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Tipps für den Alltag

Corona-Lockdown erhöht Risiko einer Depression: Psychologe erklärt Anzeichen

Wann wird aus der trüben Stimmung im Corona-Lockdown eine Depression? Psychologe Olivier Elmer vom Psychiatrischen Zentrum Nordbaden erklärt, wie es zu dieser Krankheit kommen kann und wie sich Menschen im Corona-Alltag zurzeit selbst helfen können.

Olivier Elmer vom Psychiatrischen Zentrum Nordbaden ist Sprecher des Bündnisses gegen Depression Rhein-Neckar Süd.
Olivier Elmer vom Psychiatrischen Zentrum Nordbaden ist Sprecher des Bündnisses gegen Depression Rhein-Neckar Süd. Foto: Olivier Elmer

Abstand, Quarantäne, Job-Angst – viele Menschen befürchten, dem zweiten Corona-Lockdown mental nicht gewachsen zu sein. Manche von ihnen sprechen gar von einer Depression.

Olivier Elmer vom Psychiatrischen Zentrum Nordbaden erklärt, warum uns der zweite Lockdown so hart trifft und wie Menschen erkennen, ob sie wirklich an einer Depression leiden. Der 59-Jährige sagt auch, wie wir uns im Alltag mit kleinen Dingen behelfen können.

Mehr Corona-Fälle im eigenen Umfeld, eine drohende Quarantäne-Situation: Viele Menschen sagen offen, dass sie den zweiten Lockdown nicht durchstehen. Warum trifft er uns so hart?
Elmer

Ein Teil der Menschen hat sich im Sommer in falscher Sicherheit gewiegt. Sie haben die Hygieneregeln eingehalten, erleben nun doch den zweiten Lockdown und bekommen das Gefühl, sie könnten nichts ausrichten. Wenn man das Gefühl der Hilflosigkeit dauerhaft hat, wird es problematisch. Das Gehirn ist auf kurzfristige Belohnungen ausgelegt. Der Lockdown wirkt da eher wie eine Bestrafung. Die Folgen dieser präventiven Maßnahme zeigen sich erst verzögert. Umso wichtiger ist es, dass sie von der Politik gut erklärt wird.

Manche Psychologen sagen, dass unser derzeitiges Gefühl im Lockdown eine Art Trauer ist.
Elmer

Ein generelles Gefühl der Trauer im Lockdown nehme ich noch nicht wahr – aber das mag kommen, wenn wir feststellen sollten, dass wir uns für einen sehr langen Zeitraum von unserem Leben, wie wir es noch letztes Jahr für normal hielten, verabschieden müssen. Dann sind wir gefordert, diese neuen Bedingungen kreativ zu gestalten, um nicht in der Trauer steckenzubleiben.

Was macht dieser zweite Lockdown psychisch mit uns?
Elmer

Ein großes Problem ist die fehlende Aussicht auf Besserung. Es ist nicht klar, wann der Lockdown endet, ob ein nächster kommt, wann die Pandemie endet. Mit Unsicherheit kommen wir Menschen schlecht zurecht. Deswegen funktionieren derzeit Verschwörungstheorien mit ihrem Schwarz-Weiß-Prinzip gut. Dadurch kann man einen Schuldigen benennen, auf die Straße gehen und sich wehren. Das nimmt erst mal Unsicherheit.

Viele Menschen klammern sich an einen Impfstoff, der im kommenden Jahr kommen soll. Kann diese Aussicht Sicherheit geben?
Elmer

Das spielt eine ganz große Rolle. Wenn ich weiß, dass die Belastung zeitlich begrenzt ist, kann ich besser damit umgehen. Wenn die Belastung auf ungewisse Zeit verlängert wird, drückt das auf die Stimmung.

Wann wird aus dieser Stimmung eine Depression?
Elmer

Wichtig ist, dass eine Depression nicht eine Stimmungsschwankung aus dem Alltag ist, sondern eine seelische Erkrankung. Dafür gibt es psychosoziale und neurobiologische Faktoren. Zum einen ist es Veranlagung – da geht es um Gehirnstoffwechsel und Genetik, auch um tief verankerte Denk- und Verhaltensweisen. Zum anderen gibt es Auslöser wie eine Trennung, Arbeitslosigkeit oder auch eine Pandemie-Situation. Menschen, die bei diesen Faktoren ein Risiko haben, sind derzeit anfälliger für eine Depression.

Wie erkenne ich, ob ich an einer Depression leide?
Elmer

Entscheidend ist: Wie ist mein normaler Zustand? Wenn sich meine Stimmungslage, die ich und meine Familie bei mir als normal bezeichnen würden, über Wochen unnormal darstellt, sollte man eine Fachfrau oder einen Fachmann aus dem Bereich der ambulanten Psychiatrie oder Psychotherapie aufsuchen. Es gibt keinen Labortest, aber es gibt Anzeichen. Wenn man über Wochen Probleme hat, morgens aus dem Bett zu kommen, Appetitlosigkeit verspürt, die Stimmung durch Grübeln gekennzeichnet ist, man keinen Kontakt zu anderen Menschen möchte.

Nicht immer handelt es sich aber gleich um eine Depression. Gehen wir zu locker mit dem Begriff um?
Elmer

Da ist ein bisschen was dran, ja. Wir laufen Gefahr, Depression als psychische Erkrankung zu unterschätzen. Nicht jeder Mensch im Stress oder mit Stimmungsschwankungen hat eine Depression. Auf der anderen Seite ist es gut, dass wir mehr darüber reden als noch vor 30 Jahren. Da war das Thema tabuisiert.

Fallzahlen, Quarantäne, weitere Einschränkungen: Die Corona-Lage ist unklar. Haben Sie Bedenken, was die kommenden Monate angeht?
Elmer

Ich habe Bedenken, was Menschen angeht, die schon eine Depression durchlebt oder eine Veranlagung dafür haben. Diese Menschen ziehen sich ohnehin schon zurück und müssen ihre Kontakte durch die Corona-Maßnahmen weiter einschränken. Beim ersten Lockdown haben wir gemerkt, dass sich viele nicht getraut haben, in eine Klinik zu gehen. Viele Therapie-Angebote gerade für chronisch psychisch Erkrankte sind damals weggefallen, das hat die Krankheitsverläufe verschlimmert.

Was macht Sie beim zweiten Lockdown zuversichtlicher?
Elmer

Wir sind besser aufgestellt. Es gibt derzeit kaum Menschen, die sich nicht trauen, in eine Behandlung zu gehen. Wir haben auch digitale Therapie-Angebote, für die die Menschen sehr dankbar sind. Aber den persönlichen Kontakt kann das nicht ersetzen.

Mit welchen kleinen Hilfen können wir uns den Alltag trotz Corona-Einschränkungen schöner machen?
Elmer

Ganz wichtig ist es, den Tag und die Woche zu strukturieren. Das Hineinleben in den Tag, das wir aus dem Urlaub kennen, ist vor allem für Menschen, die zu einer Depression neigen, ein Risiko. Das Aufstehen, die Arbeits- und Lernzeiten und das Essen sollten festgelegt werden. In den Tag kann man sich angenehme Dinge einpflegen, das kann auch Pflanzengießen, telefonieren oder skypen sein. Man sollte aktiv bleiben, Radtouren, Laufen oder Fitness daheim sind weiter möglich. Bewegung wirkt antidepressiv. Es ist auch wichtig, sich seriös zu informieren. Wenn ich im Internet nur nach meinen Ängsten suche, treibt es sie in die Höhe. Fakten aber mindern Ängste.

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