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Kretschmann appelliert an die Bürger

Baden-Württemberg vor Lockdown: „Die Lage ist ernst“

Höchststände bei den Corona-Neuinfektionen, Höchststände bei den Corona-Toten. In Absprache mit den anderen Bundesländern ergreift Baden-Württemberg harte Maßnahmen.

Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat/dpa

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie geht Baden-Württemberg wie die anderen Bundesländer am Mittwoch in einen weitreichenden Lockdown. Schulen, Kitas und große Teile des Einzelhandels sollen bis zum 10. Januar weitgehend schließen. „Die Lage ist ernst, sehr ernst“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Sonntag in Stuttgart nach den Beratungen von Bund und Ländern. Die Zahl an Neuinfektionen und Verstorbenen sei auf einem Höchststand. „Das exponentielle Wachstum ist leider zurück und das Virus ist stärker denn je“, so Kretschmann. „Das Virus ist stark und wir müssen jetzt zeigen, wir sind stärker.“

Mit dem sanften Lockdown hätten die Zahlen nicht gesenkt werden können, sagte der Grünen-Politiker. Deswegen müsse jetzt mit ganz einschneidenden Maßnahmen das öffentliche Leben radikal heruntergefahren werden, erläuterte Kretschmann in einem Statement. „Nur so können wir die Kontrolle über die Pandemie zurückgewinnen.“

Die Bund-Länder-Gespräche

Die Ministerpräsidenten und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten am Vormittag beschlossen, zum Eindämmen der Corona-Pandemie das öffentliche und private Leben in Deutschland schon von Mittwoch an drastisch herunterzufahren. Baden-Württemberg übernimmt im Wesentlichen diese Vereinbarungen. Die am Freitag erlassenen landesweiten Ausgangsbeschränkungen gelten weiter, sagte Kretschmann.

Die Folgen für Schulen und Kitas in Baden-Württemberg

Konkret heißt das unter anderem, dass die Weihnachtsferien im Südwesten nach vorn verlegt werden, um weitere Kontakte zu vermeiden. Nur für Abschlussklassen solle es Fernunterricht geben, kündigte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) an. „Schülerinnen und Schüler der Abschlussjahrgänge werden im verbleibenden Zeitraum bis zu Beginn der regulären Weihnachtsferien am 23. Dezember verpflichtend im Fernunterricht unterrichtet.“ Eisenmann hatte sich bislang stets gegen frühere Schulschließungen ausgesprochen.

Bis zum 22. Dezember ist eine Notbetreuung von Schülern der Klassenstufen 1 bis 7 geplant, deren Eltern zwingend darauf angewiesen sind. Für Kita-Kinder werde zu regulären Öffnungstagen ebenfalls Notbetreuung angeboten. Anspruch darauf hätten Kinder, deren Erziehungsberechtigte beziehungsweise Alleinerziehende von ihrem Arbeitgeber als unabkömmlich gelten. „Bitte verzichten Sie aber auf die Notbetreuung, wo immer das für Sie möglich ist“, bat Kretschmann. Er appellierte auch an Arbeitgeber, so weit wie möglich Homeoffice zu ermöglichen.

Die Reaktionen aus der Politik

SPD-Chef Andreas Stoch kritisierte: „Es bleibt bedauerlich, dass es gerade bei der baden-württembergischen Landesregierung so lange dauerte, bis man sich von den Fakten überzeugen ließ.“ Eine Konsequenz daraus müsse sein, dass jetzt Strategien für das Frühjahr - also über den 10. Januar hinaus - erarbeitet werden. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke stößt sich vor allem an den Schulschließungen: „Wieder einmal sollen Schülerinnen und Schüler sowie die Familien die bittere Lockdown-Suppe auslöffeln.“

Die Lehrergewerkschaft GEW kritisierte die Politik für das „wochenlange Hin und Her zum Thema Weihnachtsferien“. Hier sei Wahlkampf auf dem Rücken der 1,5 Millionen Schüler und 130 000 Lehrer im Land gemacht worden. Die Elternvertretung baden-württembergischer Kindertageseinrichtungen forderte schon jetzt „ein klares und verbindliches Ausstiegsszenario für die Kitas“. „Kitas dürfen nicht wie im Frühjahr die letzten Institutionen sein, die bei möglichen Lockerungen und Öffnungen berücksichtigt werden“, hieß es.

Die Reaktionen aus der Wirtschaft

Der Handelsverband Baden-Württemberg rechnet mit Umsatzverlusten in Höhe von 2,5 bis 3 Milliarden Euro. Die Schließungen von Geschäften, die keine Ware für den täglichen Bedarf verkaufen, betreffen den Angaben nach etwa 20 000 Betriebe und 250 000 Beschäftigte im Südwesten. „99 Prozent dieser Unternehmen sind kleine und mittelständische Unternehmen“, hieß es weiter. Insgesamt stelle der Einzelhandel den drittgrößten Wirtschaftszweig im Land dar.

„Ein großer Teil dieser enormen Wirtschaftskraft steht nächstes Jahr vor dem finanziellen Aus, wenn jetzt nicht dementsprechend große Unterstützung seitens der Politik kommt“, sagte Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann laut Mitteilung. Der Handel sollte im Dezember wie die Gastronomie behandelt werden und von den Dezemberhilfen profitieren. Ab Januar müsse dann eine neue Form der Finanzhilfe gefunden werden, hieß es weiter.

Der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages, Wolfgang Grenke, befürchtet, „dass angekündigte Maßnahmen wie die Ausweitung der Überbrückungshilfe oder verbesserte Abschreibemöglichkeiten nicht ausreichen werden, um den besonders stark betroffenen Geschäften in den Innenstädten das Überleben zu ermöglichen“. Notwendig sei ein verlässliches Zukunftsszenario.

Die Ausgangsbeschränkungen

Die meisten Menschen halten sich vor allem an die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen, wie die Polizei etwa aus Stuttgart und Mannheim berichtete. Die meisten Menschen hätten triftige Gründe wie den Weg von der Arbeit nach Hause angeben können - oder die seit Samstag landesweit gültigen Regeln nicht gekannt. Die meisten seien einsichtig gewesen, als die Beamten die Vorgaben erläutert hätten. Tagsüber waren am Samstag viele Innenstädte noch voll, weil Menschen eine der letzten Gelegenheiten für den Weihnachtseinkauf in den Läden nutzten.

Der Ausblick

An diesem Montag soll der Landtag über die Beschlüsse debattieren. Für den 5. Januar ist die nächste Runde zwischen Bund und Ländern angesetzt. Dann wollen sie Ministerpräsident Kretschmann zufolge besprechen, wie es ab dem 11. Januar weitergeht. „Aber eines kann ich schon heute sagen: Wenn die Zahlen bis dahin nicht deutlich runtergehen, brauchen wir auch danach drastische Einschränkungen.“

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