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35er-Marke der Sieben-Tage-Inzidenz

Justizminister Wolf: Gerichte könnten bestehende Corona-Regeln kippen

Schon mehrmals haben Gerichte geurteilt, dass Verbote und Einschränkungen nicht rechtmäßig seien. Was bedeuten die jüngsten Bund-Länder-Beschlüsse und die sinkenden Fallzahlen nun für die aktuellen Regeln?

Ein Zettel mit der Aufschrift „Wegen Corona geschlossen“ hängt am Schaufenster eines Geschäfts.
Ein Zettel mit der Aufschrift „Wegen Corona geschlossen“ hängt am Schaufenster eines Geschäfts. Sollte Baden-Württemberg sich an der 35er-Marke orientieren, könnten Gerichte nach Ansicht von Justizminister Guido Wolf bald Lockerungen verlangen. Foto: Arne Dedert/dpa

Die Corona-Verordnungen des Landes müssen sich regelmäßig vor Gericht bewähren. Rund 420 Verfahren haben Baden-Württembergs Verwaltungsgerichte bislang registriert, 330 davon sind, meist in Eilverfahren, schon entschieden. Nur in etwa zwei Prozent der Fälle haben die Gerichte dabei die Entscheidungen der Landesregierung einkassiert.

Mehrmals kippten Gerichte die baden-württembergischen Corona-Regeln

Doch die verhältnismäßig wenigen Urteile gegen das Land sind teils spektakulär und sorgen in der Regel für aufgeregte Diskussionen in der Öffentlichkeit und in der Politik. So haben Gerichte im Mai 2020 das Verbot der Außenbewirtschaftung von Bars und Kneipen gekippt und im gleichen Monat eine untersagte AfD-Demonstration unter Auflagen ermöglicht.

Im Oktober 2020 wurden die damaligen Beherbergungsverbote kassiert, bereits im April 2020 die bis dato gültige Beschränkung der Verkaufsflächen auf 800 Quadratmeter im Einzelhandel aufgehoben. Erst Anfang vergangener Woche folge der nächste Paukenschlag, als der Verwaltungsgerichtshof Mannheim die landesweiten nächtlichen Ausgangssperren gekippt hat.

Aktuelle Inzidenzwerte

Das Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg hat am Montag, 16 Uhr, eine Sieben-Tage-Inzidenz von landesweit 46,8 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner vermeldet. Danach liegen noch 18 Stadt- und Landkreise im Südwesten über dem Grenzwert von 50, eine Mehrheit von 26 aber darunter. Neun Stadt- und Landkreise unterschreiten auch die nach den jüngsten Bund-Länder-Beschlüssen für weitere Öffnungsschritte maßgeblich die Messlatte von 35.

Nun warnt Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU) – auch mit Verweis auf die aktuelle Rechtsprechung – vor einer vorschnellen Umsetzung des jüngsten Bund-Länder-Beschlusses. Nach der Vereinbarung, die die Ministerpräsidenten bei ihrer Videoschalte mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der vergangenen Woche getroffen haben, gelten nun nicht mehr 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner als Messlatte für weitere Öffnungsschritte, sondern 35.

Aus Wolfs Sicht bedarf es zur Umsetzung zumindest einer Befassung und eines Beschlusses durch das Kabinett der grün-schwarzen Landesregierung. Ganz generell meldet er aber Zweifel an, ob das Kabinett bei einer Befassung tatsächlich zu dem Schluss kommen könnte, dass weiterhin alle Einschränkungen im Kampf gegen die Pandemie zu rechtfertigen wären.

Es ist offenkundig, dass die Gerichte Einschränkungen mit dem Rückgang der Neuinfektionen tendenziell kritischer sehen.
Guido Wolf, Justizminister

„Wenn die Zahl 35 den bisherigen Wert 50 ersetzen soll, sehe ich einen erhöhten Begründungsbedarf, ob die Maßnahmen in voller Stärke und in ihrer Breite weitergeführt werden können“, sagte Wolf dieser Zeitung.

Der Verweis auf kritische Urteile folgt auf den Fuß: „Es ist offenkundig, dass die Gerichte Einschränkungen mit dem Rückgang der Neuinfektionen tendenziell kritischer sehen.“ Die jüngste Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Sachen Ausgangssperren solle die Politik besser als „klaren Warnschuss“ begreifen, mahnt der Minister. „Je stärker die Inzidenzen sinken, desto mehr und desto häufiger muss die Politik bestehende Eingriffe kritisch auf den Prüfstand stellen.“ Natürlich, ergänzt Wolf, bewerte er öffentlich keine Gerichtsurteile. „Aber ich versuche natürlich, aus den Begründungen für die Zukunft Schlüsse zu ziehen.“

Wolf sieht keinen Anlass, jetzt schon Ostergeschäft abzusagen

In Justizkreisen wird etwa die Frage diskutiert, ob es unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung auf Dauer zu rechtfertige sei, dass Gärtnereien als einzige Branche mit verderblicher Ware weiter mit den allgemeinen Beschränkungen belegt sind. Kritisch sieht Wolf, der auch für den Tourismus im Land zuständig ist, jüngste Aussagen, wonach an Osterurlaub in diesem Jahr nicht zu denken sei.

Angesichts der derzeitigen Entwicklung der Zahlen sehe er „keinen Anlass, jetzt das Ostergeschäft abzusagen“. Auch mit Blick auf die Gastronomie und Hotellerie warnte er vor solchen Debatten in der momentanen Lage. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht ganze Branchen in Depression versetzen.“

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