Eine Affäre um mangelhafte Schutzmasken bringt Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) zunehmend in Erklärungsnot. Nachdem es immer wieder zu Corona-Ausbrüchen in Pflegeheimen gekommen war, kündigte Lucha Ende November an, deren Bewohner flächendeckend mit Schutzmasken zu versorgen. „Wir haben vorgesorgt. Unsere gut aufgefüllten Materiallager und die angekündigten Masken des Bundes helfen dabei, die Menschen dort mit Schutzausrüstung auszustatten, wo es besonders nötig ist“, so Lucha.
Und tatsächlich: Im Dezember kamen Millionen von Masken aus Luchas Lager in den Pflegeeinrichtungen des Landes an. Doch jetzt kam heraus, dass ein großer Teil dieser Masken unbrauchbar ist. Sie erfüllen die gesetzlichen Vorgaben nicht und bieten keinen ausreichenden Schutz vor Coronaviren.
Ein Rückruf läuft. Doch das Sozialministerium hat keinen Überblick darüber, wo die mangelhaften Masken letztlich gelandet sind und wer wie viele bereits benutzt hat.
Nur stichprobenhaft getestet
Erst Mitte Januar, also mehrere Wochen nach Beginn der Verteilaktion, ließ das Sozialministerium seine Masken systematisch überprüfen – zuvor geschah dies nur stichprobenhaft. Anlass für die neue Testreihe waren offenbar mehrere Beschwerden und Verdachtsfälle. Besonders vehement hatten sich baden-württembergische Lehrer über Schutzmasken aufgeregt, die sie ebenfalls aus den Beständen der Landesregierung erhalten hatten. Diese Masken sollen gestunken und Hautausschlag verursacht haben.
Das Ergebnis der nachträglichen Tests war verheerend: Fast jeder zweite Maskentyp (13 von 27) aus dem Lagerbestand des Sozialministeriums fiel durch, weil er die Anforderungen der Industrienorm für Atemschutzmasken nicht erfüllt. Konkret geht es meist um eine zu schlechte Filterleistung. Normgerechte FFP2-Masken dürfen maximal sechs Prozent der Partikel durchlassen. Beim chinesischen Pendant KN95 sind es fünf Prozent. Doch bei den von der Landesregierung verteilten Masken lag die Durchlässigkeit zum Teil deutlich darüber.
Das geht aus einer Liste hervor, die das Sozialministerium am 5. Februar an die „Spitzenverbände der Leistungserbringer“, also der Betreiber von Pflegeheimen und anderen Sozialeinrichtungen, geschickt hat. „Wir versichern Ihnen, dass das Ministerium für Soziales und Integration alles unternommen hat, um ausschließlich Atemschutzmasken mit geeigneter Schutzwirkung in den Verkehr zu bringen“, heißt es in dem Anschreiben fast verzweifelt.
Alle Masken der 13 aufgelisteten Hersteller sollen „nicht weiter verteilt und verwendet werden“. Für das Ministerium sei „leider nicht mehr abschließend feststellbar, ob und wie viele Masken der oben benannten Hersteller an die jeweilige Einrichtung verteilt worden sind.“
Verteilung lief über Stadt- und Landkreisbehörden
Woran das liegt, erklärt eine Sprecherin des Sozialministers auf BNN-Nachfrage: Zum größten Teil seien die Masken „an die Stadt-und Landkreise geliefert und von dort kommissioniert und an die Pflegeeinrichtungen verteilt“ worden. Aus Pforzheim heißt es, dass im Stadtgebiet 29 Pflege- und Hilfseinrichtungen mit rund 186.000 FFP2-Masken des Landes beliefert worden seien. Der Enzkreis meldet 50 betroffene Einrichtungen. Weitere Rückmeldungen aus dem BNN-Gebiet gab es bis Redaktionsschluss noch nicht.
Die Liste mit Namen und Abbildungen aller mangelhaft getesteten Masken wurde bislang noch nicht veröffentlicht. Die zuständige Marktüberwachungsstelle prüfe „unter Abwägung aller Interessen, ob und in wie weit eine öffentliche Warnmeldung erforderlich und verhältnismäßig ist“, so das Stuttgarter Sozialministerium. Betroffen sind nach BNN-Informationen vor allem asiatische Hersteller, aber auch drei deutsche Firmen werden in der Liste genannt.
Minister Lucha bemüht sich um Schadensbegrenzung und schiebt den Schwarzen Peter nach Berlin, zu Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Ein Großteil der mangelhaften Masken sei nicht vom Land, sondern vom Bund beschafft worden, betont Luchas Sprecherin. „Von den 13 schlecht getesteten Masken stammen drei aus Landesbeschaffung.“
Was das Maskendebakel den Steuerzahler kosten wird, ist noch nicht abzusehen. Eine „renommierte Anwaltskanzlei“ soll beauftragt werden, Schadensersatzansprüche gegenüber Lieferanten durchzusetzen. Im Landtag fordert vor allem die FDP Konsequenzen. Deren gesundheitspolitischer Sprecher, Jochen Haußmann, wirft Minister Lucha vor, Zweifel an der Maskenqualität zu spät nachgegangen zu sein. Und auch innerhalb der grün-schwarzen Koalition gibt es Krach. Denn Kultusministerin und CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann muss den Unmut der Lehrer ausbaden.