Ganz schön hinterhältig, die Photuris-Damen. Statt brav nach einem Glühwürmchen der eigenen Gattung Ausschau zu halten, gebärden sich die Weibchen wie Femmes fatales. So unscheinbar die Wesen sind, noch dazu im hohen Gras oder gut getarnt auf einem Blatt: Die durchtriebenen Frauenzimmer sind Meisterinnen im Täuschen und Tricksen.
Die raffinierten Jägerinnen imitieren nämlich die Signale einer fremden Glühwürmchengattung, die auch noch ganz ähnlich heißt – Photinus –, und führen mit ihrer verführerischen Blinkerei liebestolle Freier in die Irre. Statt Sex wartet der Tod auf die paarungswilligen Lümmel im Liebesrausch, die zuerst leergesaugt und anschließend zerlegt werden.
Doch im ewigen Spiel aus Fortpflanzung, Fressen und Gefressenwerden entpuppen sich auch einige Photinus-Männchen als virtuose Betrüger; Sie wagen sich im Schlepptau eines Geschlechtsgenossen zu der vermeintlichen Dame des Herzens.
Der Geschlechtsgenosse muss gewissermaßen den Vorkoster der Glühwürmchen spielen. Man selbst ist zwar nur die Nummer zwei, doch geht die Sache schief und steckt tatsächlich ein Photuris-Weibchen hinter den unwiderstehlichen Locksignalen, wird wenigstens der andere gefressen.
Liebesgefunkel der Glühwürmchen
So wenig dieser listenreiche Lebenswandel zu diesen wundersamen Wesen mit ihrem zauberhaft lautlosen Liebesgefunkel zu passen scheint: Glühwürmchen sind wahrlich außergewöhnliche Kreaturen. Die kleinen Krabbler, die rund um den Johannistag am 24. Juni ihren großen Auftritt haben, verbringen die längste Zeit ihres Lebens als Larve mit einem Mordshunger auf große, saftige Schnecken.
Mehrfach gehäutet und das Körpergewicht um das Dreihundertfache gesteigert wechseln sie dann ins Puppenstadium über. Die adulten Exemplare leben von Luft, Liebe und ihren Fettreserven, leuchten, als gäbe es kein Morgen, und verwandeln dunklen Tann mit ihrem tausendfachen Funkeln in helle Pforten zu einer magischen Welt.
Wissenschaftler staunen mit schöner Regelmäßigkeit über diese winzigen Lichtwesen, die die Natur deutlich effizienter als jede Energiesparlampe designt hat und deren chemische Waffen sich paradoxerweise als Therapeutika gegen menschliche Krankheiten eignen.
Schon der Name führt in die Irre, denn eigentlich sind Glühwürmchen ziemlich unscheinbare Käfer, deren keineswegs liebreizender Anblick kleine Mädchen schreiend weglaufen lässt. Rund 2 000 Arten leben rund um den Globus, die unter dem Oberbegriff Leuchtkäfer zusammengefasst sind.
Die meisten finden sich in den tropischen Regionen Asiens und Südamerikas. In teutonischen Gefilden sind drei Vertreter daheim – die sich in puncto synchrones Schwarmblinken aber nicht mit ihren amerikanischen Verwandten in den Great Smoky Mountains messen können.
Sie strahlen einen wunderbaren Glanz aus.Alfred Brehm, Zoologe im 19. Jahrhundert
Die kleinen, grünen Fackelträger schwärmten bereits aus, als noch Dinosaurier über den Planeten wandelten. Und in den vergangenen 25 Millionen Jahren haben Glühwürmchen ihr Aussehen kaum verändert: Das dokumentieren Einschlüsse in Bernstein.
„Sie strahlen einen wunderbaren, gewissermaßen Erdsternen nachahmenden Glanz aus, welcher mit einer Laterne und dem Monde hinsichtlich der Helligkeit zu wetteifern scheint“, schrieb Alfred Brehm in seinem Tierlexikon über die lebenden Feuerwerkskörper, deren spektakuläre, lautlose Lichtshow laue Sommerabende untermalt und die auf geradezu magische Weise den Glauben an das Wunderbare erwecken.
Ihr anmutiger Lichtertanz ruft Erinnerungen wach an glückliche Kindertage, als man die geheimnisvollen Glitzerwesen mit bloßen Händen zu erhaschen suchte. Mit ihrem tausendfachen Funkeln, das elfengleich über Forst und Flur schwebt, lassen sie sogar Menschen staunen, deren poetische Ader ansonsten verkümmert ist. So romantisch, so überirdisch schön ist das sommerliche Gastspiel der Glühwürmchen, dass sich ganze Regionen dem schillernden Schauspiel verschrieben haben.
Wenn Zigtausende Exemplare von Photinus carolinus in der Dunkelheit ihre lautlose Lichter-Symphonie anstimmen, kann sich der kleine Ort Elkmont im US-Bundesstaat Tennessee vor Glühwürmchen-Bewunderern nicht retten. Der Nationalpark-Service musste die Besucher-Zahl auf 30 000 begrenzen, und die Tickets für dieses Event sind jedes Jahr im Nu vergriffen.
Das exhibitionistische Schauspiel der schwarz-braunen Käfer dient nur einem einzigen Zweck: der Fortpflanzung, dem Streben nach genetischer Unsterblichkeit. Der Liebestaumel mit seinem synchronen Blitzlichtgewitter ist sozusagen das Balz-Pendant zum farbenprächtigen Rad des Pfaus; er geht selbst dann unvermindert weiter, wenn sich das liebestolle Leuchtkäfer-Männchen auf Brautschau in den klebrigen Fäden einer Spinne verfangen hat.
Die Lampyridae funkeln nicht einfach auf gut Glück, sondern nach einem artspezifischen Muster, an dem sich die Liebenden erkennen. Die amerikanischen Meister des Lichttanzes kleiden ihre Liebesbotschaft in sechs schnelle Lichtblitze.
Bei den heimischen „Glühern“, deren Weibchen ihre Flügel aufgegeben haben, um zu einem behäbig watschelnden Eier-Behälter zu werden, hält das Leuchten über Stunden an. Signallänge und Rhythmus sind sozusagen Glühwürmchens Morsecode für die nächtliche Balz.
Die Glühwürmchen der Meere
So unscheinbar die Krabbler bei Tageslicht sind, ihr Innenleben ist einzigartig. Mutter Natur hat die Glühwürmchen mit einer Gabe ausgestattet, die meist nur Meeresbewohner vorweisen können: der Biolumineszenz.
Das berühmte Meeresleuchten in der Moskito Bay vor der Karibikinsel Puerto Rico wird beispielsweise von mikroskopisch kleinen Dinoflagellaten verursacht, die auch als Glühwürmchen der Meere gefeiert werden. Ihre Kollegen an Land müssen nicht erst von der Sonne aufgeladen oder angestrahlt werden, ihr „Lichtschalter“ basiert auf einer chemischen Reaktion in den Leuchtzellen am Hinterleib.
Hauptakteure sind kleine Moleküle namens Luciferin sowie das Enzym Luciferase, als Nebenprodukt entsteht Licht. Zwar ist es nicht das hellste – jede Kerze brennt tausendmal heller –, doch dafür sind die Insekten wahre Meister der Energieeffizienz.
Während jede Glühbirne nur fünf Prozent ihrer Energie in Licht umwandelt und den Rest als Wärme verschwendet, bringen es die Leuchtkäfer auf einen Wirkungsgrad von sagenhaften 95 Prozent.
Aus alten Erzählungen weiß man, dass das grünliche Licht der Winzlinge auch Zweibeiner auf den Plan rief. Im 19. Jahrhundert steckten Bergleute in den englischen Midlands gefangene Glühwürmchen in eine leere Glasflasche, verschlossen sie sorgfältig, stachen winzige Löcher in den Verschluss und beleuchteten so die Gänge durch die finsteren Stollen unter Tage.
Heute sind es Mediziner, Stadtplaner oder Landwirte, die zu weiteren Anwendungsfeldern der Leuchtkäfer-Biolumineszenz forschen. Die britische Biotech-Firma Lumora rüstete Pflanzensamen mit dem Enzym Luciferase aus, um das Innere eines Samens zu belichten und so dessen Zustand zu überwachen.
Die Lebensmittelindustrie spürt damit giftige Bakterien in verdorbenen Nahrungsmitteln auf, und an der Universität Tokio stellten Wissenschaftler 2016 eine Methode vor, bei der modifizierte Firefly-Enzyme gefährliche Krebszellen aufspüren und mittels Licht anzeigen können.
Lichtershow im Sommer
Wie lange werden wir die nächtliche Lichtershow in den Juni- und Juli-Wochen noch erleben können? Jede Nacht begeben sich die liebeslustigen Leuchtkäfer auf ein dünnes Drahtseil zwischen Sex und Tod, müssen den Balanceakt zwischen Romantik und Risiko meistern.
Denn ihr geheimnisvolles Leuchten lässt sie nicht nur bei der Damenwelt im rechten Licht stehen, es lockt auch Feinde an. Wobei sich die kleinen Fackelträger dank ihres chemischen Waffensystems ganz gut zu schützen wissen. Wissenschaftler fanden heraus, dass das Blut der Brummer einen starken Cocktail aus bitter schmeckenden und toxischen Steroiden enthält – weshalb Vögel einen großen Bogen um die Krabbeltiere machen.
Gefahr droht von anderer Seite, von der Lebensweise der Menschen, von zuplanierten Lebensräumen, von pestizidverseuchten Äckern, von lichtdurchfluteten Städten. Im künstlichen Lichtermeer gehen die Flirtsignale dieses Wunders der Natur unter.
Noch gibt es sie, diese Prachtstücke aus der Kreativschmiede der Erde. Doch ihre Zahl geht in erschreckender Weise zurück. In Japan, wo die „hotura“ einen festen Platz in der Kultur haben und ihr Fang ein beliebter sommerlicher Freizeitspaß war, versucht man sich mit Wiederaufzuchtprogrammen zu behelfen, mit der Renaturierung von Flüssen und Ausweisung von Naturdenkmalen: damit auch künftige Generationen das Gewimmel der Glühwürmchen, mal wie eine Lichtwolke, mal wie ein großer Funkenball erleben können.