
Der Alptraum Zwangsehe ist keine Seltenheit. Jedes Jahr werden weltweit Millionen Mädchen und Frauen zur Ehe gezwungen. Auch im Landkreis Rastatt ist Zwangsverheiratung ein Thema.
Erst vor wenigen Wochen erreichte das Landratsamt einen Anruf. „Eine Schulsozialarbeiterin meldete sich, um Hilfe für eine von Zwangsverheiratung bedrohten Person zu organisieren“, erzählt Carolin Merz.
Die Sachgebietsleiterin Integrationsmanagement lobt bei der Pressekonferenz im Landratsamt Rastatt zur „Situation bei Zwangsverheiratungen“ das Verhalten der Schulsozialarbeiterin. „Die Betroffene hat sie als vertraute Dritte angesprochen. Sie hat sich direkt bei uns gemeldet, weil sie wusste, dass es uns gibt.“
Die Zwangsverheiratung wurde abgewendet.Carolin Merz, Sachgebietsleiterin Landkreis Rastatt
Der Kontakt wurde in diesem Fall laut Merz an das Jugendamt weitergegeben. Das betroffene Mädchen war noch minderjährig. „Die Zwangsverheiratung wurde abgewendet“, sagt Merz. Genau das sei das Ziel im Land und im Kreis: „den jeweiligen Fall schnell erfassen und kompetent Hilfe leisten.“
Vor der Pressekonferenz wurde im Landratsamt der Fachtag „Gemeinsam gegen Zwangsverheiratung“ mit rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus unterschiedlichen Fachbereichen abgehalten.
„Es ist kein Zufall, dass wir uns am Internationalen Frauentag mit dem Thema beschäftigen“, sagt Landrat Christian Dusch. Es sei ein weise gewähltes Datum. Der Landrat betont, dass Zwangsverheiratungen diametral den westlichen Wertvorstellungen entgegenstehen.
Arbeitshilfe des Landkreis Rastatt fasst Handlungsschritte und Kontakte zusammen
Zum Fachtag veröffentlicht der Landkreis eine „Arbeitshilfe zum Thema Zwangsverheiratung“. Das Papier soll neben den grundlegenden Informationen zum Thema Zwangsverheiratung wichtige Instrumente und Wissen zum praktischen Umgang mit betroffenen Personen geben.
„Kein Mensch darf durch das soziale Hilfenetz fallen, wenn er von Zwangsverheiratung bedroht ist“, betont Merz. Die Arbeitshilfe fasse alle Handlungsschritte und Kontakte kompakt zusammen. „Damit kann man im Ernstfall schnell und kompetent helfen.“
Der Landkreis Rastatt und die Stadt Baden-Baden sind mit ihrem Netzwerk „Gemeinsam gegen Zwangsverheiratung“ Vorreiter. Es wurde im März 2022 unter dem Dach des Runden Tisches gegen häusliche Gewalt gegründet.
Alle Stadt- und Landkreise sollen Ansprechpartner für dieses Thema nennen.Tamina Hommer, Sachgebietsleiterin Landkreis Rastatt.
Die Idee dazu geht von der aktuellen Landesregierung aus. Die hat sich zum Ziel gemacht, entschieden gegen Zwangsverheiratungen und generell gegen Gewalt im Namen der Ehre vorzugehen. „Alle Stadt- und Landkreise sollen Ansprechpartner für dieses Thema nennen“, sagt die Sachgebietsleiterin Integration Tamina Hommer. Das Ziel sei es, Netzwerke zu gründen und im Ernstfall Verfahren zu entwickeln.
„Wir im Landkreis Rastatt engagieren uns schon seit vielen Jahren in der Integrationsarbeit gegen Diskriminierung und Gewalt“, so Merz. Schon 2021 wurde im Kreis der Fachtag zum Thema „Gewalt im Namen der Ehre“ organisiert. In Bezug auf den Landkreis Rastatt könne nicht festgestellt werden, dass es besonders viele Fälle von Zwangsverheiratungen gebe. „Aber es gibt eine hohe Dunkelziffer, genauso wie beim Thema häusliche Gewalt“, sagt Merz.
Viele Betroffene trauen sich nicht, Hilfe zu holen
Die Kriminalstatistik weise deutschlandweit zwischen 70 und 80 Fälle von Zwangsverheiratungen pro Jahr auf. Dabei handelt es sich nach Angaben der Polizei nur um die zur Anzeige gebrachten Fälle. „Oft trauen sich Betroffene nicht Hilfe zu holen, noch weniger stellen Strafanzeige“, erklärt Merz. Der Grund: Der familiäre Druck, die Gewalt mit der gedroht wird, ist groß.
Eine Studie des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen Unicef ergab, dass jedes Jahr Millionen von Mädchen bereits vor oder kurz nach ihrer Pubertät verheiratet werden. Bei der Pressekonferenz des Landratsamtes weisen zwei Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle „Yasemin“ darauf hin, dass auch junge Männer betroffen seien. „In Präventionsveranstaltungen machen wir allerdings die Erfahrung, dass es nicht als Zwang ankommt, weil sie ihr Leben weiterleben können“, sagt eine der Mitarbeiterinnen, die anonym bleiben möchte.
Zwangsehe ist ein weltweites Problem
Über Migration hat das Phänomen laut Kinderhilfswerk auch Deutschland erreicht. Dabei gebe es Zwangsverheiratungen nicht etwa nur im islamischen Kulturkreis. Der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes lägen Fälle sowohl aus islamischen Familien als auch aus dem hinduistischen Sri Lanka und dem christlichen Griechenland vor.
Ferner soll es auch Fälle unter anderem aus Albanien, China, dem Kosovo und Vietnam geben. In Deutschland beträfe Zwangsheirat nur deshalb so viele Türkinnen, weil diese die größte Gruppe der Migrantinnen stellen würden.