Michael Blume ist ein fröhlicher Mensch, er lächelt gerne, macht ab und an einen Witz. Lächelnd steht der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte auch am Montagnachmittag in der Synagoge Karlsruhe, um mit Experten über Antisemitismus und Hass im Netz zu sprechen. Wer Blumes Hintergrund kennt, mag sich manchmal über seine gute Laune wundern.
Dazu muss man wissen: Der Religionswissenschaftler steht als „Volksverräter“ auf einer rechten Internetseite zusammen mit Menschen, mit denen „abgerechnet“ werden soll. Blume bekommt viele hetzerische Zuschriften, die neuesten las er zum Auftakt des Fachtags in Karlsruhe vor („dreckiger Hetzer“, „hat seine Daseinsberechtigung verwirkt“). Blume betonte: „Wir müssen gegen Antisemitismus ankämpfen, ohne die gute Laune zu verlieren.“
Der Kampf sei wichtig, doch man führe ihn nicht den jüdischen Gemeinden zuliebe: „Der Hass von Antisemiten wird niemals satt.“ Diese würden dann auch Medien, die Wissenschaft, Polizei, den Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie ablehnen.
Einen besonderen Fokus richtete der Fachtag auf das Internet. „Es ist das wichtigste Instrument zur Verbreitung von Antisemitismus“, erklärte Andreas Schütze. Der Amtschef im Innenministerium betonte: „Das Ausmaß und die Reichweite sind neu – weltweit, in allen Sprachen, rund um die Uhr. Die Schwelle des Konsums und der Mitgestaltung ist niedriger geworden.“
Die Zahl der antisemitischen Straftaten stieg in Baden-Württemberg innerhalb eines Jahres um etwa 32 Prozent. 2019 habe es 89 Straftaten gegeben, 2020 seien es 118. Die Mehrzahl der Taten sei rechtsextremistisch motiviert, es gebe aber auch Taten aus dem linksextremen und islamistischem Spektrum. „Der Großteil wird anonym und im Internet begangen“, berichtete Schütze.
Aufklärungsquote stieg um zwölf Prozent
Die Zahlen sind für Rami Suliman längst spürbar. Er ist Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden. Früher habe er beim Neubau von Synagogen immer geraten, keinen Zaun zu errichten. „Sodass die Leute einfach kommen und die Wände berühren können“, sagte Suliman. „Heute bauen wir Zäune. Die Situation ist für uns gefährlich. Wir spüren den Internethass und müssen reagieren.“ So gehörten Panzerglas, Zäune und Kameras zur Ausstattung der Synagogen.
„Wir werden nicht absolute Sicherheit garantieren können“, räumte Landeskriminaldirektor Klaus Ziwey ein. „Wir arbeiten aber mit aller Kraft daran, dass Juden als Teil unserer Gesellschaft sicher sind.“ Es sei wichtig, dass die Polizei taktisch, technisch und personell auf der Höhe der Zeit bleibe. „Das Internet ist ein Brandbeschleuniger“, sagte Ziwey.
Die Hälfte der antisemitischen Straftaten finde im Internet statt, ein deutlich erhöhter Wert, verglichen mit der politischen Kriminalität. Es gebe Aufklärungsstellen für Cybercrime und Staatsschutzkriminalität. „Wir sind im Internet auch nicht hilflos“, sagte Ziwey. Die Aufklärungsquote sei um zwölf Prozent gestiegen.
Kommentar unter Livestream offenbart Problem
Wie schwer der Kampf gegen anonyme Hetzer ist, zeigte sich unter dem Livestream des Fachtags mit seinen zwischenzeitlich etwa 1.400 Aufrufen. Während die Experten über Judentum und Antisemitismus sprachen, kommentierte ein Nutzer unter dem Video, ob denn ein gewisser „Seek Hail“ gegrüßt werden könne.
Davon nahmen die Diskutierenden keine Notiz, und doch ging Ruth Bostedt auf scheinbar spaßig gemeinte Kommentare ein, die in Bezug zum Judentum fallen. Die Vizepräsidentin des Bundes jüdischer Studenten Baden fordert: „Jeder soll sich trauen, den Mund aufzumachen – auch wenn es nur der Witz vom Onkel auf der Weihnachtsfeier ist. Jude ist kein Schimpfwort.“
Es blieb einer der wenigen Blicke in die Zukunft eines kurz gehaltenen Fachtags. „Es war uns wichtig, dass dieser Tag stattfinden kann“, betonte Blume. Im kommenden Jahr soll er, so hofft Rami Suliman, könne er ohne Corona-Auflagen in größerem Rahmen stattfinden.