Gestern galten sie noch als heiß begehrt auf dem Arbeitsmarkt, jetzt sind sie plötzlich ein Fall für die Nothilfe: junge Informatiker und Ingenieure in Baden-Württemberg. Die Corona-Wellen haben auch ihre Job-Chancen hinweggespült. Das Land legt deshalb ein Hilfsprogramm für neun Millionen Euro auf: Bis zu 500 Jungingenieure sollen ab 1. Februar eingestellt und dann an Unternehmen verliehen werden.
„Normalerweise haben wir mit Ingenieursabsolventen nichts zu tun – die haben in der Regel ein Jahr vorher ihren Vertrag in der Tasche“, sagte Christian Rauch, Chef der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, bei der Präsentation des Projekts. „Aber wir merken jetzt verstärkt, dass sich Ingenieursabsolventen arbeitslos gemeldet haben und auch länger arbeitslos bleiben.“ Aktenkundig seien derzeit rund 200 arbeitssuchende Nachwuchskräfte aus den sonst so begehrten Disziplinen – doch diese Zahl sei wenig aussagekräftig.
Wer frisch von der Universität kommt, hat noch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. „Nicht jeder und jede meldet sich bei uns“, erklärte Rauch. Zum Vergleich: Allein im Prüfungsjahr 2019 gab es in der Fächergruppe Ingenieurwissenschaften im Südwesten rund 11.500 Bachelor-Absolventen und 7.500 frischgebackene Master, außerdem 4.000 Absolventen der Dualen Hochschule.
Wir wollen keine Corona-Generation von Absolventen haben.Theresia Bauer, Wissenschaftsministerin der Grünen
Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) betonte, sie wolle eine „Entmutigung“ der jungen Ingenieure vermeiden. „Wir wollen keine Corona-Generation von Absolventen haben“, sagte sie. „Wir brauchen die jungen Ingenieurinnen und Ingenieure.“ Die Starthilfe namens „Brückenprogramm Ingenieurwissenschaften“ soll folgendermaßen funktionieren: Ingenieure, die seit März 2020 ihren Hochschulabschluss gemacht haben, erhalten eine Vollzeitbeschäftigung und werden dann an passende Unternehmen im Südwesten „verliehen“, wie Stefan Küpper vom Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft ausdrückte – dessen Tochtergesellschaft Apontis GmbH fungiert als Arbeitgeber.
„Bereits 150 Firmen haben uns signalisiert: Das können wir uns vorstellen“, sagte Küpper. Apontis bildet die Techniker und Naturwissenschaftler auch in Projektmanagement, IT-Anwendungen oder Wirtschaftsenglisch weiter, falls phasenweise die Arbeit fehlt – die Arbeitsagentur zahlt dann Kurzarbeitergeld.
Firmen stecken im Krisen-Dilemma
Hochinnovative Firmen und hochqualifizierte Hochschulabsolventen sollen zusammenkommen – und möglichst zusammenbleiben. „Der Kleb-Effekt ist erwünscht“, sagte Küpper, Ziel sei es, dass die Firmen die jungen Leute nach einiger Zeit fest einstellen. Aktuell befindet sich so manches Vorzeigeunternehmen in Kurzarbeit.
Die Unsicherheit, welche wirtschaftlichen Folgeschäden die Corona-Pandemie hinterlässt, ist groß. Viele kleine und mittelständische Firmen in Schlüsselbranchen wie Maschinenbau und Elektroindustrie steckten in einem Dilemma, betonte Arbeitsmarktexperte Rauch: „Neueinstellungen werden vertagt. Gleichzeitig suchen sie Fachkräfte, denn Strukturwandel und Digitalisierung beherrschen nach wie vor den Arbeitsmarkt.“
Konkurrenz mit Jüngeren droht
Blieben viele Jungingenieure ohne Job und Perspektive, fürchtet Ministerin Bauer auch einen frustrierenden Wettbewerb: „Es käme zur Konkurrenz mit der Absolventen-Kohorte im Jahr danach.“ Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), eine der großen Ingenieursschmieden in Deutschland, begrüßt die Initiative des Landes: „Das Brückenprogramm Ingenieurwissenschaften ist aus unserer Sicht eine sehr gute Chance, um den Absolventinnen und Absolventen in der Corona-Pandemie eine Chance und Zukunft zu bieten und so die Talente für Baden-Württemberg zu sichern“, erklärte KIT-Vizepräsident Thomas Hirth.
“Blühender Arbeitsmarkt“ in einigen Jahren?
Dass es für Ingenieursstudenten in dieser Krisenzeit schwieriger geworden sei, Jobs und auch Praktika zu finden, meldeten die Hochschulen aus dem ganzen Land, berichtete der Geschäftsführer der Agentur für Arbeit. Bestätigen kann diesen Trend auch die engagierte Studentengruppe des KIT-Rennwagen-Konstruktionsteams „KA RaceIng“. „Wir bekommen viel weniger Stellenanzeigen von Sponsoren als früher“, berichtet Organisationsleiterin und Maschinenbau-Studentin Luise Kolb.
Arbeitsmarkt-Experte Rauch gibt sich derweil optimistisch: In einigen Jahren erwarte die Jungingenieure wieder „ein blühender Arbeitsmarkt“, sagte er. „Das aktuelle Phänomen hat nichts mit einem Strukturwandel zu tun. Es lohnt sich weiterhin, in ein solches Studium einzusteigen.“
Bewerbungsunterlagen und Infos zum Programm für Jungingenieure gibt es unter www.brueckenprogramm-ing.de.