Stuttgart. Wenn es nach Andreas Stoch geht, braucht Baden-Württembergs Landesregierung dringend frischen Wind.
Aus Sicht des SPD-Spitzenkandidaten zur Landtagswahl am 14. März ist der grün-schwarzen Koalition schon lange die Luft ausgegangen. In Stochs Büro am Stuttgarter Schlossplatz gibt es Sauerstoff satt:
Zum einstündigen Interview empfängt der Parteichef bei Temperaturen um den Gefrierpunkt coronakonform mit sperrangelweit offenem Fenster.
Die Fragen stellten Axel Habermehl und Jens Schmitz.
Herr Stoch, beim SPD-Landesparteitag im November haben Sie gesagt, die Corona-Krise sei kein schöner, aber ein wichtiger Anlass, um die Stärke der Sozialdemokratie zu begreifen. Wie haben Sie das gemeint?
Andreas StochUmfragen zeigen, dass die Menschen seit der Krise wieder größeres Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates haben. Es ist gut, dass bei uns Gesundheit noch nicht komplett privatisiert ist. Wir haben einen Sozialstaat, der unserer Gesellschaft hilft, gut durch die Krise zu kommen. Am Arbeitsmarkt sind Instrumente wie Kurzarbeit wichtig. Dahinter stecken sozialdemokratische Ideen. Unser Markenkern heißt Solidarität. Vielleicht entdecken manche wieder, dass es wichtig ist, dass wir in einem funktionierenden Gemeinwesen leben und es gemeinsam tragen.
Die Landes-SPD hatte in der jüngsten Umfrage dennoch nur zwölf Prozent. Wie wollen Sie das noch steigern?
StochIch habe ja nicht als Ziel ausgegeben, dass die SPD bis zum 14. März stärkste Partei wird. Aber dieses Land braucht eine andere Regierung; Grüne und CDU haben ihre Schnittmengen längst aufgebraucht. Ich glaube, dass Ministerpräsident Kretschmann mit den Grünen als Erster durchs Ziel geht. Und wenn Menschen eine grün-rote Landesregierung richtig finden, dann müssen sie wissen, dass wir auch eine SPD brauchen, die Gewicht auf die Waage bringt. Das will ich deutlich machen, verbunden mit den Themen, für die wir stehen.
Ihr Wahlprogramm nennt als Schwerpunkte Wandel der Arbeitswelt, Bildung, Gesundheit und Pflege, bezahlbaren Wohnraum und Klimaschutz. Haben Sie ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Parteien?
StochViele Themen verbinden uns mit Positionen der Grünen. Ein wichtiger Unterschied ist jedoch: Die Grünen sprechen bei diesen Wandlungsprozessen oft nur von den ökologischen Notwendigkeiten. Sie reden aber selten von der sozialen Dimension. Viele Menschen haben Angst, dass der Wandel sie an den Rand drängt. Wir nehmen die soziale Dimension in den Blick und versuchen, wirklich alle Menschen mitzunehmen. Das ist der große Unterschied zu Grünen und CDU.
Wie soll das wirtschaftspolitisch aussehen?
StochWir brauchen einen Transformationsplan, der verbindlich definiert, in welchen Zeiträumen welche Schritte hin zu einem technologischen Wandel stattfinden. So wie wir es bei der Kohlekommission gemacht haben. Er muss von einer Weiterbildungs-Offensive begleitet werden. Ich bin da auch mit unseren Bundesministern für Arbeit und Finanzen Hubertus Heil und Olaf Scholz sowie den Gewerkschaften im ständigen Austausch.
Ihr Generalsekretär Sascha Binder sagte vergangene Woche, Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) fahre den Fernunterricht gegen die Wand. Sind technische Probleme am ersten Schultag nach den Ferien nicht verzeihbar?
StochMan wusste seit März vergangenen Jahres, dass die erneute Schließung von Schulen ein mögliches Szenario ist. Man hätte sich spätestens im Frühsommer auf eine Situation mit hohen Inzidenzen einstellen müssen, indem man Modelle entwickelt für Wechselunterricht, für den Einsatz von Luftfiltern, für eine bessere digitale Ausstattung. Wir haben im Mai 2020 ein Konzept zur Vorbereitung des neuen Schuljahrs vorgestellt. Darin haben wir auch die technischen Voraussetzungen definiert, sollten alle Schüler wieder ins Fernlernen gehen. Es gibt genügend Vorschläge, die aber das Kultusministerium nicht umgesetzt hat.
Was steht jenseits von Corona bildungspolitisch auf Ihrer Agenda?
StochEin zentrales Thema sind Ausbau und Stärkung der frühkindlichen Bildung. Die Bildungschancen eines Kindes sollten zudem nicht vom Geldbeutel abhängen. Deswegen dürfen wir nicht Qualität gegen Gebührenfreiheit ausspielen, sondern wir brauchen beides. Auch in die Grundschulen müssen wir investieren. Und wir brauchen mehr Ganztagsschulen. Wir sollten dabei keinen Zwang ausüben, aber gute Angebote machen, und zwar nicht nur durch Betreuungskräfte, sondern auch durch ausgebildete Lehrer.
Ihr Wahlprogramm will die Windkraft konsequent vorantreiben. An deren Problemen im deutschen Süden waren aber doch lange auch Ausschreibungsmodalitäten des Bundes schuld. Dort regiert Ihre Partei.
StochAber nicht allein. Wenn wir über Themen wie Energie reden, reden wir im Bund ganz oft über die gleiche Rolle der CDU wie hier im Land, nämlich der als Bremsklotz. Dass Genehmigungsverfahren für Windräder in Baden-Württemberg fünf Jahre dauern, liegt nicht am Bund. Es gibt Stellschrauben, wie Sie im Land effektiver zum Ausbau erneuerbarer Energien kommen. Für uns gehört dazu auch, dass man Menschen unter die Arme greift, die dafür finanzielle Unterstützung brauchen. Verbilligte Kredite und Zuschüsse sind ein ganz wesentlicher Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele.
Ihr Programm spricht zwar von eingeschränkten finanziellen Spielräumen. Statt Sparvorschlägen gibt es aber eine lange Liste von Investitionen. Haben Sie ausgerechnet, was das kostet?
StochWir setzen darauf, dass wir durch Maßnahmen wie das Konjunkturpaket, das die SPD im Bund angeschoben hat, nach Corona relativ schnell wieder auf den Vorkrisenstand kommen. Da hatten wir im Landeshaushalt pro Jahr einen strukturellen Überschuss von 2 bis 2,5 Milliarden Euro. Mehr kosten unsere Maßnahmen nicht.
Im Zusammenhang mit Corona sind 2020 mehr als 13 Milliarden Euro Kredite bewilligt worden. Die müssen auch noch zurückgezahlt werden.
StochEin Staat muss die wichtigen Zukunftsaufgaben erfüllen. Und ein Staat muss so finanziert sein, dass er diese Aufgaben auch erfüllen kann, notfalls über mehr Einnahmen. Da müssen die starken Schultern mehr tragen als die schwachen. Die SPD hat schon im Dezember 2019 auf dem Bundesparteitag beschlossen, dass es eine Vermögenssteuer geben soll. Umfragen zeigen uns, dass der Großteil der Bevölkerung dabei hinter uns steht.
Kultusminister waren Sie schon, Ministerpräsident scheint aktuell außer Reichweite. Welcher Kabinettsposten könnte Sie reizen?
StochIch rede nicht über die Verteilung des Fells, bevor der Bär erlegt ist.