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Klimawandel

Mehr Tornados in Deutschland: Wie Forscher Extremwetter auf die Spur kommen

Mithilfe modernster Technik und schneller Computer ist die Meteorologie heute den zerstörerischen Naturgewalten auf der Spur. Zwar haben sich die Vorhersage-Methoden verbessert, doch die Wetterforscher müssen noch einige Wissenslücken schließen.

Unvorhersagbare Urgewalt: Tornados sind in vielerlei Hinsicht noch ein Rätsel. Auch in Deutschland gibt es jährlich Dutzende Sichtungen von meist schwächeren Tornados wie hier im vergangenen Herbst in Kiel.
Auch in Deutschland gibt es jährlich Dutzende Sichtungen von meist schwächeren Tornados wie hier im vergangenen Herbst in Kiel. Foto: Philipp Brandl / dpa

Haushohe Wellen, die gegen Hafenmolen krachen. Sturmböen, die Autos schieben und Bäume entwurzeln. Dunkle Wolkentürme, die Blitze schleudern. Heftige Hagelfälle, manchmal auch im Sommer.

Das Extremwetter heißt so, nicht weil es selten vorkommt – tatsächlich dürfe es jeden Augenblick in der Welt krachen. Der Begriff beschreibt vielmehr die gewaltigen Kräfte, die unser Planet immer wieder entfesselt. Es ist eine Urgewalt, die den Menschen schwach und winzig erscheinen lässt.

Extremwetter-Ereignisse sind faszinierend, solange man nicht selbst mitten drin steckt. Dass sie alles andere als harmlos sind, hat 2021 die Atlas-Studie der Weltwetterorganisation WMO deutlich gemacht: Demnach hat extremes Wetter zwischen 1970 und 2019 geschätzte zwei Millionen Todesopfer gefordert, die Folgen von Hitzewellen und Erdrutschen mitgezählt.

Laut einer aktuellen Analyse der Organisation CDP dürften weltweit 80 Prozent der Städte von Extremwetter betroffen sein. In einem Drittel der 1.000 ausgewerteten Orte sind 70 Prozent der Bevölkerung in Gefahr.

Komplexeste Prozesse der Natur

Es wird noch heftiger werden. Dessen sind sich viele Wissenschaftler einig, die den Klimawandel untersuchen. Darum nimmt weltweit auch die Bedeutung der Extremwetterforschung zu.

In diesem Wissensgebiet fällt aber ein Widerspruch auf. Zwar haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Messtechnik, Computermodelle und Vorhersagen enorm verbessert. Doch je besser wir den Wasserkreislauf der Erde und ihre Atmosphärenphysik zu verstehen glauben, desto mehr offene Fragen scheint es zu geben.

„Ich weiß, das ich nichts weiß“: So ähnlich wie vor über 2.000 Jahren der Philosoph Platon klingen heute viele moderne Forscher, die in ihren Laboren den komplexesten Prozessen der Natur auf den Grund gehen. Es sind vor allem drei Phänomene, die sich ihrem Verständnis entziehen: Extrem schnelle Winde und Luftwirbel, die Bildung von Eiskörnern in den Wolken und die rätselhafte Natur von Blitzen.

Am wenigsten erforscht sind die Tornados, die in den sogenannten Superzellen entstehen können. Das sind mächtige und gefährliche Gewittergebilde mit einem Durchmesser bis 50 Kilometer.

Mehr Tornado-Sichtungen in Deutschland

Tornados können mithilfe von Radar gut beobachtet, aber (noch) nicht vorhergesagt werden. Die jährliche Zahl ihrer Sichtungen ist in Deutschland von durchschnittlich neun in den 1980er Jahren auf rund 40 im vergangenen Jahrzehnt gestiegen. Spielt hier die Erderwärmung eine Rolle oder die weite Verbreitung von Mobiltelefonen mit Video- und Fotofunktion? Wahrscheinlich beides.

Tornados sind vor allem aus den USA bekannt. Der KIT-Meteorologe Peter Knippertz erklärt ihr häufiges Auftreten dort mit der Strömung der feuchtwarmen Luft aus dem Golf von Mexiko nach Norden, wo sie auf kühlere, trockenere Luft von den Rocky Mountains in höheren Schichten trifft.

„In Deutschland wird eine ähnliche Wetterlage durch die Klimawandel-bedingte Erwärmung des Mittelmeers wahrscheinlicher“, sagt der Forscher. Damit steige auch das Potenzial für Tornados.

Eine der stärksten in Deutschland gemessenen Windhosen wütete 1968 über Pforzheim und hatte die Kategorie vier. Experten halten hierzulande allerdings auch Tornados der höchsten Kategorie fünf mit Windgeschwindigkeiten über 350 Stundenkilometer für möglich.

Hagel auf Platz zwei der Extremwetter-Ereignisse

In der Rangliste der heftigsten und rätselhaftesten Extremwetter-Ereignisse steht Hagel auf Platz zwei. Der feste Niederschlag aus Eis entsteht unter bestimmten Voraussetzungen in Gewitterwolken, dabei können sich zentimetergroße Kugeln bilden. Den Rekord hält ein 2010 gefundenes Hagelkorn in den USA, das etwa 900 Gramm schwer und so groß wie ein Fußball war.

Hagel fällt mit Geschwindigkeiten bis 150 Stundenkilometer vom Himmel. Auch Menschen wurden in solchen Stürmen schon verletzt. Die Eisgeschosse können Solarpaneele einschlagen, Autodächer verbeulen und ganze Ernten vernichten.

Wie Hagel in einer Gewitterwolke ensteht
Wie Hagel in einer Gewitterwolke entsteht. Foto: BNN

Im Juli 2013 haben zwei Hagelzüge in Zentral- und Süddeutschland einen Gesamtschaden von 2,8 Milliarden Euro verursacht. Die Versicherungen waren alarmiert. Auch für die Wissenschaft war es ein Weckruf, um das Phänomen stärker zu untersuchen.

Künstlicher Hagel aus dem 3D-Drucker

Hagelkörner werden von zwei Händen gehalten. Die angekündigten Niederschläge im Harz kamen örtlich auch als Hagel herunter. In Bad Suderode fielen in wenigen Minuten Hagelkörner mit einem Durchmesser von bis zu 1,5 Zentimeter. +++ dpa-Bildfunk +++
Extrem-Hagel wird verstärkt von Wissenschaftlern untersucht. Foto: Matthias Bein / dpa

Eines der interessantesten Hagel-Forschungsprojekte läuft derzeit an der Universität Mainz.

Das Team um den Physiker Miklós Szakáll stellt mit einem 3D-Drucker Hagelkörner von verschiedener Größe und Dichte her und lässt sie in einem vier Meter hohen Windkanal in einem Luftstrom schweben.

Wann wird das Eis schmelzen, wird es dabei rund oder flach, haftet das Schmelzwasser an den Eiskugeln fest oder wird es weggerissen? Das sind einige der Fragen, die den 47-Jährigen brennend interessieren.

„Man braucht eine Windgeschwindigkeit von etwa 100 Stundenkilometern, um größere Hagelkörner in der Schwebe zu halten“, erzählt Szakáll. „Lufteinschlüsse im Eis machen es leichter, dann fällt es nicht so schnell herunter. Auch die Form der Körner ist wichtig für ihre Geschwindigkeit vor dem Aufschlag. Wir haben festgestellt, dass sie sich verändern kann, je nachdem ob sie tiefer oder höher fliegen.“

Es wird für Hagel nie eine klassische Wettervorhersage geben.
Miklós Szakáll, Physiker an der Universität Mainz

Der Mainzer Forscher geht davon aus, dass Hagelschäden durch den Klimawandel größer werden. Die Theorie, dass die Eiskörner in der wärmeren Luft schneller schmelzen würden, greife zu kurz, erklärt Szakáll.

„Die Erwärmung bewirkt einen höheren Auftrieb. Die Luft wird also den Hagel besser halten, die Körner werden größer sein, ehe sie herunterfallen.“ Szakall findet es schwer, das komplexe Hagelverhalten in Wettermodellen abzubilden. „Es wird für Hagel nie eine klassische Wettervorhersage geben“, glaubt er.

Radargeräte, wie sie auch am KIT betrieben werden, helfen, Menschen zu warnen.
Michael Kunz, KIT-Klimaforscher

An Wetterextremen wird auch am Karlsruher Institut für Technologie geforscht, unter anderem mit Radar. „Schwergewitter und Hagel lassen sich damit gut beobachten“, erzählt Michael Kunz vom KIT Zentrum Klima und Umwelt. So könne man Gewitter ziemlich genau für ein bis zwei Stunden vorhersagen. „Radare wie unser Gerät helfen also, Menschen zu warnen.“

Im Projekt „Haris“ haben KIT-Wissenschaftler Radardaten mit Informationen über Schäden verknüpft, um hochaufgelöste Modelle der Hagelgefährdung zu erstellen.

Eine ihrer Erkenntnisse ist, dass das Hagelrisiko in Karlsruhe am geringsten ist in Baden-Württemberg. Auch gebe es in der Großstadt weniger Gewitter als beispielsweise in Pforzheim oder im Neckartal. „Leider wurden viele Details der hochdynamischen Gewitterwolken noch nicht verstanden“, sagt Kunz.

Wettermodelle sind noch zu ungenau

Wetterforscher haben Computermodelle, die physikalische Gleichungen lösen und Vorhersagen errechnen. Dafür nutzen sie Beobachtungen, die aber nicht exakt sind, weil nicht jedes einzelne Luftmolekül beschrieben werden kann.

Arbeitet man mit solchen Modellen, kommen noch Fehler hinzu, weil bislang die erforderlichen Rechenkapazitäten fehlen, um den Zustand der vielen kleinen „Würfel“ genau zu beschreiben, in die die Atmosphäre unterteilt wird.

„Es ist, wie wenn man in einen Kochtopf schauen und raten würde, wo es blubbern wird“: So beschreibt der KIT-Hydrologe Malte Neuper die Unsicherheit in der Wetterforschung. Neuper und seine Kollegen sind aber zuversichtlich, dass solche Modelle durch Künstliche Intelligenz (KI) effizienter werden können. Ein anderer Weg zur Erkenntnis führt durch bessere Beobachtungen.

Karlsruher Forscher planen Messexperiment am Feldberg

Nächstes Jahr wollen die Karlsruher viele Geräte zur Erstellung von Windprofilen und Messungen von Wasserdampf um den Feldberg aufbauen. Die dabei gewonnenen Daten sollen in Modelle des Deutschen Wetterdienstes eingespeist werden.

Die geplante Messkampagne solle eine wichtige Frage klären, erklärt der Meteorologe Peter Knippertz: „Wird die Vorhersage dadurch spürbar besser oder ist das Chaos in der Atmosphäre so mächtig, dass weitere Beobachtungen wenig Informationsgewinn bringen?“ Er ist optimistisch.

Die Forscher erwarten, auch langfristige Trends klarer zu sehen, wenn sich das atmosphärische Chaos lichten lässt. Der Blick durch das Schlüsselloch in die Zukunft, er ist bislang so verschwommen wie beunruhigend. Denn der Klimawandel bewirkt eine Erwärmung der Atmosphäre, deren Feuchtigkeit um sieben Prozent pro einem Grad Temperatur ansteigt.

Wasserdampf in der Luft ist eine mächtige Energiequelle für Wettersysteme. „Es wird in Zukunft vielleicht weniger Großwetterlagen geben, die gewitterträchtig sind. Aber wenn es passiert, wird die Wahrscheinlichkeit von extremen Stürmen und katastrophalen Ereignissen höher sein“, erklärt Knippertz.

Wir müssen uns anpassen und resilienter werden.
Michael Kunz, KIT-Klimaforscher

Auch die Verletzlichkeit der Gesellschaften werde steigen, warnt sein KIT-Kollege Michael Kunz. Der Fachmann sieht noch zu wenig Risikokompetenz auf individueller Ebene.

Gemeint ist das Wissen darüber, was bei Stürmen, Starkregen und Blitzschlag passieren kann und wie man handeln sollte. „Dieser Zukunft müssen wir uns stellen. Wir müssen uns anpassen und resilienter werden“, sagt Kunz.

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