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Zerwürfnis erschwert Gespräche

Der Ukraine-Krieg überlagert auch das bevorstehende Weltkirchentreffen in Karlsruhe

Der Ukraine-Krieg überlagert auch das bevorstehende Weltkirchentreffen. Die Ausgangslage ist kompliziert. Kommt es zu einem echten Dialog mit Vertretern aus Russland oder kommt es bei der Versammlung zum Eklat?

Umstrittener Kirchenführer: Patriarch Kyrill hat den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mehrfach verteidigt und gesegnet.
Umstrittener Kirchenführer: Patriarch Kyrill hat den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mehrfach verteidigt und gesegnet. Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP

Beim Weltkirchentreffen vom 31. August bis 8. September in Karlsruhe soll der Ukraine-Krieg nach dem Willen der Veranstalter eine wichtige Rolle spielen.

Christen aus Russland und der Ukraine sollen über Möglichkeiten zum Frieden diskutieren. Für die Beteiligten bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) ist das ein gewagtes Unterfangen – mit ungewissem Ausgang.

Dieter Klink und Sebastian Raviol haben Fragen und Antworten zu einer komplizierten Gemengelage zusammengetragen.

Bis wann reicht die russische Orthodoxie zurück?

Mehr als 1.000 Jahre. Großfürst Wladimir der Große hat im Jahr 988 die Taufe empfangen und pikanterweise im Gebiet der heutigen Ukraine (Kiewer Rus) den christlichen Glauben angenommen. Orientiert war das russische Christentum von Kiew aus von Anfang an an der griechischen Orthodoxie, zu Beginn auch noch als Teil des Patriarchats von Konstantinopel. Ende des 16. Jahrhunderts löste sich Moskau von Konstantinopel und gründete ein eigenes Patriarchat.

Wie war das in der Sowjetzeit?

Staat und Kirche wurden zu Lenins Zeiten strikt getrennt, den Sowjets war die Kirche suspekt, weil sie mit dem alten, überkommenen Zarenreich in Verbindung stand. Klöster und Kirchen wurden gesellschaftlichen Zwecken zugeführt, Christen wurden massiv verfolgt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kirche geduldet, aber streng vom System überwacht. 1990/91, mit dem Zerfall der Sowjetunion, erhielt die Kirche ihre frühere hohe Stellung zurück, erlebte quasi eine Renaissance. Sie versucht seither, ein Monopol in Russland zu schaffen, ließ andere Glaubensrichtungen nicht zur Entfaltung kommen. 2009 wurde Kyrill zum Patriarchen gewählt, er übt sein Amt bis heute aus.

Wie ist die kirchliche Situation in der Ukraine?

Kompliziert. Die orthodoxe Kirche in der Ukraine ist zersplittert. So fusionierten 2018 zwei ukrainische orthodoxen Kirchen und unterstellten sich zunächst Konstantinopel, bis der dortige Patriarch die ukrainische Kirche 2019 für unabhängig erklärte. Das sorgte für den Bruch in den Beziehungen zwischen Moskau und Konstantinopel, da Moskau die ukrainische Kirche traditionell als ihr zugehörig ansah. Daneben existiert noch die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die sich infolge des Kriegs 2022 vom Moskauer Patriarchat lossagte. In Teilen der Westukraine (Galizien) schließlich dominiert die Ukrainische griechisch-katholische Kirche.

Was ist das Problem heute?

Der aktuelle Patriarch Kyrill hat mehrfach den Krieg gegen die Ukraine verteidigt und die Sicht der Kreml-Führung bestätigt. Das hatte eine Entfremdung mit den Ukrainern zur Folge. Unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine stellten einzelne örtliche Bischöfe in der Ukraine ihren Pfarreien frei, Kyrill in der Liturgie nicht mehr zu gedenken. Zahlreiche Priester forderten ein „internationales Kirchentribunal“ gegen Kyrill, weil er den Krieg gegen die Ukraine gesegnet habe.

Wer kommt aus Russland nach Karlsruhe?

Laut ÖRK eine Delegation mit etwa zehn Personen, angeführt vom neuen Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Metropolit Antonij (Sevrjuk). Er gilt als enger Vertrauter von Patriarch Kyrill. Antonijs Vorgänger, Metropolit Hilarion (Alfejev), wurde erst im Juni abberufen. Er hatte bei einer Tagung im Mai auf Zypern den Krieg deutlich verurteilt, was nicht im Sinne Kyrills war. Kurz danach war Hilarion sein Amt los. Der erst 37-jährige Antonij steht nun an der Spitze der Delegation, die nach Karlsruhe kommt. „Es steht zu befürchten, dass in der Delegation des Moskauer Patriarchats nun die Hardliner das Sagen haben werden“, mutmaßt der Paderborner Ökumeniker Johannes Oeldemann in der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“.

Erhalten alle Einreisewilligen aus Russland ein Visum für Deutschland und die Versammlung?

Das Auswärtige Amt teilt auf Anfrage mit, es werde eine „einstellige Anzahl an Visa für Personen erteilt, die nicht auf den EU-Sanktionslisten stehen“. Entscheidungen über Visa-Anträge sind immer Einzelfallentscheidungen. „Es gibt aktuell keine generellen Gründe, die gegen die Visa-Erteilung zu diesem Reisezweck sprechen“, verlautet aus dem Auswärtigen Amt mit Blick auf die Vollversammlung. Über einen möglichen Visa-Bann für Russen wird in der EU kontrovers diskutiert. Die Balten sind dafür, Deutschland und andere dagegen. Für das Ökumene-Treffen würde eine Visa-Sperre aber ohnehin noch nicht gelten.

Wo wird der Krieg in Karlsruhe eine Rolle spielen?

Am Freitag, 2. September, ist ein Plenum zu Europa geplant, in dem es auch um den Ukraine-Krieg gehen soll. Dort sollen Teilnehmer aus Russland und der Ukraine zu Wort kommen. Moderiert wird das Plenum vom früheren schwedischen Erzbischof Anders Wejdryd.

Wie sieht der ÖRK das Thema?

Der ÖRK hat den Ukraine-Krieg klar verurteilt. In der Zentrale des ÖRK in Genf ist man sich sicher, dass Dialog die richtige Antwort auf den Krieg ist. „Die russisch-orthodoxe Kirche ist zahlenmäßig die größte Kirche im ÖRK. Alle Mitglieder sind nach Karlsruhe eingeladen, selbst wenn sie nicht einer Meinung sind“, sagt ÖRK-Sprecherin Marianne Ejdersten unserer Redaktion. Man habe in der Geschichte der Vollversammlungen immer schon mit umstrittenen Themen zu tun gehabt. „Der Umgang mit schwierigen Themen gehört zu den ÖRK-Treffen. Unser Ziel ist es, dem Dialog einen Raum zu bieten“, so Ejdersten. Sie glaubt, dass man in Karlsruhe der Lage sei, auch eine schwierige und spannungsgeladene Debatte so zu führen, dass sie im gegenseitigen Respekt verläuft.

Gab es Versuche, die Russen auszuschließen oder auszuladen?

Ja, die gab es. Einige Kirchen haben nach Beginn des Angriffskriegs beantragt, die Mitgliedschaft der russischen Orthodoxie auszusetzen. Der ÖRK-Zentralausschuss hat im Juli darüber beraten, aber einstimmig beschlossen, dass der „ÖRK seiner Identität als offene Plattform treu bleiben solle“, wie es ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca formuliert. Die Kirchen sollen sich einander kritische Fragen stellen können, so der Ansatz. Sauca, ein Rumäne, reiste Anfang August in die Ukraine, um die Ukrainer davon zu überzeugen, nach Karlsruhe zu kommen. Er sagte ihnen zu, dass ihre Position dort gehört werde.

Wie stehen Experten dazu?

Oeldemann hält die ÖRK-Strategie für richtig. Er hofft, dass es gelingt, „ein Auffallen der innerorthodoxen Spannungen im Rahmen der Vollversammlung zu verhindern“. Ohnehin glaubt Oeldemann: „Es wäre falsch, alle Orthodoxen, noch nicht einmal alle orthodoxen Russen, dafür verantwortlich zu machen, dass die russische Kirchenführung den Ukraine-Krieg unterstützt. Stattdessen gilt es, die dialogbereiten Kräfte zu stärken.“ Dafür sei es etwa wichtig, Graduierten- und Forschungsstipendien für orthodoxe Theologinnen und Theologen nicht auszusetzen, sondern eher zu verstärken.

Gibt es auch kritische Stimmen?

Ja. Thomas Bremer, Professor für Ostkirchenkunde und Ökumenische Theologie am Institut für Ökumenik und Friedensforschung der Universität Münster, stellt sich einen Dialog zwischen Russen und Ukrainern auf der Vollversammlung schwierig vor. „Patriarch Kyrill rechtfertigt diesen Krieg, wie soll man da einen Dialog führen? Dialog setzt eine gemeinsame Sicht auf den Ukraine-Krieg voraus. Und das ist nicht gegeben“, sagt Bremer gegenüber unserer Redaktion. In der offiziellen russischen Delegation werde es niemanden geben, der für die Ukrainer akzeptabel sei, befürchtet er. „Es gibt einzelne kritische Priester in der russischen Orthodoxie, aber sie werden sicher nicht als offizielle Vertreter nach Karlsruhe zur Vollversammlung geschickt.“ Bremer hält den Einfluss der Kirchen ohnehin für gering. „Selbst wenn alle Kirchen auf der ÖRK-Vollversammlung Putin aufrufen würden, den Krieg zu beenden, würde er es nicht tun.“ Es werde sicher in Karlsruhe Proteste von Ukrainern gegen die russische Delegation geben. „Und dann kommt es darauf an, wie sich die Vollversammlung dazu verhält. Vieles wird von der Dynamik vor Ort abhängen“, so Bremer.

Wie verhält sich die gastgebende Kirche zu dem Konflikt?

Die badische evangelische Landesbischöfin Heike Springhart hält es für richtig, den Krieg auf der Vollversammlung zu thematisieren. „Ich erwarte da sehr heiße Debatten. Wir schauen mit Spannung drauf“, sagt die Theologin unserer Redaktion. Sie stellt auch klar, wo für sie die Grenze der Toleranz verläuft: Die Reden von Patriarch Kyrill „kann man als Kriegstreiberei bezeichnen. Da werden wir klar sagen: Das geht nicht.“ Denn, so Springhart: „Krieg im Namen der Orthodoxie gutzuheißen, das geht nicht. Aber die russische Orthodoxie ist kein homogener Block. Ich hoffe auf echte und kontroverse Gespräche.“ Die Vollversammlung in Karlsruhe ist aus ihrer Sicht genau der richtige Ort für solche Debatten – auch mit schwierigen Partnern. „Wenn wir bei Konflikten alle aus dem ÖRK ausschließen, brauchen wir keinen ÖRK.“

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