofsheim waren diese Abweichungen zu groß, urteilten die Richter.

Wie sieht es in Rastatt aus?

Auch in Rastatt gibt es diese Abweichungen. Sie sind so groß, dass die Kommunalwahl 2024 ebenfalls richterlich kassiert werden könnte, sollte jemand gegen das Ergebnis klagen. Zu dieser Einschätzung kommt zumindest Fachanwalt Werner Finger, der die Stadtverwaltung in dieser Frage berät. Er sagt: „Wenn jemand die Wahl anfechten würde, gäbe es hohe Rechtsunsicherheit. Es besteht also Handlungsbedarf.“

Welche Abweichungen gibt es in Rastatt?

Die unechte Teilortswahl soll den Ortschaften Mitspracherecht garantieren. In Rastatt macht sie das zu gut. Gemessen an der Einwohnerzahl ist die Anzahl der Sitze für die Stadtteile zu hoch. Rauental zum Beispiel hat gerechnet auf 1.000 Einwohner garantierte 1,4 Plätze im Gemeinderat, die Innenstadt nur 0,7.

Welche Lösungsvorschläge gibt es?

Die Stadtverwaltung hat zahlreiche Modelle berechnet. Dabei hat sie verschiedene Sitzverteilungen und unterschiedliche Gesamtgrößen des Gemeinderats durchgespielt. Das Problem laut dem zuständigen Fachbereichsleiter Klaus Kögel: Es kommt immer zu Abweichungen, die juristisch problematisch werden könnten. Er sagt: „Es ist keine rechtssichere Ausgestaltung der unechten Teilortswahl möglich.“ Bliebe die andere Option: der Gemeinderat beschließt, die unechte Teilortswahl abzuschaffen.

Wie sähe die Gemeinderatswahl ohne unechte Teilortswahl aus?

Deutlich einfacher. Parteien und Wählervereinigungen würden ihre Listen für die gesamte Stadt aufstellen. Die Wähler verteilen ihre Stimmen. Die Kandidatinnen und Kandidaten mit den meisten Stimmen ziehen in den Gemeinderat ein, ganz egal wo in der Stadt sie wohnen.

Wofür plädiert Oberbürgermeister Hans Jürgen Pütsch (CDU)?

Der OB macht sich für die Abschaffung stark. Aus seiner Sicht wäre eine Gemeinderatswahl ohne das Verfahren gerechter: „Alle werden gleichgestellt. Jede Stimme in der Stadt ist gleich viel wert.“ Pütsch glaubt auch nicht, dass die Chancen der Kandidaten in den kleineren Teilorten sinken, im Gegenteil. Da in den Stadtteilen die Wahlbeteiligung erfahrungsgemäß höher als in der Innenstadt liege, würden sich ihre Chancen sogar verbessern.

Im Gemeinderat sei der Zusammenschluss der Gesamtstadt längst vollzogen: „Deswegen wird kein Dorf untergehen.“ Ein weiterer Vorteil aus Sicht des OB: Der Gemeinderat würde schrumpfen. Bereits
2017 war Pütsch mit dem Vorschlag in den Gemeinderat gegangen, das Kommunalparlament durch die Abschaffung der unechten Teilortswahl zu verschlanken. Eine Mehrheit lehnte das damals aber ab.

Was sagen die Fraktionen heute?

Die Stadtverwaltung will die Sache zunächst auf verschiedenen Ebenen beraten lassen. Vor diesen Beratungen hält sich die CDU als größte Fraktion mit einer Einschätzung zurück. Sprecherin Brigitta Lenhard sagt: „Es ist Wesen der Beratung, Entscheidungen nicht vorwegzunehmen.“ Ähnlich sieht es bei der SPD aus. Nicole Maier-Rechenbach spricht von einer ergebnisoffenen Diskussion: „Das ist für uns alle von großer Tragweite.“

Die Freien Wähler sind laut Herbert Köllner der Meinung, dass die Repräsentation der Ortschaften im Gemeinderat auch künftig garantiert bleiben sollte. Roland Walter (Grüne) sieht die unechte Teilortswahl als „Relikt aus der Vergangenheit“. Für ihre Abschaffung sprachen sich in der vergangenen Sitzung des Gemeinderats auch Simone Walker (FuR), Volker Kek (AfD) und Michael Weber (FDP) aus.

Wie geht es weiter?

Der Gemeinderat hat das Thema in seiner vergangenen Sitzung erstmals beraten. Über das weitere Vorgehen sollen die Stadträte am Montag, 26. Juni, entscheiden. Zuvor ist eine öffentliche Informationsveranstaltung am Montag, 12. Juni, 19 Uhr in der Festhalle Ottersdorf geplant. Der finale Beschluss des Gemeinderats ist für Montag, 24. Juli vorgesehen.

Warum so eilig?

Die Kommunalwahlen finden zwar erst im kommenden Jahr statt. Damit eine Änderung des Verfahrens wirksam ist, muss sie aber schon deutlich früher erfolgen. Laut Kögel stellen die Parteien und Wählervereinigungen ihre Kandidatenlisten in der Regel ab Oktober auf. Deshalb soll der Beschluss noch vor der Sommerpause fallen.

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