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Bezahlung von Impfmedizinern

Hürden auf dem Weg zur Herdenimmunität: Hilft mehr Geld gegen Ärzte-Frust?

Die Herdenimmunität erreichen - das wird nicht einfach sein. Eine Analyse des ZEW aus Mannheim zeigt die Hürden auf dem Weg zu diesem Ziel auf - und empfiehlt eine flexible Vergütung der impfenden Ärzte, die zunehmend über die hohe Belastung klagen.

Schwer gefordert und schlecht bezahlt? Ohne die vielen engagierten Impfärzte ist der Sieg über Corona schwer vorstellbar. Experten sehen noch mehr Belastung auf die Impfpraxen zukommen und schlagen deswegen eine bessere und flexiblere Vergütung der Mediziner vor.
Schwer gefordert und schlecht bezahlt? Ohne die vielen engagierten Impfärzte ist der Sieg über Corona schwer vorstellbar. Experten sehen noch mehr Belastung auf die Impfpraxen zukommen und schlagen deswegen eine bessere und flexiblere Vergütung der Mediziner vor. Foto: Paul Zinken picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Das „rettende Ufer“ ist noch nicht erreicht, warnte kurz vor Pfingsten die Kanzlerin, die mit ihren Prognosen in der Pandemie oft richtig lag. In Deutschland breitet sich der Corona-Optimismus aus, die Kliniken atmen auf, die Impfstoffe zeigen Wirkung.

Doch Angela Merkel ist vorsichtig. Je aggressiver die Virus-Varianten, desto mehr Menschen müssten geimpft sein, um eine Herdenimmunität zu bekommen, sorgte sich kürzlich die Regierungschefin. Das könnte aber laut einer neuen Studie schwieriger sein als bislang angenommen.

Die Herdenimmunität basiert auf dem Musketier-Prinzip: „Einer für alle – alle für einen!“ Wer sich impfen lässt, schützt durch die erworbene Immunität nicht nur sich selbst, sondern auch andere Personen, die nicht geimpft sind.

Sind genügend Menschen geimpft, erlaubt es der Gemeinschaftsschutz, eine Krankheit zu kontrollieren. Nach verschiedenen Einschätzungen wird für eine Corona-Herdenimmunität eine Impfquote zwischen 60 und 80 Prozent notwendig sein.

74 Prozent der Bevölkerung sind für die Impfung

Die Impfbereitschaft ist in Deutschland gestiegen. Laut einer Umfrage vor einer Woche sind 74 Prozent der Bevölkerung den Vakzinen gegenüber positiv eingestellt. Dennoch kommt eine aktuelle Analyse des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim zu dem Schluss, dass die Hürde für die „Herde“ zum Problem werden wird, wenn man keine neuen Anreize für die impfenden Mediziner schafft.

Spätestens seit der Aufhebung der Impfpriorisierung werden die impfenden Arztpraxen in Baden-Württemberg und in anderen Ländern überrannt. „Wenn nicht alle Impfwilligen unmittelbar zum Zuge kommen, führt das zu Frust, der leider auch beim Praxispersonal abgeladen wird“, bedauerte in einem Interview der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt.

Zweifellos ist die Belastung in den Praxen hoch.
Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung BW

Es gibt Hinweise, dass einzelne Praxen aus der Impfoffensive aussteigen. Ein Hauptproblem demnach ist der extreme Aufwand durch Anfragen, Beratung und Termine - vor allem dann, wenn der mit einer Woche Vorlauf bestellte Impfstoff ausbleibt und das Praxispersonal die Patienten umbuchen muss. „Zweifellos ist die Belastung in den Praxen hoch. Wir können nur die Patienten um Geduld bitten“, sagte den BNN eine Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW).

Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung muss ein Arzt für jede gesetzte Corona-Schutzimpfung sechs Seiten Papier bearbeiten. Neben dem Bürokratieaufwand bereiten den Medizinern die gestiegenen Kosten für Personal und Praxisräume größere Probleme. „Die Vergütung von 20 Euro je Impfung ist gerade einmal kostendeckend, wenn überhaupt“, stellt die Sprecherin der KVBW klar.

Die Vergütung von 20 Euro je Impfung ist gerade einmal kostendeckend, wenn überhaupt.
Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung BW

Angesichts der wachsenden Verfügbarkeit von Vakzinen ist eine Entlastung der Ärzte nicht in Sicht, im Gegenteil: Nach der Einführung des EU-Impfzertifikats im Juni werden sie möglicherweise dafür zuständig sein, die Nachweise für Millionen verabreichter Impfungen aus dem gelben Impfbuch in die digitale Lösung mit dem QR-Code zu übertragen. Bereits jetzt protestiert der Hausärzteverband im Südwesten dagegen und nennt die Zusatzaufgabe unzumutbar.

Klar ist aber auch: Ohne eine aktivere Beteiligung der Arztpraxen an der Impfkampagne dürfte das Ziel der Herdenimmunität wohl nicht so bald erreicht werden. Denn das ZEW sagt in seiner Analyse voraus, dass es schwieriger wird, Impfwillige zu finden, je größer der Anteil der Geimpften in der Bevölkerung sein wird.

Statt zu wenig Impfstoff bald vielleicht zu wenige Impfwillige

Die Manheimer Forscher sehen einen Grund dafür im sogenannten Selektionseffekt: Besonders impfwillige Personen werden eher am Anfang der Impfkampagne geimpft, während die Impfskeptiker und Menschen, die eine Impfung aus Zeitmangel oder wegen anderer Probleme aufschieben, schwer erreichbar bleiben.

Außerdem nehme die Infektionswahrscheinlichkeit und damit der individuelle Nutzen der Impfung mit höherem Anteil an Geimpften ab. Laut dem ZEW wird sich das Problem bald verlagern von „zu wenig Impfstoff“ hin zu „zu wenige Impfwillige“.

„Bisherige Diskussionen konzentrieren sich auf die Nachfrage nach Impfungen, also die Schaffung von Anreizen für potentiell Impfwillige. Es sollte aber auch die Angebotsseite, das heißt die impfenden Mediziner nicht vernachlässigt werden“, mahnen die Experten Vitali Gretschko und Marion Ott.

Sie sind überzeugt, dass die Mediziner in ihrem Patientenkreis noch mehr Aufklärung über Covid-19 betreiben und die Ungeimpften aktiv ermitteln werden müssen, damit die Impfquote weiter steigt. Dafür schlagen sie ein „bedarfsorientiertes Kostenerstattungsschema“ vor.

Sondervergütung für Impfärzte

Die Impfstoffe für die Arztpraxen kommen derzeit über den Bund. Die Abrechnung für Versicherte läuft über die Kassenärztlichen Vereinigungen. Die Kosten übernimmt am Ende der Bund, dafür sind vorerst bis zu 1,5 Milliarden Euro einkalkuliert.

Das ZEW nennt das System der Kostenerstattung von 20 Euro je Corona-Impfung inklusive Beratung nicht effizient und plädiert für ein flexibles System nach dem Grundprinzip: Wenn Mediziner mehr Arbeit damit haben, die Impfwilligen zu erreichen, werden sie dafür extra vergütet. Die Ärzte, die die meisten Impfwilligen zu geringsten Kosten erreichen, werden bevorzugt mit Impfstoffen beliefert und mit einer zusätzlichen Erstattung bedacht.

Die KVBW unterstützt die Forderungen nach einer höheren Vergütung für die Impfärzte. „Allerdings sind nicht wir diejenigen, die darüber verhandeln“, stellt die Sprecherin der Vereinigung klar. „Die Vergütung ist auf Bundesebene beschlossen worden, und dort müsste sie auch angepasst werden.“

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