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Staub und Dreck

Ran an den Schmutz: Der Frühjahrsputz steht an

Bei manchen hat er lange Tradition: Der große Frühjahrsputz. Doch was wischen wir da eigentlich weg? Und wann ist zu viel Putzen - gerade mit den aggressiven chemischen Reinigungsmitteln - schädlich?

Eine Person mit Handschuhen hält einen Putzeimer und weitere Putzutensilien vor dem Körper
„Ran an den Schmutz“ heißt es jetzt wieder in vielen Haushalten. Der Frühjahrsputz steht an. Foto: ©pictworks / Adobe Stock

Wenn der Frühling Einzug hält, könnte alles so schön sein. Die Hormone spielen verrückt, das Blut kommt in Wallung, der Körper ist auf Flirten und Fortpflanzung programmiert. Stattdessen packt so manchen Zeitgenossen das kalte Grausen, wenn frühmorgens Sonnenstrahlen das heimelige Liebesnest erhellen.

Auf der prächtigen Kommode in schmuckem Kirschbaum stapelt sich der Staub. In den Ecken türmen sich Tonnen von Fusseln. Der Raumteiler gleicht einem Rankgerüst für Spinnweben.

Allerhöchste Zeit also, um den Frühjahrsputz in Angriff zu nehmen und zu Wischmop, Staubwedel und Allzweckreiniger zu greifen. Das Großreinemachen im Frühjahr hat Tradition, schließlich haben wir uns dank freundlicher Unterstützung der Industrie vom Homo sapiens zum Homo sapiens hygienicus weiterentwickelt.

Schmutz: der ungeliebte Alltagsbegleiter

Schmutz gehört zum Leben, ist gleichsam überall und verhöhnt unser Bedürfnis nach Ordnung und Sauberkeit – obwohl es weder an Geld, noch Mühen fehlt, dem ungeliebten Alltagsbegleiter Herr zu werden.

Das Putzgewissen wird durch den ultrastarken Fettlöser mit Life-Action-Technologie besänftigt. Den Wollmäusen, die sich friedliebend unter Schränken und Betten eingenistet haben, geht es mittels Staubmagnet an den Kragen; und unangenehme Geruchsmoleküle eliminiert der Duftstecker namens „Frühlingserwachen“, den es selbstredend auch als blumigen Duft für den – hoffentlich ausgemisteten – Kleiderschrank gibt.

Das großer Geschäft mit dem Putzen

Für die Industrie, die aus den Rohstoffen des Planeten immer neue Chemikalien im Kampf gegen den Schmutz kreiert, mit Pestiziden und Mikroplastik als unerwünschten Nebenprodukten, ist der Wunsch nach Anti-Fett-, Anti-Staub- und Anti-Geruchs-Formel bare Münze wert. Rund 60.000 Reinigungsmittel sind nach Angaben der EU-Kommission in Europa auf dem Markt.

In deutschen Haushalten finden sich im Schnitt 15 verschiedene Reiniger. Dabei ließe sich das Putzmittel-Chaos nach Ansicht des Umweltbundesamtes auf einige wenige Must-haves reduzieren – auf Spülmittel, Allzweck- sowie einen Essigreiniger gegen Kalkablagerungen.

Den größten Umsatz erzielen die Putzmittel-Hersteller von Januar bis April. Fast 28 Millionen Euro waren es im entsprechenden Zeitraum des Jahres 2017.

Neue Produkte mit Nebenwirkungen

Als Putzlappen noch nicht aus Mikrofasern gefertigt wurden, sondern aus Vaters alten Unterhemden, als Wäsche in Bottichen mit einer Lauge aus Asche landete und nicht in computergesteuerten Waschmaschinen mit Oxypowerschaum – da machte der Frühjahrsputz noch Sinn.

Die Winter waren lang und kalt, die Wohnungen aufs Nötigste gewärmt von Kohleöfen. Der Ruß legte sich auf Böden und Möbel, auf Wolldecken und Teppiche. Deshalb schleppte die fleißige Hausfrau Bettdecken und Vorleger zum ausgiebigen Klopfen nach draußen. Sie wischte Schränke und befreite das traute Heim vom grauen Rußfilm.

Heutzutage sind die großen Putzeinheiten durch kleine ersetzt worden: Der Staubsauger kreist regelmäßig durch die Wohnung; der Staubwedel ist im Dauereinsatz, und sollte das Rotweinglas versehentlich auf dem beigen Berber landen, hilft die Teppichreinigung.

Beim Putzen sind die Deutschen fleißig

In puncto Putzen kann man den Deutschen jedenfalls den Fleiß nicht absprechen: Nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa wenden sie durchschnittlich 4,7 Stunden in der Woche für Saubermachen von Küche, Bad und Co. auf .

Die Geschlechterrollen sind geradezu klassisch verteilt. Frauen sind doppelt so aktiv wie das starke Geschlecht. Ungleich überraschender: Rund 13 Prozent der Deutschen opfern mehr als zehn Stunden dem Reinemachen. Hochgerechnet auf das Jahr sind das mehrere Wochen.

Der Mensch als „Dreckschleuder“

Es sammelt sich ja auch einiges an in den eigenen vier Wänden: Abrieb von Autoreifen und Straßen, Erde, die mit den Schuhen ins Haus getragen wird, Blütenstaub und Pilzsporen sowie Ruß und Schwermetalle aus Abgasen unterschiedlicher Quellen. Eine der größten „Dreckschleudern“ sind wir selbst. Um die 100 Haare fallen dem Durchschnittstypen tagtäglich aus – und die bleiben nicht alle im Kamm stecken.

Auch abgestorbene Hautschuppen rieseln unaufhörlich gen Fußboden, landen auf Polstermöbeln oder im Bett. Bis zu 10.000 Hautschuppen machen sich nach Schätzungen von Hygieneexperten pro Minute selbstständig. Ein bis zwei Gramm kommen auf diese Weise pro Tag zusammen.

Eine solche Menge lässt Sauberkeitsfanatiker nicht ruhen. Wer auf die Versprechungen der Putzmittel-Industrie reinfällt und meint, sich den Aktiv-Frische-Kick mit grüner Ozeankopfnote ins Haus holen zu müssen, sollte sich über eines klar sein: Zu viel Putzen mit der Chemie-Keule schadet der Umwelt und ist gesundheitsschädlich.

Gefahr für Putzteufel

Welche Risiken von aggressiven Reinigungsmitteln und deren Inhaltsstoffen ausgehen, war lange wenig erforscht – sieht man einmal von der Tatsache ab, dass versehentliches Trinken von Putzmitteln immer noch ganz oben auf der Anrufliste von Vergiftungszentralen steht.

Eine Langzeitstudie von Wissenschaftlern der Universität Bergen stellte fest, dass Putzteufel eine deutlich schwächere Lungenfunktion haben als jene, die guten Gewissens über ein wenig Dreck hinwegsehen. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass allzu sorgloser Umgang mit Reinigungsmitteln vergleichbar mit starkem Rauchen sei.

Auf Warnhinweise achten

Wirklich überraschen muss dieses Ergebnis nicht: Wer die Warnhinweise auf den Verpackungen studiert, Totenkopf und Flammen ernst nimmt, weiß schnell, dass der „frühlingsfrische Duft“ nicht nur mit Wasser und Seife erzielt wird.

Besonders gefährlich wird es, wenn verschiedene chemische Reiniger miteinander kombiniert werden und reagieren. Wenn zum Beispiel Chlorreiniger und Entkalker aufeinander treffen, kann giftiges Chlorgas entstehen. Im schlimmsten Fall führt die explosive Mischung zum Tod.

Wer ständig Angst vor Keimen hat, leidet nach Auffassung vieler Umweltmediziner an Hygienewahn. Denn Bakterien sind allgegenwärtig, nicht nur auf Wischmop und Spülschwamm, sondern auch im menschlichen Körper: Etwa 39 Billionen meist wohlgesonnener Mitbewohner tummeln sich auf der Haut, im Mund sowie im Magen und Darm.

„Dreck reinigt den Magen“

Dass eine keimfreie, sterile Welt ungesund ist und in dem alten Spruch „Dreck reinigt den Magen“ mehr als ein Körnchen Wahrheit steckt, belegt der sogenannte Bauernhof-Effekt: Er besagt, dass Kinder, die auf einem Bauernhof aufwachsen, seltener an Allergien oder Asthma erkranken als ihre Altersgenossen in der Stadt.

Der frühe Kontakt mit Schimmelpilzen und Keimen trainiere das Immunsystem der Kinder und schütze sie so vor Allergien, vermuten die Wissenschaftler.

Die Sache mit dem Zungenkuss

Wer trotz solcher Nachrichten an Bakterienphobie leidet und im Kampf gegen die Keime auf all die chemischen Helferarmeen im Auftrag der Sauberkeit vertraut, lässt sich womöglich durch die Studien des Niederländischen Mikrobiologen Remco Kort umstimmen.

Sein Team fand heraus, dass Liebespaare bei einem zehnsekündigen Zungenkuss gleich mehrere Millionen Kleinstlebewesen auf die Reise schicken – genauer gesagt 80 Millionen. Mag unromantisch klingen, macht aber Sinn. Indem man seinem Partner seine eigenen Bakterienarten verabreicht, fördert man womöglich sein gesundheitliches Befinden – und umgekehrt. Küssen ist also wahrlich ein Geben und Nehmen – nicht nur von Zärtlichkeit.

Buchtipp

„Sind wir noch ganz sauber?“ heißt ein lesenswertes Buch der Wissenschaftsjournalistin Hanne Tügel. In ihrem klugen und gleichzeitig unterhaltsamen Rundumschlag befasst sie sich mit dem, was wir im Alltag wegputzen und abwaschen, entsorgen, ausfiltern oder achtlos liegen lassen. Hanne Tügel, Jahrgang 1953 und bei der Zeitschrift GEO verantwortlich für viele Titelgeschichten, zeigt die Zusammenhänge zwischen Hygiene und Gesundheit auf, plädiert aber auch für die Kunst klugen Putzens, die sich nicht von Ultrareinheitsformeln leiten lässt. Ihr gelingt es, den Leser auf eine lehrreiche Reise mitzunehmen, vom Ursprung des Drecks bis zur vom Menschen gemachten Ex- und-Hopp-Kultur.

Hanne Tügel: Sind wir noch ganz sauber?, 288 Seiten, erschienen bei Edelbooks, ISBN: 978-3-8419-0656 -4, 17,95 Euro.

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