
Der Mangel an Pflegeplätzen in Baden-Württemberg wird zunehmend akut: Zahlreiche Senioreneinrichtungen melden steigende Wartelisten und Wartezeiten bei sehr hoher Nachfrage. Das chronische Personaldefizit in der Branche verschärft die Lage und bewirkt zudem, dass in manchen Heimen die frei werdenden Zimmer nicht belegt werden können, weil Fachkräfte fehlen. Soziale Träger wie die Diakonie Baden und Württemberg, die AWO Württemberg und die Caritas sprechen von einer prekären Lage und warnen: „Schließungen werden in den nächsten Jahren wahrscheinlicher“.
Im Frühjahr startete die Diakonie Baden eine Umfrage unter ihren Einrichtungen, darunter rund 110 stationäre Pflegeheime. Das Ergebnis: Bei etwa 35 Prozent der Einrichtungen hätten seit Anfang Februar wegen Personalmangels Betten nicht belegt werden können – etwa in den Landkreisen Breisgau-Hochschwarzwald, Freiburg und Karlsruhe. Dass die frei werdenden Betten in Pflegeheimen zunehmend leer bleiben, bringt jedoch manche Einrichtungen in finanzielle Schieflage, weil die Einnahmen fehlen.
Tausende Pflegekräfte werden bald in Rente gehen
Rund 8.600 Pflegekräfte im Land werden in den nächsten Jahren aus dem Beruf aussteigen, weil sie selbst in Rente gehen. Das wird den Mangel weiter verschärfen. Unterdessen steigt die Nachfrage nach Pflegebetten an. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg gab es Ende 2021 etwas mehr als 2.000 stationäre Pflegeeinrichtungen mit insgesamt knapp 110.000 Plätzen. Fast 99.000 davon waren vollstationäre Dauerpflege-Plätze. Wie viele Plätze aktuell fehlen, kann das Sozialministerium in Stuttgart nicht sagen.
Die Heime berichten allerdings teils von großen Nöten vieler Familien, die ihre Angehörigen nicht unterbringen können. „Wir bekommen im Schnitt fünf Anfragen für einen Pflegeplatz pro Tag“, sagt Martin Leynar, Geschäftsführer des Diakoniezentrums Wertheim im Main-Tauber-Kreis. „Wir hören von Menschen, die richtig verzweifelt sind“, so eine Sprecherin der Evangelischen Heimstiftung in Stuttgart. Dringliche Anrufe kämen vor allem von den Sozialdiensten in den Kliniken, die Pflegebedürftige aus dem Krankenhaus in eine gesicherte Versorgung entlassen müssen und verzweifelt nach einem freien Platz herumtelefonierten.
Zwar gibt es in der Heimstiftung Karlsruhe keine Pflege-Wartelisten, doch die Lage hier ist ebenfalls angespannt. „Wer bei uns anruft und Glück hat, kommt rein“, sagt im Gespräch mit unserer Redaktion die Assistentin der Geschäftsführung, Viola Tietze. Nach ihrer Darstellung können die Angehörigen es sich nicht länger aussuchen, welche der drei Einrichtungen der Stiftung für ihre Familienmitglieder infrage kommen: „Sie nehmen das, was sie kriegen.“ Aktuell seien die knapp 280 Betten fast komplett belegt. „Der Druck wird immer stärker, durch den Personalmangel kommen wir an unsere Grenzen“, erzählt Tietze.
Das Sozialministerium arbeitet nach Worten eines Sprechers mit aller Kraft an Lösungen für den Personalmangel. So fördere das Ministerium kommunale Pflegekonferenzen und wolle die Zahl der Kurzzeitpflegeplätze erhöhen. Mitte Juli war dazu mitgeteilt worden, dass 14 Projekte zur Tages- und Kurzzeitpflege mit rund 6,2 Millionen Euro gefördert würden. Damit würden in sechs Tagespflegeeinrichtungen sowie einem weiteren Projekt 15 Kurzzeit-Pflegeplätze und 123 Plätze in der Tagespflege entstehen.
Um das Problem der fehlenden Pfleger zu mindern, setzt die Bundesregierung auf Einwanderung. Im Frühjahr wurde bekannt, dass die Ampel-Koalition Arbeitskräfte unter anderem aus Brasilien und Ghana anwerben will. Die Stiftung Patientenschutz sieht solche Maßnahmen kritisch und bezeichnet die Pflegemisere „zuallererst als ein innerdeutsches Problem“. Dagegen hält die Karlsruherin Tietze die Strategie für richtig. „Wir brauchen ausländische Fachkräfte und einen Bürokratieabbau bei ihrer Anerkennung“, sagt sie.