In den Klassenzimmern der Landeserstaufnahmestelle in der Karlsruher Felsstraße herrscht gähnende Leere. Wo sonst Flüchtlingskinder Deutsch und andere Fächer büffeln, sind die Stühle hochgestellt und auf den Gängen ist es still. Doch die Momentaufnahme aus der Schule während der Sommerferien täuscht.
Die Corona-Krise und ansteigende Zugangszahlen werden die Lage in den Flüchtlingsunterkünften im Land in Zukunft massiv verschärfen. „Wir sind am Limit“, sagte der neue Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU) nach seinem Antrittsbesuch bei den drei Erstaufnahmestellen für Flüchtlinge in Karlsruhe.
Auch in den Wohnquartieren der Schutzsuchenden in der Durlacher Allee 100, der Felsstraße und im Christian-Griesbach-Haus in der Sophienstraße bot sich dem Politiker während seiner Besichtigungstour ein Bild, das die tatsächliche Situation nicht richtig widerspiegelt. Wegen der Ansteckungsgefahren können in sämtlichen Flüchtlingsunterkünften im Land schon lange nicht mehr alle Plätze belegt werden. „Wir gehen im Moment davon aus, dass uns lediglich rund 40 bis 50 Prozent zur Verfügung stehen“, so Lorek.
Eigentlich will das Land 10.400 Plätze anbieten – dann hätte man das „atmende System“, das man brauche, und einen Puffer, sagt Lorek. „Aktuell stehen aber bei der Regelbelegung nur 6.400 Plätze zur Verfügung – coronabedingt davon dann auch nur weniger als die Hälfte.“ In Karlsruhe, das zu normalen Zeiten 1.000 Flüchtlinge aufnimmt, können derzeit nur 426 Personen untergebracht werden.
Zahl der Schutzsuchenden ist stark gestiegen
Beim Blick auf die Zukunft wird es eng. Die Zahl der Schutzsuchenden in Baden-Württemberg ist zuletzt wieder gestiegen. Im ersten Halbjahr 2021 stellten 4.689 Menschen einen Antrag auf internationalen Schutz, wie das Migrationsministerium vor kurzem mitteilte. Das sei ein spürbarer Anstieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, als in den ersten sechs Monaten 2.953 Menschen in den Südwesten kamen.
Fast die Hälfte der Schutzsuchenden im Südwesten kam in der ersten Jahreshälfte aus Syrien, rund 500 aus Afghanistan. „Wir haben gestiegene Zugangszahlen, sind jetzt etwa auf dem Level von 2019, und die Zahlen könnten weiter steigen“, sagte Lorek.
Druck durch die Sekundärmigration
Der neue Staatssekretär verwies auf den Druck durch die sogenannte Sekundärmigration, besonders aus Griechenland. Die Zahl der Flüchtlinge aus Griechenland im Südwesten sei von 1.350 Anfang Mai auf 2.550 Ende Juni gestiegen. Sehr viele Menschen würden das Asylverfahren dort schnell durchlaufen, dann könnten sie sich mit einem anerkannten Schutzstatus 90 Tage in der EU bewegen. „Sie setzen sich in Griechenland in ein Flugzeug und kommen bei uns an, ganz legal“, sagte Lorek.
Außerdem fliege Weißrussland mittlerweile gezielt Menschen etwa aus dem Irak ein und bringe diese an die litauische Landesgrenze. „Auch hier wird der Migrationsdruck auf Deutschland oder auf Mitteleuropa mit Sicherheit massiv steigen“, sagte Lorek.
Aufnahme und Unterbringung würden noch auf lange Sicht hin eine Daueraufgabe bleiben. In Karlsruhe, das traditionell die erste Anlaufstelle für Flüchtende im Land ist, rüstet man sich mit einer Vergrößerung der Aufnahmekapazitäten. „Wir stocken von 1.000 auf 2.650 Plätze auf“, erklärte die Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder.
Zusätzlich zur Vergrößerung der Landeserstaufnahmeeinrichtungen (LEA) Durlacher Allee (um 500 Plätze) und der in der Feldstraße (um 650 Plätze) wird es einen Neubau an der Schwarzwaldstraße geben, in dem im kommenden Jahrzehnten 500 Menschen zur Erstversorgung aufgenommen werden können.
Große Skepsis gegenüber Impfungen
Neben dem Platzmangel in den Unterkünften und den steigenden Flüchtlingszahlen ist die Impfung der Geflüchteten nach Schilderung Loreks eine große Herausforderung. „Bislang waren die Menschen, die zu uns kamen, nachvollziehbar zum größten Teil nicht geimpft“, sagte er.
Stand 4. August seien 1.181 Infektionen bei 20.193 Tests registriert worden. 36 Prozent der Infektionen seien in den Erstaufnahmeeinrichtungen durch Neuzugänge aufgetreten. „Die Bereitschaft zur Impfung hält sich in Grenzen“, sagte Lorek. Der Grund seien viele Impfmythen, die auch von Menschen, die zu uns kämen, geglaubt würden.
Diesen Eindruck konnten auch die Mitarbeiter des Christian-Griesbach-Hauses, der letzten Station des Staatssekretärs am Nachmittag, bestätigen. In der Einrichtung, die besonders schutzbedürftige Neuankömmlinge wie schwangere oder pflegebedürftige Flüchtlinge aufnimmt, liegt die Impfquote derzeit bei 29 Prozent. In den anderen Karlsruher Häusern seien nur fast 40 Prozent geimpft.
Regierungspräsidentin Felder zeigte sich jedoch zuversichtlich, dass die Quote in Zukunft kontinuierlich steigen wird. Wer noch an Impfmythen glaubt, der könne vor Ort in der Unterkunft an seinen Mitbewohnern selbst sehen, dass die Ängste sich nicht bewahrheiten. „Das wird sich herumsprechen“, so Sylvia Felder. Laut Lorek versuche man, die Impfbereitschaft zu steigern – etwa durch das Verteilen von Merkblättern in der jeweiligen Landessprache und gezielte Ansprachen oder Info-Filme.