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Hinter den Kulissen: Mit dem Cello neben dem „Tatort“-Sarg

Ein Drehtag beim „Tatort“ aus Sicht eines Komparsen

20 Anläufe und zehn Einstellungen für eine Minute Film: Wie man als Komparse einen „Tatort“-Dreh unter Corona-Bedingungen erlebt.

Dreharbeiten für den SWR-“Tatort: Was wir erben“ im September 2020 auf dem Freiburger Hauptfriedhof.
Klappe in der Kapelle: Viel Aufwand mit zahlreichen Darstellern und einem Streichquartett steckt in dieser kurzen Szene im kommenden Schwarzwald-„Tatort“. Foto: SWR/Benoît Linder

Von Gregor Rudiger

Kühl, entschlossen und durchdringend blickt die blonde Dame auf dem Kondolenzbild. Die opulenten Kränze aus weißen Rosen erzählen von Reichtum. „In tiefer Trauer, die Belegschaft der Firma Klingler“ und „Ruhe in Frieden“ ist auf den Schleifen neben dem Sarg zu lesen.

Vor der Einsegnungshalle des Freiburger Hauptfriedhofs stehen die Trauergäste Schlange und lassen sich mit Atemschutzmaske fotografieren. Ein Hut wird gelobt, ein Mantel nochmals ausgetauscht. Dann werden Witze gemacht und Selfies geschossen, obwohl die Trauerfeier in wenigen Minuten beginnt.

Wegen Corona: Streichquartett statt Opernsänger

Es ist der fünfte Drehtag beim kommenden SWR Schwarzwald-Tatort „Was wir erben“. Es geht um den Tod einer reichen Freiburger Fabrikantenwitwe und um die Brüche in einer Familie. Laut Drehbuch hätte ein Sänger auf der Trauerfeier Sarastros Arie „In diesen heiligen Hallen“ aus Mozarts „Zauberflöte“ vortragen sollen, aber das war wegen der Coronaauflagen schwierig.

Deshalb schlug Redakteurin Katharina Dufner der Regisseurin Franziska Schlotterer andere beliebte Trauermusiken vor: das „Air“ von Bach, den Kanon von Pachelbel und das „Adagio for Strings“ von Samuel Barber.

Die Wahl fiel auf das pathetische Adagio von Albinoni – und auf ein Streichquartett. Es soll ja schließlich feierlich zugehen bei Familie Klingler.

Auskunft über Urlaubsziele und Gesundheit

Katharina Dufner spielt selbst Bratsche in der Camerata Academica Freiburg. So kommt das Camerata Quartett ans Set – und ich als Cellist zu meinem ersten Filmauftritt. Vor dem Dreh haben wir im Corona-Fragebogen schon Auskunft gegeben über Urlaubsziele und Gesundheitszustand. „Umarmungen, Küssen, Kuscheln, Kampfszenen wie Ringen sind nicht erlaubt.“ Das schaffen wir!

Auch unser Outfit, von dem wir zuvor schon ein Foto der Kostümassistentin gemailt hatten, wird nochmals vor Ort fotografiert, falls es einen Nachdreh geben sollte. Die Haare meiner Kolleginnen Martina Wündrich, Vera von Kap-Herr und Anne-Françoise Guezingar werden zu Hochsteckfrisuren drapiert. Bei mir reicht ein wenig Puder.

43 Komparsen, keine Dialoge

Die Szene 90, bei der wir dabei sind, ist sehr aufwändig, aber es wird nicht gesprochen. Im endgültigen Film soll die Szene eine Minute lang werden. Regieassistent Robert Ziegler weist die 43 Komparsen in die Bänke ein.

Die Trauerfamilie mit den Kindern der Verstorbenen Gesine Rathmann (Jenny Schily) und Richard Rathmann (Jan Messutat) sowie der Enkelin Toni Wood (Johanna Polley) sitzt in der ersten Reihe. Ein Mann kommt zu spät, die Enkelin verlässt den feierlichen Ort früher – mehr passiert nicht.

Normalerweise wird nur mit einer Kamera gefilmt. Heute ist neben Stefan Sommer auch noch Christoph Schmitz dabei, um bei den insgesamt zehn verschiedenen Einstellungen Zeit zu sparen. Geprobt wird mit FFP2-Masken. „Musik ab“.

Ich beginne am Cello mit gezupften Bässen, ehe Violinen und Viola einsetzen und das Pathos erhöhen. Nach 16 Takten steht Johanna Polley auf und eilt über den Mittelgang nach draußen. Ein „Danke“ vom Regieassistenten beendet abrupt unser Spiel.

Fünf Stunden Dreh für eine Minute

Noch mehrere Male wird die Szene geprobt. Dann werden die Schauspielerinnen und Schauspieler für den ersten Dreh im Gesicht betupft und mit einem Fusselroller bearbeitet. Masken ab! „Alles auf Anfang bitte. Ruhe, wir drehen.“ Die Anweisungen zwischen dem Regieassistenten und dem Team variieren bei dem knapp fünfstündigen Dreh nur leicht. Auch das Adagio von Albinoni geht über 20 Mal zurück auf Anfang.

Immer wieder steht Johanna Polley auf und eilt nach draußen. Die Kamera filmt von hinten, von vorne, von der Seite, von nah, von weit. Erst beim Schnitt werden die vielen Varianten der gleichen Szene zusammengesetzt. Unaufgeregt leitet Franziska Schlotterer den Dreh, der die meiste Zeit aus Warten besteht. Ein Hauch von Hektik kommt nur auf, als ein Scheinwerfer ausfällt.

Regenschirm bei Sommerwetter

Am nächsten Tag fährt das Team zum Stadtrainsee nach Waldkirch. Eva Löbau und Hans-Jochen Wagner, das Freiburger Kommissarenduo Tobler und Berg, stehen bei hochsommerlichem Wetter unter Regenschirmen und warten auf ihren Einsatz. Dieser „Tatort“ wird im Herbst spielen – deshalb tragen sie Parka und ein dickes Hemd. Wegen Corona wurde der Dreh von März auf September verlegt.

Produktionsleiter Jürgen Weissenrieder sitzt im Schatten und genießt nach 39 Jahren „Tatort“ bei seiner letzten Produktion die entspannte Atmosphäre im Team. Aufregend war es für ihn eher im Vorfeld, als die Herzklinik Bad Krozingen den fest zugesicherten Dreh kurzfristig absagte und er ein neues, leerstehendes Krankenhaus mit Intensivstation suchen musste – und es schließlich in Weingarten fand.

Teams müssen sich abwechseln

Das Hygienekonzept des SWR verändert auch Weissenrieders Arbeit. Die Teams Requisite, Beleuchtung und Kamera können in geschlossenen Räumen nicht parallel arbeiten, um ein Set drehfertig zu machen, sondern nur abwechselnd. Nach einer Stunde muss für zehn Minuten gelüftet werden.

Das braucht alles mehr Zeit. Deshalb wurde die Zahl der Drehtage von 24 auf 26 erhöht. Wenn in sogenannten roten Szenen der Mindestabstand von 1,5 Meter unterschritten wird, müssen zuvor das Schauspielteam und die Regisseurin auf das Coronavirus getestet werden.

Das Proben mit Maske erschwert die Arbeit schon sehr.
Franziska Schlotterer, Regisseurin

Auch für die Regisseurin Franziska Schlotterer hat Corona Auswirkungen. Einzelne Szenen aus dem Drehbuch mussten verändert werden. Weniger Nähe, mehr Frischluft. Statt im Auto, wird eben vor dem Auto gedreht. „Das Proben mit Maske erschwert die Arbeit als Regisseurin schon sehr. Ich kann den Gesichtsausdruck der Schauspielerinnen und Schauspieler nicht sehen – und sie meinen auch nicht. Ich muss immer auf die erste Kameraeinstellung warten, bis ich eine Szene richtig beurteilen kann.“

Suche nach „puren Emotionen“

In ihren Filmen ist Schlotterer immer an den „puren Emotionen“ interessiert. Mit dem preisgekrönten, ebenfalls im Schwarzwald spielenden Film „Ende der Schonzeit“ (2012) debütierte sie beim SWR. Ihr Drama „Totgeschwiegen“ lief gerade im ZDF. „Die Figuren sind mir wichtig. Ich möchte auch ihre Schmerzen zeigen und ihre Unsicherheiten.“

Der Szene in der Einsegnungshalle gehe ein Erbstreit voraus, erklärt sie im Gespräch. Die Spannung in der Kirche müsse sich nur über die Bilder und die Musik erzählen, deshalb das aufwändige Setting.

„Wir haben erst während des Drehs entschieden, dass das Streichquartett die ganze Zeit live spielen soll, wir also die Musik während der Proben nicht vom Band nehmen. Das hat eine große emotionale Spannung erzeugt, die für das ganze Team bei dieser stummen Szene wichtig war.“

Erst „entfusselt“, dann beklatscht

Die emotionale Spannung beim Cellisten ist in der Einsegnungshalle nach fünf Stunden Warten und Spielen dagegen begrenzt. Erst als letzte Einstellung wird das Streichquartett von zwei Kameras gefilmt. Nun stehen wir im Mittelpunkt und werden betupft und entfusselt. Endlich dürfen wir den ganzen ersten Teil des Adagios mit Wiederholung ohne Unterbrechung spielen.

Am Ende gibt es Applaus vom Team und ein Daumen hoch vom Tonmeister Peter Tielker. Ob wir im „Tatort“, der in der ersten Jahreshälfte 2021 ausgestrahlt werden soll, zu sehen sind, kann nicht garantiert werden. Aber wir sind auf jeden Fall zu hören.

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