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Brille statt Braille-Schrift?

Vier teure Behandlungen nötig: Wird die zweijährige Amelie aus Rastatt wieder sehen können?

Die zweijährige Amelie aus Rastatt wächst mit einem unterentwickelten Sehnerv auf und galt als blind. Dank Spenden gibt nun eine Therapie Hoffnung. Doch sicher ist noch nichts.

Die zweijährige Amelie aus Rastatt leidet an einer schweren Form von septooptischer Dsysplasie und ist fast blind.
Die zweijährige Amelie aus Rastatt leidet an einer schweren Form beidseitiger septooptischer Dysplasie. Dadurch ist sie nahezu blind. Foto: Kerstin Bausch

Eigentlich ist immer zu wenig Zeit. Annette F.s kranke Mutter wartet in der Wohnung nebenan. Nach Covid und Long Covid entwickelte sie eine hartnäckige Gürtelrose, bräuchte selbst Unterstützung, bemüht sich aber um Selbstständigkeit. Sie will ihrer Tochter nicht noch mehr aufbürden.

Die Diagnosen und medizinische Fachbegriffe zu Amelies Entwicklung und deren Therapien hat Annette F. längst verinnerlicht. Ihre Tochter ist rund zwei Jahre alt und fast blind. Sie leidet an einer schweren Form beidseitiger septooptischer Dysplasie. Hinzu kamen nach einer schweren Geburt permanente Schluckbeschwerden und Schlafstörungen.

Jeden Abend studiert die alleinerziehende Annette F. Webseiten mit Forschungsergebnissen und Foren Betroffener auf der Suche nach Auswegen, korrespondiert mit Betroffenen in der USA. Was die Mediziner über Amelies Perspektiven sagten, zitiert sie flüssig aus dem Kopf und zeigt auch Widersprüche auf. „Der Augenarzt hat uns gleich hochkant wieder rausgeworfen“, berichtet sie kopfschüttelnd, was ihr widerfuhr, als sie auf Empfehlung der Federov-Klinik in Berlin Begleitung durch einen Facharzt ersuchte.

Dieser habe Amelies Augen dann nicht mal angeschaut. Annette F. war wieder mal auf sich selbst zurückgeworfen. Der Rat aus Berlin: Gibt es keine Therapie, solle sie sich erst mal jeden Tag bewusst mit Amelie beschäftigen. Das machte Annette schon immer und entdeckte so auch, was die Ärzte bei der vermeintlich blinden Amelie übersahen.

Die Sehversuche strengen Amelie an

„Amelie liebt Wasser“, sagt sie. Wie zur Bestätigung plätschert es. Amelie sitzt neben ihr in einem kleinen Becken auf dem Balkon, einer der Lieblingsplätze der Zweijährige. Buntes Plastikspielzeug schaukelt auf der Oberfläche. Sieht Amelie das? Sieht sie überhaupt etwas?

Noch immer kann Annette Amelie keinen Moment alleine lassen. Das ist stressig, gehört aber zum Alltag. Amelie suche noch viel ihre Nähe, doch „sie ist viel mutiger geworden“, erzählt ihre Mutter nun. Mit den Wagnissen kamen aber auch neue Risiken zum Beispiel Treppenstufen, „Amelie hat ja eine andere Wahrnehmung.“

Gerade lässt die Zweijährige ihr Köpfchen wieder sinken. „Das macht sie eben auch noch oft“, so Annette F.. Immer wieder zu versuchen, etwas zu erkennen, strengt an. Ihr trotzdem Lust darauf zu machen, ist dann Annettes Job. Etwa fünf Jahre liegen noch vor ihnen. Annette streckt den Rücken, will durchhalten. Da sie so nicht zur Arbeit gehen kann, lebt sie zur Zeit von Hartz IV. Für teure Therapien bleibt da wenig.

8.000 Euro kostet eine Behandlung für Amelie

Das sah man auch bei der Aktion Sonnenherz, im Rahmen derer Birgit Hoffmann mit einem Porträt bereits vor knapp einem Jahr auf die Situation der damals Einjährigen verwies und ein Spendenkonto einrichtete. Auch in Rastatt, in Baden-Baden und Umgebung haben sich einige Wohltätige für Amelie stark gemacht, Geld gesammelt, Anteil genommen und nachgefragt.

Annette F. hat mit ein paar von ihnen sogar telefoniert, doch es ist wie ein Spenden-Marathon ohne Zeit zum Verschnaufen für sie. Ihre Kleine wird diese Hilfen noch lange brauchen. Die Langstrecke ist das Schwierigste. Ob es Annette schafft durchzuhalten, ob sie auch die nächsten vier der jeweils rund 8.000 Euro teuren Behandlungen stemmen werden, ist bis jetzt ebenso ungewiss wie das Maß an Sehkraft, das Amelies Augen bis zu ihrem siebten Lebensjahr erreichen könnten.

Sicher sei nur, dass sich das Entwicklungsfenster dafür für immer schließen wird. Auch darum will Annette F. gerade jetzt nichts unversucht lassen: „All in“, wie es beim Roulette heißt. Alles für Amelie – und Brille statt Brailleschrift als Hauptgewinn.

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