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Aha-Erlebnis in einer Moschee

Wie ein ehemaliger Neo-Nazi aus Rastatt sich von seiner Szene abwendete

Lennart Wagner aus Rastatt ist schwul - und war lange Neonazi. Passt eigentlich nicht zusammen, doch der Hass auf alles Fremde ließ ihn die Widersprüche lange ausblenden. Bis er Sozialstunden in einer Moschee ableisten musste - und dort unerwartete Akzeptanz fand. Heute setzt er sich gegen den Hass ein.

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Ein Gruppengefühl: Zusammen mit anderen Rechtsextremen fühlte sich Lennart Wagner stark, hier ein Aufmarsch vor drei Jahren in Durlach. Mittlerweile ist er aus der Szene ausgestiegen. Foto: dpa Foto: dpa

Die lautstarken Männer hatten an dem Abend schon für das Deutsche Reich und gegen Menschen aus Uganda gesungen. Dann stimmte die Band bei dem Rechtsrockkonzert in Rostock ein homophobes Lied an. Lennart Wagner, Ende 30, Stoppelfrisur, stand mitten in der Menge – als schwuler Nazi. Er grölte mit. „An alle Homos hier im Land, da hilft auch kein Gezeter, denn ihr wisst, wir kriegen euch früher oder später.“

Jahre später sitzt er im Außenbereich eines Cafés im Raum Rastatt. Er ist aus der Szene ausgestiegen und hat hier seine neue Heimat gefunden. „Ich bin auch ein Flüchtling – bloß aus der Pfalz“, sagt Wagner und lacht. Hass war lange sein Leben – jetzt kämpft er dagegen an.

Nach dem Outing den Halt verloren

Seine Geschichte macht deutlich, wie Menschen in extreme Szenen abrutschen können – und warum es so schwer ist, dem Hass auf den Straßen gegen Corona-Maßnahmen, gegen Kanzlerin Merkel, gegen Medien, gegen alles, entgegenzutreten.

Wagner möchte nun darüber sprechen. „Der Hass wird immer schlimmer. Ich habe ihn gelebt und weiß, dass er uns zerstört.“

Als junger Erwachsener suchte er die Freiheit, weg vom Elternhaus. Ecstasy, LSD, und ein Leben auf der Straße. Als er mal wieder bettelte, lief Bernd an ihm vorbei. Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke, ein Skinhead. „Ich dachte, jetzt spreche ich den Kasper mal an“, erzählt Wagner. Bernd gab ihm Geld und Essen, holte ihn von Drogen und der Straße weg.

Nach seinem Outing hatten sich Freunde von Wagner abgewandt, doch Bernd akzeptierte ihn. „Er gab mir das Gefühl, dass ich wer bin. Ich habe Halt gesucht.“

Ein Doppelleben unter Nazis

Mit der Zeit kam auch der Hass. „Gegen alles, was nicht weiß war“, sagt Wagner. „Wenn eine Frau mit Kopftuch in die S-Bahn stieg, hätte ich ihr am liebsten ins Gesicht gespuckt.“

Vom Gefühl her würde ich sagen, sie hätten mich totgeschlagen

Lennart Wagner, ehemaliger Nazi

Mit Bernd und schwarz-weiß-roten Fahnen zog er durch die Straßen und genoss den Anblick der außenstehenden Menschen. Einmal warfen sie wahllos Pflastersteine auf vorbeifahrende Autos. „Wir wollten Polizisten provozieren.“ Im Drogenrausch verfehlten sie ihre Ziele.

Bernd nahm ihn mit zu den Konzerten, auch nach Rostock. „Er meinte, sag bloß keinem, dass du schwul bist.“ Er stand als Homosexueller auch neben den extremsten unter den Nazis. „Hätten die das gewusst, wäre das mein Ende gewesen. Vom Gefühl her würde ich sagen, sie hätten mich totgeschlagen.“

Wagner führte ein Doppelleben, auf der Suche nach Anerkennung. „Dann habe ich mich um 180 Grad gedreht.“

Auf den Fingern ist noch S-k-i-n-h-e-a-d tätowiert

Seine Sozialstunden sollte Wagner in einer Moschee ableisten, ausgerechnet. Den Muslimen sagte er gleich, dass er sie nicht mag. „Aber sie haben mich in Ruhe meine Arbeit machen lassen und nicht versucht, mich zu ändern. Ich wurde herzlich aufgenommen.“

Vorurteile spürte er dafür von Freunden, auch von Freunden, die nicht aus der rechten Szene kamen. „Sie fragten, ob ich jetzt auch Moslem bin und was ich dort mache.“ Später hieß es oft nur noch: „Frag’ doch deine Türkenfreunde.“

Viele halten Abstand von Ausländern und geben ihnen nie die Chance, sich vorzustellen, sagt Wagner. „Ich habe gelernt, dass ich den einzelnen Menschen beurteilen muss.“ Vor sieben Jahren ging er noch mit „Heil Hitler“ ans Telefon. Heute erinnern nur noch ein Hakenkreuz-Tattoo am Oberarm und ein selbstgestochenes „S-k-i-n-h-e-a-d“ auf seinen Fingern an diese Zeit. Zurzeit sei er arbeitslos, sagt Wagner. Wenn das Geld mal reicht, wolle er die Tattoos entfernen lassen.

Solange seine Vergangenheit in seine Haut eintätowiert ist, wird er darauf angesprochen. Dann erzählt Wagner seine Geschichte, mal kürzer, mal länger. „Ich schäme mich wirklich, wie meine Gedanken gegenüber Ausländern waren.“

Im Einsatz gegen den Hass an Grenzen gestoßen

Heute kämpft der Aussteiger aus der Nazi-Szene gegen Vorurteile. „Es heißt, arbeitslose Ausländer bekommen mehr Geld als Deutsche, das erzählt die AfD so.“ Als er einem Syrer bei seinen Formularen geholfen habe, habe er gemerkt: „Er bekommt auch nicht mehr.“ Mit solchen Kampagnen schüre die AfD bewusst Hass.

Aber Wagner kommt beim Aufklären an seine Grenzen, spätestens im Internet. Lange hat er in sozialen Netzwerken gegen Hass kommentiert. In ein türkisches Café könne man als Deutscher nicht mehr gehen, schrieb einer. Wagner: „Was passiert dann? Außer, dass ich einen Kaffee bekomme?“ Antwort: „Schwachsinnskommentar.“

Unter dem Video eines rechten Youtubers danken zahlreiche Nutzer für dessen scheinbare Aufklärungsarbeit. „Alles, was er sagt, ist rechte Hetze – aber die Leute glauben das.“

Einmal fragte Wagner, warum sich der Mann Journalist nenne, und wurde als linker Störer abgetan. „Man kann nur versuchen, mit den Leuten zu reden – aber nicht im größeren Umfeld.“ Wagner betont, er könne nur für sich und die Erfahrungen in dieser Moschee sprechen. Bis heute sehe er es kritisch, wenn dort Frauen und Männer strikt getrennt würden, wenn Menschen beschnitten werden. „Das kann ich bis heute nicht akzeptieren – aber das haben sie akzeptiert.“

Im Internet nur "schwachsinnige Kommentare"

Hass habe es immer gegeben, sagt Ute Frevert, Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Der Nationalsozialismus habe sich gegen Kommunisten, Juden und andere „Volksschädlinge“ gewandt, in der DDR wurden Kapitalismus, Revanchismus, Militarismus gehasst. „Was neu ist, ist die Selbstorganisation des Hasses heute“, sagt die Historikerin. In weiten Teilen laufe das über digitale Medien und weniger durch Kommunikation von Angesicht zu Angesicht.

„Er oder sie wird darin bestärkt, durch die vielen, mit denen er oder sie sich auf der gleichen Wellenlänge, im gleichen Boot wähnt.“ Man versichere sich der Legitimität des eigenen Hasses, finde Gleichgesinnte und fühle sich dadurch legitimiert, den Hass offensiv herauszuschreien. Diese öffentliche Präsenz des Hasses habe es so bislang nicht gegeben.

Wagner möchte die Menschen weiter animieren, die vermeintliche Gegenseite erst einmal kennenzulernen – im realen Leben. „Im Internet kann man schreiben, was man möchte – es kommen nur schwachsinnige Kommentare.“

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