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Interview

Klima-Pionier Hans-Josef Fell: „Das Ziel müssen 100 Prozent Erneuerbare sein“

Das Engagement der Bürger in der Energiewende wurde ausgebremst, kritisiert Hans-Josef Fell. Der Klima-Pionier gilt als einer der Väter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.

Hans-Josef Fell, Mitautor des ersten Erneuerbare-Energien-Gesetzes, spricht auf der Montagsdemo für Klimaschutz in Berlin.
Engagement für den Klimaschutz: Hans-Josef Fell spricht auf einer Demo der Fridays-for-Future-Bewegung. Foto: Stefan Müller/Popeye/Imago images

Für Hans-Josef Fell ist die Sache eigentlich klar: Die Energiewende muss an Tempo gewinnen und radikal umgesetzt werden. Das Ziel ist, die Versorgung zu 100 Prozent aus Erneuerbaren zu schaffen.

Technisch wäre das kein Problem, sagt der Klima-Pionier. Doch manch politische Entscheidung legt den Öko-Energie-Verfechtern Steine in den Weg.

Herr Fell, Klimaneutralität ist in aller Munde, viele Kommunen stellen ihre Energieversorgung um. Ist der Alarmismus der „Letzten Generation“ da nicht völlig aus der Zeit gefallen?
Fell

Nein. Es geht ja leider nicht alleine um CO2-Neutralität, wir haben auch enorme Probleme mit den Treibhausgasen, Methan oder Lachgas. Daher sind in der Gesamtbilanz Erdgaskraftwerke sogar noch schlimmer als Kohlekraftwerke. Das Ziel darf deshalb nicht Klimaneutralität sein, denn das hieße, dass wir munter weiter emittieren und den Ausstoß durch Kohlenstoffsenken kompensieren. Aber das hilft der Atmosphäre nicht mehr. Wenn wir in diesem Jahrzehnt so weitermachen, haben wir 2050 zwei Grad Erhöhung. Dann wird niemand mehr über Klimaneutralität reden, dann geht es ums nackte Überleben.

Was fordern Sie stattdessen?
Fell

Wir brauchen eine Emissionsbeendigung und zusätzlich die Kohlenstoffsenkung. Das Ziel müssen baldmöglichst 100 Prozent Erneuerbare sein. Technisch-ökonomisch wäre ein solch schneller Ausstieg auch gar kein Problem. Alle Technologien sind da. Wir hätten sogar ökonomische Vorteile, weil unsere Energiekosten stark sinken würden.

Sehen Sie, dass sich auf der politischen Ebene Entscheidendes verbessert?
Fell

Die Richtung stimmt wieder, wenn ich an die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren oder Steuererleichterungen bei privaten Solaranlagen denke. Aber das wird nicht genügen. Jetzt rächt sich, dass 16 Jahre lang der Ausbau der Erneuerbare Energien massiv behindert wurde.

Inwiefern wurde etwas behindert?
Fell

Der schlimmste Fehler der Großen Koalition war die Umstellung auf ein Ausschreibungsverfahren. Bis 2016 betrugen die bürgerlichen Investitionen bei den Erneuerbaren 80 Prozent, die großen vier Energieversorger haben vier Prozent geschultert. Seit der Ausschreibungsvorgabe muss jede Energiegemeinschaft, die drei Windräder aufstellen will, erst mal Unsummen für unzählige Gutachten ausgeben. Das kann die Dorfgemeinschaft nicht aufbringen. Das Paradigma unter Merkel war: Wenn schon ein Ausbau der Erneuerbaren, dann in der Hand der Energiekonzerne. Die bürgerlichen Aktivitäten wurden so massiv eingeschränkt.

Und jetzt können die sich ungebremst entfalten?
Fell

Nein, ich kritisiere da auch meine Parteifreunde. Sie gehen die notwendige Abschaffung der Ausschreibungen nicht an, weil sie sagen, sie kriegen das mit der FDP nicht durch. Zudem ist der Lobbyismus der Erdgas-, Erdöl- und Atomwirtschaft schon phänomenal. Die Verursacher der Misere stehen auch heute wieder auf der Matte.

Protest gegen immer mehr Windräder kommt auch von Vogelschützern. Tatsächlich werden Vögel und Fledermäuse in den Rotoren erschlagen.
Fell

Der größte Verursacher des Artenverlusts ist die Erderwärmung, jegliche Unterstützung der klimaschützenden Erneuerbaren ist also Grundlage für Biodiversität.

Das ist ein globales Argument, das der Fledermaus im Schwarzwald nicht viel bringt.
Fell

Es ist auch ein lokales Argument. Bei uns im Spessart haben Vogelschützer ein Windrad verhindert, weil dort ein Schwarzstorchpaar brütete. Dessen Junge sind dann alle verhungert, weil die Trockenheit so groß war, dass keine Nahrung aufzutreiben war. Windräder dezimieren nicht die Arten. Die Rotmilan-Population ist seit Ausbau der Windkraft sogar gestiegen, die der Uhus und der Seeadler auch.

Entschuldigung, aber das klingt nicht plausibel.
Fell

Doch, weil Ausgleichflächen neue Lebensräume geschaffen haben. Unter Fotovoltaikanlagen entwickeln sich oft Blumenwiesen, sie werden nirgendwo so viele Insekten, Vögel und Kleinsäuger finden wie auf diesen Freiflächen. Und wenn dann noch die Biogasanlagen statt mit Maismonokulturen mit Blühpflanzen betrieben werden, kann man den Artenschutz mit den Erneuerbaren sogar befördern.

In Offenbach an der Queich wird ein dezentraler Ansatz bei der Energiewende verfochten. Ist das die richtige Antwort auf Energieknappheit und Klimawandel?
Fell

Die Kommunalisierung der Stromversorgung kann ein gutes Instrument sein. Die private Bürgerhand, wie in Schönau, ist das Allerbeste. 100 Prozent Erneuerbare müssen ja in jedem Dorf, jedem Haus, jedem öffentlichen Gebäude verwirklicht sein. Ein tolles Konzept wird gerade in Kirchberg an der Jagst angegangen, wo mit bürgerlichen Investitionen eine ganze Solarfabrik gebaut werden soll. Mit diesem furchtbaren Krieg gibt es ein totales Erwachen in der Gesellschaft. Die Bürger beginnen die Energieversorgung jetzt selbst in die Hand zu nehmen.

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